Exklusive Interview John-Paul Trutnau - Deutsch


Ell.a

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John-Paul Trutnau ist der Verfasser des medienwissenschaftlichen Werkes „Miami Vice: A One-Man Show?“, welches auch hier im Forum schon diskutiert wurde. Er wurde in Deutschland geboren, wuchs in Deutschland, England und Kanada auf und lebt heute in Kanada. Er hat ein Diplom in Kunstgeschichte, ein weiteres in Medienwissenschaften sowie ein Diplom in Amerikanischer Kultur- und Kommunikationswissenschaft. Seine Interessen reichen vom praktischen Filmemachen über Filmtheorie bis hin zu Medien- und Kulturstudien.

 

1. Herr Dr. Trutnau, Sie haben das erste Buch über Miami Vice verfasst. Was hat Sie bewogen, sich ausgerechnet diese Serie als Gegenstand Ihrer medienwissenschaftlichen Forschung vorzunehmen?

 

Hallo Ell.a. Ja, zunächst ein mal ein großes Dankeschön an Sie, und ich freue mich sehr über dieses Interview mit Ihnen. Als Antwort zur ersten Frage: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich “das erste†Buch zu MV geschrieben habe, aber sicherlich das erste Buch, das die Serie in ihrer Ganzheit und Gesamtheit (alle Episoden) betrachtet. Es war mir ein Gräuel, dass die Serie (auch im medienwissenschaftlichen Bereich) oft als “oberflächlich, bunt und mit Pop Musik unterlegt†bezeichnet wurde, und das war’s. Miami Vice war und ist für mich eine sehr interessante Serie, da sie bei mir (als ich sie in den 1980ern zum ersten Mal sah) sehr unterschiedliche Emotionen geweckt hat. Besonders die unterschwellige Angst und oft subtile Paranoia in einigen Episoden ist meiner Meinung nach sehr gut gemacht und zeigt ein doch stark differenziertes USA-Bild der 1980er. Hinter all dem Glamour, Luxus und Konsum sind ja, wie sich darstellt, auch unterschwellige Tendenzen sichtbar, und Korruption von Politik und Gesellschaft sind an der Tagesordnung, woraus Michael Mann in seiner Kritik keinen Hehl macht. Als Gegenstand der Forschung habe ich diese Serie gewählt, da sie oft humorvoll und facettenreich Kritik übt an der Gesellschaft und Politik in den USA – vielen Zuschauern (besonders in Amerika) ist dieses oft gar nicht bewusst.

 

2. Würden Sie uns verraten, wie Sie beim Schreiben vorgegangen sind? Bei der Tiefe Ihrer Analyse müssen Sie jede der 111 Episoden mehrmals gesehen haben!

 

Gute Frage, nächste Frage. Nun ja, ich habe tatsächlich eine eigene Systematik entwickelt, indem ich zunächst eine grobe Übersichtsmaske verwendet habe, um erstmal alle Episoden zu analysieren. In meinem Buch “A one-man show?†ist diese Maske zur Sequenzanalyse unter Appendix A zu finden. Nachdem ich also diese Daten gesichtet und gesichert hatte - oft nach mehrmaligem Ansehen einer Episode, manchmal 8 bis 10 Mal - kam die eigentliche Arbeit: Methodik, Gliederung, Analyse, Auswertung und Ergebnisse. Später kamen dann mehrere Jahre Finetuning und schreiben, schreiben, schreiben, überarbeiten, überarbeiten, überarbeiten dran, denn ich hatte ja für meine Monographie die verschiedensten Promotionsauflagen zu erfüllen, und es war nicht immer ein Zuckerschlecken.

 

3. Hat die Arbeit an "One Man Show" Ihren Blickwinkel bezüglich der Serie verändert? Können Sie heute überhaupt noch eine Folge "unvorbelastet" anschauen? Oder denken Sie dann ständig an Ihre Arbeit?

 

Und wie. Vieles hat sich während meiner Arbeit an meinem Buch geändert, besonders kritische Standpunkte zur Serie, einiges wurde verworfen oder verändert. Heute sehe ich vieles in der Serie nicht mehr so anders, aber wer weiß, ob sich das nicht in 20 Jahren in der Retrospektive ein wenig ändert, denn der Schwerpunkt meiner Arbeit lag ja in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit der Serie. Und Politik und Gesellschaft ändern sich ja ständig, mal mehr, mal weniger, oft ist auch ein historischer Revisionismus notwendig, wenn zum Beispiel neue Quellen auftauchen und das, was wir als historischen Fakt angesehen haben, nicht mehr so ist, wie es ursprünglich dargestellt und interpretiert wurde. So würde es mich überhaupt nicht wundern, wenn zum Beispiel, das, was am 11. September 2001 geschah, eines Tages ganz anders in die Geschichtsbücher geht, als bisher dargestellt. Na ja, aber wenn der Papst zum “Ground Zero†geht und seine Huldigung gibt, dann ist ja wohl alles in Ordnung und so, wie es sein soll, oder?! oder nicht? Oder doch?!

 

4. Gab es während Ihrer Arbeit an dem Buch auch für Sie den ein oder anderen "Aha"-Effekt? Welche Erkenntnis hat Sie selbst am meisten beeindruckt?

 

Eine gute Frage. Ja, es gab schon ab und zu mal einen Lichtblick und sogar den Aha-Effekt. Zum Beispiel wurde mir dabei klar, wie verwundbar die Helden in der Serie sind (Crockett und Tubbs kriegen öfter mal “richtig einen auf die Fresseâ€) und sind keineswegs Übermenschen oder Giganten; das finde ich überhaupt toll, dass das so dargestellt wird, in meinem Buch ist dieses in dem „Ups and Downs“-Kapitel zu finden, „Levels of Victimization“, um genau zu sein. Es ist ja logisch vom einem Handlungsverlaufstandpunkt, dass die Drehbuchautoren die Helden ja nicht sterben lassen können (außer in Traumsequenzen, oder der Annahme ihres Alter Ego – wie Crockett ja zum Gangster wird) was aber Klasse ist, ist die Vielschichtigkeit und Komplexität der Charaktere, insbesondere Tubbs und Castillo.

 

5. Viele Fans haben sich gefragt, warum das Buch nicht bebildert ist. Dafür gibt es sicherlich einen triftigen Grund?

 

Ja, klar. Es hätte mich $500 pro Bild Lizenzgebühren gekostet, und ich finde, Universal sollte so leicht nicht meine eigene hart verdiente Knete bekommen. Wir sind hier dann beim Thema “fair-use†in akademischen Werken, also was kann man nutzen, ohne Urheberrechte zu verletzen? Antwort: Nichts. So blieb es dann bei $3000 fürs MV Logo. Die gute Nachricht ist, dass man als MV-Fan das Buch als Referenz nutzen kann, da alle Sequenzen mit Laufzeit annotiert sind, also z.B. die Sequenz XYZ, wo Crockett und Tubbs XYZ, bei 0:22:10-0:23:45, usw. (Anm. von Ell.a: VHS-Laufzeiten der US-Orginalepisoden)

 

6. Warum wurde die 600 Seiten starke Final Draft Version von Trafford.com nicht veröffentlicht, dafür nur die Light Version mit rund 250 Seiten?

 

Dies war vor allem eine Kostenfrage. Der Druckkostenzuschuss bei Trafford wäre für mich logischerweise pro Buch höher gewesen, und obwohl Trafford ja „on-demand“ ist, wären die Kosten sehr hoch gewesen. Mein Buch ist ja auch bei Amazon weltweit zu haben. Man beachte: Von dem VK-Preis auf Amazon von derzeit US$26, kriege ich als Autor von Trafford pro verkauftem Buch $0.75, also weniger als einem Dollar. Das hat mich so geärgert, das ich dann auf die Idee kam, eine weltweite Plattform für Independent Autoren, Filmemacher, Bands und Musikern, u.a. zu kreieren. Bei meiner Firma gehen 95%+ direkt an den Content-Creator pro Sale (Anm. von Ell.a: Content-Creator = geistiger Urheber = Autor, Komponist ect). Punkt! Das war dann der Teil der Entstehungsidee für Filmbay.com.

 

7. In Ihrer unabhängigen Film Community www.filmbay.com scharen Sie Autoren, Regisseure und Darsteller um sich. Sind Sie schon einmal einem der Darsteller aus der Serie begegnet? Oder anders gefragt - Wen würden Sie gerne kennen lernen?

 

Wie gesagt, Filmbay.com ist nicht nur (aber auch) eine Community. Unser erster deutscher Pressetext ist hier zu finden ---> LinkIch bin selber noch keinem der Darsteller begegnet, was aus vielen Gründen wohl so ist, einer z.B. ist ein geographischer Grund, da ich in Kanada lebe und arbeite und nicht in den USA. Ich würde sehr gerne den PM Thomas kennen lernen, er ist für mich eine sehr interessante Persönlichkeit, abgesehen von seiner sehr guten Darstellung als Tubbs. Darüber hinaus würde ich gerne den Thomas in Spielfilmen sehen, Ed James Olmos ist ja auch aus vielen Spielfilmen bekannt, z.B. bei Blade Runner.

 

8. Würden Sie sich selbst als Fan der Serie bezeichnen? Wenn ja, wo würden Sie sich selbst auf einer Skala von 1 ("Ich schaue ab und zu mal eine Folge"-Fan) bis 10 ("Ich fahre Ferrari und trage Pastellanzüge"-Fan) einordnen?

 

Ja, na klar bin ich ein Fan der Serie. Derzeit bei 2-3, aber das liegt u.a. an Zeitgründen, da ich als CEO (Anm. von Ell.a: chief executive officer = Geschäftsführer) von Filmbay.com sehr wenig Freizeit habe (leider auch wenig zum Fernsehen). Ich finde viele Fashions von MV cool, aber wenn man heutzutage so was trägt, so erkennt man doch sofort die 80er Jahre und ggf. den Miami Vice-Look.

 

9. An welchen Projekten arbeiten Sie im Augenblick?

 

Neben Filmbay.com arbeite ich (tatsächlich) auch an weiteren Buchpublikationen, so zB. einer Arbeit zu Star Trek TOS, also was wir damals in den 70ern ja als “Raumschiff Enterprise†in Germany kannten. Es geht im Kern um die 1960er Jahre und wie die Gesellschaft, Kultur und Politik sich in den unterschiedlichen Männerbildern der Serie (Kirk, McCoy, Spock) widerspiegelt. Das ist schon recht spannend, und da ich ja schon ein zweites Buch geschrieben habe …Gelistet im Verzeichnis bei Berkeley ---> Link

 

Trutnau, John-Paul.Fritz Lang's Metropolis and its inflünce on the American science fiction film:Blade Runner, Terminator I + II Essen : Blaue Eule, © 2005.MAIN: PN1997.M436 T78 2005

 

Und zu kaufen bei der Blauen Eule ---> LinkNein, ich mache KEINE Schleichwerbung (lol !).… kommt das alles meiner Liebe zum Sci-Fi Genre zugute. Es sind auch drei weitere Werke in Arbeit, eines zur Geschichte des Musikvideos, eines zur Geschichte des Videospieles (Video Games) und ein Lehrbuch zur Regie in Film, Fernsehen, Internet. Ich bin also ganz gut ausgelastet.

 

10. Welche Projekte haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?

 

In der nahen Zukunft ist natürlich der Erfolg von Filmbay.com wichtig, in wenigen Jahren hoffe ich mich dann ganz der Forschung und Lehre zu widmen, ggf. an einer Uni oder einem College – das macht mir am meisten Freude, insbesondere mit jüngeren und älteren Menschen zusammenzuarbeiten und etwas auf die Beine zu stellen. Ich habe IMMER ein Ohr offen für neue Ideen, und egal, ob wer was von mir will oder ob jemand nur mal „Hallo“ sagen will, so höre ich mir immer alles an, ich bin nie “zu busy†für andere und freue mich immer über Kommunikation mit anderen Menschen.

 

Herr Dr. Trutnau, wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview!

 

© 6. Juni 2008 John-Paul TrutnauAlle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise sowie Aufnahme in andere Datenträger und gewerbsmäßiger Gebrauch nur mit schriftlicher Zustimmung der Verfasser gestattet.

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