Katz & Maus - (Abgeschlossene Geschichte)


reisin

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SECHSUNDZWANZIG

Castillo war fast den ganzen Tag unterwegs gewesen, um über Informanten und alte Kontakte, den Aufenthaltsort von Cat herauszufinden. Bisher jedoch ohne Ergebnis. Der Arzt hatte ihm zwar dringend geraten, sich noch einige Tage auszuruhen, aber dafür hatte er jetzt keine Zeit. Er wusste, dass Cat sicher bald wieder zuschlagen würde und er wollte ihm, wenn möglich, zuvorkommen. Er aß eine Kleinigkeit, dann legte er sich auf das niedrige Sofa in seinem Wohnzimmer, um sich ein wenig auszuruhen. Neben sich hatte er seinen Revolver griffbereit liegen. Er war erschöpft und seine Schulter und sein Kopf schmerzten. Er konzentrierte sich darauf, seinen Körper zu entspannen und alle Muskeln locker zu lassen. Seine Gedanken begannen um Tom-Cat zu kreisen. Er wusste, wie gefährlich Tom-Cat war und wie verrückt. Und er wusste auch, dass Tom nie aufgab, bevor er seinen Auftrag erfüllt hatte. Das hieß, er würde wieder zuschlagen. Aber wann und wo? Castillo meinte es ernst, als er sagte, er wolle keine Bewacher. Er wollte nicht, dass Kollegen ihr Leben riskierten, um ihn zu schützen. Dies war eine persönliche Angelegenheit zwischen ihm und Tom. Er musste sich selbst dem Kampf stellen. Nur wann? Tom würde sicher bald wieder zuschlagen. Wie konnte er sich am besten vorbereiten? Konnte er ihm vielleicht zuvor kommen? Er versuchte sich alles in Erinnerung zu rufen, was er von Tom wusste. Gewohnheiten, Verhaltensweisen. Alles, was ihm hoffentlich helfen konnte, Tom zu finden und ihn auszuschalten. Castillo musste wohl eingenickt sein, denn er erschrak, als das Telefon klingelte. Er erhob sich, stets darauf achtend, seine Schulter so wenig wie möglich zu bewegen, und hob ab. "Castillo", antwortete er mit seiner für ihn typischen leisen, aber durchdringenden Stimme. "Hallo Marty, schön dich zu hören", erklang Tom-Cats Stimme. Obwohl er seit 16 Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen hatte, erkannte er die Stimme sofort wieder. "Wie wär's denn mit einer kleinen Wiedersehensparty? Wir haben uns doch schon so lange nicht mehr gesehen. Ich habe auch schon einen weiteren Gast eingeladen." Ginas Stimme erklang: "Lieutenant, Tom hält mich gefangen, er ......", dann hörte er nur noch einen Schmerzensschrei und ein Schluchzen. Tom hatte Gina den Hörer aus der Hand gerissen und ihr eine kräftige Ohrfeige verpasst, sodass ihr Kopf zur Seite geschleudert wurde. Blut tropfte aus der aufgeplatzten Unterlippe. "Weißt du Marty, Gina versteht das völlig falsch. Sie ist nur mein Gast, mein Ehrengast", ertönte nun wieder Toms Stimme mit ironischem Unterton. "Lass Gina laufen, sie hat damit nichts zu tun", knurrte Castillo ins Telefon, "das ist eine Sache zwischen uns beiden. Nur ein Feigling versteckt sich hinter einer Frau." "Oh welch harte Worte, Marty. Ja, wir hatten schon immer unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man zum Ziel kommt. Gina ist meine Versicherung, dass du auch bestimmt zu meiner Wiedersehensparty kommst und dass du alleine kommst, unbewaffnet und keine Tricks. Du kennst mich, ich habe keine Hemmungen, Gina dafür büßen zu lassen." "Wehe du krümmst Gina auch nur ein Haar ...", drohte Castillo. "Oh ich zittere vor Angst", lachte nun Tom. "Du hast 30 Minuten!" Er nannte Castillo noch die Adresse und legte auf. Das Spiel kann in die nächste Runde gehen, dachte er mit einem zufriedenen Grinsen.
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SIEBENUNDZWANZIG

Castillo wusste, wo sich das Lagerhaus befand. Er wusste aber auch, dass dreißig Minuten nicht wirklich viel Zeit war, um dorthin zu kommen. Er hoffte, dass zu dieser späten Stunde, es war jetzt immerhin kurz vor Mitternacht, nur noch wenig Verkehr auf den Straßen war. Ein kleiner Stau oder mehrere rote Ampeln genügten und schon konnte er einige Minuten zu spät kommen. Und Gina würde es büßen müssen. Er hatte einmal miterlebt, was Tom machte, wenn seine Anweisungen nicht pünktlich befolgt wurden. Tom hatte ein Ultimatum gestellt. Weil seine Forderungen jedoch nicht auf die Minute genau erfüllt wurden, schnitt er einfach bei seiner Geisel pro Minute einen Finger ab. Er hatte keinerlei Zweifel, dass er auch nicht davor zurückschreckte, an Gina ebensolche sadistische Handlungen vorzunehmen, falls er sich verspätete. Castillo überlegte, ob er noch Verstärkung rufen oder sich wenigstens bewaffnen sollte, aber er wusste, dass Tom diesen Treffpunkt mit Bedacht ausgewählt und sich entsprechend vorbereitet hatte. Er würde ihn überwachen, ob er auch wirklich alleine kam und wenn er bemerkte, dass er nicht alleine oder bewaffnet war, würde er es Gina büßen lassen. Er zog schnell seine Schuhe an, schnappte seine Autoschlüssel und seinen Revolver, den er im Handschuhfach deponierte und sauste los, auf den kürzesten Weg zum Lagerhaus. Er dachte lieber nicht daran, was er in diesen dreißig Minuten alles mit Gina anstellen würde. Er würde gewiss nicht nur tatenlos herumsitzen und auf ihn warten, er würde jede Minute auskosten. Arme Gina! Er gab Gas. Er hatte Glück und erwischte eine grüne Welle. Es war zu dieser Uhrzeit auch nur noch wenig Verkehr. Vier Minuten vor Ablauf der Zeit kam er am Lagerhaus an. Er parkte seinen Ford, stieg aus und ging zum Haupttor. Seine Hände hielt er von sich gestreckt, damit Tom sah, dass er unbewaffnet war. In der Lagerhalle brannte Licht, und als er sich der Tür näherte, wurde die Außenbeleuchtung eingeschaltet. Vermutlich ein Bewegungsmelder, schoss es Castillo durch den Sinn. Die Tür wurde von innen geöffnet, man konnte jedoch niemanden sehen. Da hörte er auch schon Toms Stimme aus dem Innern: "Pünktlich wie immer! Brav, du bist alleine gekommen. Na dann komm rein, Marty, lass uns endlich mit der Party beginnen".
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ACHTUNDZWANZIG

Castillo trat durch die Tür in das Innere der Lagerhalle. Die Lagerhalle war fast leer, nur an der rechten Wand standen noch einige Kartons aufgestapelt. Einige verbeulte Getränkedosen und leere Papiertüten lagen herum, so als hätte jemand nach der Brotzeit seinen Müll nicht weggeräumt. Die Luft in der Lagerhalle war abgestanden und roch nach Diesel und Öl. Vielleicht wurden hier früher Maschinen oder Autoteile gelagert. An der Decke hingen große Neonleuchten, die die Halle in ein grelles Licht tauchten. Castillo kniff die Augen zusammen, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. In der Mitte der Halle stand ein Stuhl, an den Gina gefesselt war. Sie lebt noch, dachte Castillo erleichtert, aber ihr Zustand besorgte ihn und erregte sein Mitleid. Sie war halb bewusstlos zusammengesunken und ohne das Seil, das um ihren Oberkörper geschlungen und mit dem sie an die Stuhllehne gefesselt war, wäre sie vermutlich heruntergerutscht. Die Hände waren hinter der Lehne mit Handschellen gefesselt. Ihr rechtes Auge war zugeschwollen, ihre Lippe aufgeplatzt und Blut rann das Kinn und den Hals hinunter. An den Armen, Oberkörper und den Beinen konnte er mehrere Blutergüsse erkennen. Aus einer Schnittwunde an ihrem rechten Oberarm tropfte Blut. Ihr Kleid war zerfetzt und bedeckte kaum ihre Blöße. Als sie nun Castillo sah, hob sie kurz den Kopf und schluchzte. Er sah ihr in die Augen, richtete dann sofort wieder seinen Blick auf Tom. Cat hatte sich etwa einen Meter seitlich hinter den Stuhl gestellt, auch er schien unbewaffnet zu sein. "Es freut mich, Marty, dass du meiner Einladung gefolgt bist und wie du siehst, habe ich schon mit der Feier begonnen". "Lass Gina frei, sie hat nichts damit zu tun", forderte der Lieutenant. "Du warst schon immer eine Spaßbremse, Marty, du vergönnst einem aber auch gar kein Vergnügen", erwiderte Tom voller Sarkasmus. Oh, und er hatte sich mit Gina vergnügt, aber nicht in den letzten dreißig Minuten, sondern in der Stunde davor, ehe er Castillo anrief. Er hatte sie brutal geschlagen, fast bis zur Bewusstlosigkeit, sie mit dem Messer bedroht und verletzt. Er hatte sich brutal an ihr vergangen, und zwar mehr als einmal. Für sie waren die letzten eineinhalb Stunden die Hölle auf Erden. Sie hätte nie gedacht, dass hinter der Fassade des netten, charmanten Ian ein solcher Psychopath lauern konnte. Sie hatte versucht sich zu wehren, aber er hatte sie so schnell überwältigt, dass sie keine Zeit hatte, sich zu wehren. Und als ihre Hände erst einmal auf den Rücken gefesselt waren, hatte sie kaum mehr Chancen zur Gegenwehr gehabt. Er war einfach auch zu stark. Sie hatte zwar versucht nach ihm zu treten, aber er schlug so kräftig zu, dass sie beinahe das Bewusstsein verlor. Ich verliebe mich wohl immer in die falschen Kerle, dachte sie voller Bitterkeit. Sie hoffte und betete, dass es Castillo gelang diesen Irren zu überwältigen und sie zu befreien. Nachdem Tom Castillo angerufen hatte, hatte er die letzte halbe Stunde genutzt, um sie sorgfältig auf den Stuhl in der Mitte der Halle zu fesseln, die Türen der Lagerhallen zu überprüfen und Ausschau zu halten, ob jemand sich näherte. Tom wusste, dass Castillo sich an die Vereinbarung halten würde, denn Martin kannte Tom nur zu gut und wusste, dass er Gina töten würde, wenn sich Castillo nicht an alle Vorgaben halten würde. Außerdem würde es gegen Castillos Ehrgefühl verstoßen, sich nicht an die Abmachung zu halten. Scheiß Ehrgefühl! Darauf hatte Tom schon immer gepfiffen! Tom wollte jedoch sicher sein, dass niemand Castillo folgte, also kletterte er über eine Leiter auf das Dach der Lagerhalle und beobachtete von dort die Umgebung. Zufrieden mit dem was er sah, kehrte er in die Halle zurück. Tom kam etwas näher und beide Männer begannen einander zu umkreisen wie zwei Raubtiere kurz vor einem Angriff. Plötzlich schoss Toms Faust nach vorne in Richtung von Castillos Kopf, aber der Lieutenant konnte rechtzeitig in Deckung gehen. Er parierte mit zwei harten Schlägen gegen Toms Rippen. Tom sprang zurück, wich aus und landete seinerseits zwei Treffer, einen gegen Castillos Kopf der andere gegen die verletzte Schulter. Castillo stöhnte. "Du bist alt und träge geworden, großer Meister. Deine Achtsamkeit hat nachgelassen. Früher hätte ich dich nicht aus dem Hinterhalt erwischt. Du bist nicht mehr der Meister, den ich kannte", höhnte Tom und versuchte einen erneuten Treffer zu landen, aber dieses Mal reagierte Castillo schneller und konnte ausweichen. "Warum willst du mich töten, jetzt, nach all den Jahren?", wollte Castillo wissen, aber Tom lachte nur. Er drehte sich blitzschnell und schlug ihm mit dem Fuß seitlich hart gegen die Rippen. Castillo schwankte, aber es gelang ihm trotzdem den nächsten Fußkick abzuwehren und Tom einen harten Schlag ins Gesicht zu verpassen. Tom lachte. "Rache ist wie Wein, er wird mit jedem Jahr besser. Und noch besser wird er, wenn er gut bezahlt wird. Jemand ist bereit sehr viel Geld springen zu lassen, wenn ich dich erledige."
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NEUNUNDZWANZIG

Gina hatte keine Kraft mehr. Ihr ganzer Körper schmerzte, ihr Kopf dröhnte und sie nahm die Umgebung nur verschwommen war. Sie versuchte auch gar nicht erst sich zu befreien, sie wusste, dass sie keine Chance hatte, aus der Entfesselung zu entkommen. Sie konnte nur hoffen, dass Castillo Tom besiegen würde. Aber viele Hoffnungen machte sie sich nicht. Der Lieutenant war selbst noch zu sehr geschwächt, um diesen Kampf gewinnen zu können. Aber sie wusste, er würde alles tun, was in seiner Macht stand. Martin musste einen weiteren Treffer einstecken, er schwankte, konnte aber dem nächsten Angriff ausweichen. Er versuchte seinen rechten Arm zu schonen und in erster Linie mit seiner Linken zu kämpfen. Er musste durchhalten, nicht nur seinetwegen, sondern auch wegen Gina, denn wenn er unterlag, dann würde er auch Gina töten. Er konnte nur hoffen, dass Tom Gnade walten ließ und sie wenigstens schnell töten würde, was er aber nicht glaubte. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Wieder musste er einen harten Schlag einstecken, lange würde er das nicht mehr durchhalten können. Seine Schulter schmerzte und er konnte den Arm kaum noch bewegen. Die Wundnaht an seiner Schulter war wieder aufgeplatzt, Blut sickerte aus der Wunde und färbte sein weißes Hemd blutrot. Sein Kopf dröhnte und ihm war schwindelig. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Tom ergriff erneut an, Castillo wich zur Seite aus und landete mit seiner linken Hand einen harten Treffer in Toms Magengegend, ein zweiter Treffer folgte sofort, dieses Mal an der Nase. Sie knackte und Blut schoss daraus hervor. Tom stöhnte, schüttelte kurz benommen den Kopf, parierte einen weiteren Schlag und landete einen harten Treffer gegen Castillos Rippen. Tom begann zu lachen: "Mehr hast du nicht drauf alter Mann?" Castillo blieb für einen kurzen Moment die Luft weg. Noch ein, zwei Treffer und Tom würde ihn überwältigen können. Was dann folgte, wäre ein langsamer und qualvoller Tod. Tom holte zum Schlag aus, aber dieses Mal konnte Castillo den Fausthieb abwehren, aber nur den Ersten, den Zweiten bekam er voll ans Kinn. Seine Lippe platzte auf und begann zu bluten. Er torkelte. In seinem Kopf drehte sich alles. Cat hob erneut die Faust um zuzuschlagen, täuschte jedoch den Schlag nur vor, trat mit seinem Fuß blitzschnell zu und traf Castillo in der Magengegend. Der Lieutenant wurde durch die Wucht von seinen Beinen geschleudert und fiel hart auf den Rücken, sodass ihm die Luft wegblieb. Sein Schädel dröhnte. Er hatte das Gefühl sein Kopf würde gleich explodieren. Gina schrie auf. Castillo stöhnte und hielt sich den Bauch vor Schmerzen. Er rollte sich zusammen, versuchte sich umzudrehen und wieder auf die Beine zu kommen, aber schon kam Tom näher. Er stand jetzt direkt über ihn und holte zum letzten Schlag aus.
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DREISSIG

Mai 1971 - Vietnam Martin Castillo und Thomas Ian Goldstein waren in Vietnam stationiert. Eine erneute Offensive des Feindes stand bevor. Martin und Tom sollten als Kundschafter hinter die Linie des Feindes schlüpfen und Informationen über ihre Truppenstärke, Ausrüstung und die Angriffspläne des Feindes in Erfahrung bringen. Dann sollten sie dem Hauptstützpunkt Bericht erstatten. Von dem Erfolg ihrer Mission hing das Leben vieler Kameraden ab. Castillo und Tom hatten sich getrennt und wollten an verschiedenen Punkten die Linien des Feindes durchbrechen. Sie hofften, dass dadurch die Chance stieg, dass wenigstens einer von ihnen durchkam und die Mission erfüllen konnte. Sie vereinbarten einen Treffpunkt in einem kleinen vietnamesischen Dorf fünf Tage später, um von dort aus Kontakt zu den eigenen Truppen aufzunehmen und um dann mit einem Hubschrauber ausgeflogen zu werden. Cat kam jedoch schon zwei Tage vor Castillo an. Es war ein sehr kleines Dorf, die Einwohner waren eingeschüchtert, hatten Angst und waren feindselig gegenüber Castillo, als dieser eintraf. Von den Dorfbewohnern erfuhr er, in welcher Hütte sich Tom aufhielt. Als Castillo die Hütte betrat, drehte sich ihm der Magen um. Martin wurde übel und er musste nach draußen an die frische Luft flüchten, um sich nicht zu übergeben. Dabei hatte er normalerweise keinen empfindlichen Magen. Am liebsten wäre er sofort nochmals in die Hütte gestürmt und hätte Tom mit seinem Gewehr eine Kugel in den Kopf gejagt, aber sein Pflichtgefühl ließ dies nicht zu. Er wollte es ihm nicht so leicht machen, er wollte, dass Tom dafür zur Verantwortung gezogen wurde. Also ging er zurück in die Hütte, schlug Tom nieder und fesselte ihn. Was Tom der Familie angetan hatte, es waren Vater, Mutter und drei Kinder, das Jüngste davon gerade mal 4 Jahre alt, war unbeschreiblich. Er hatte sie stundenlang gefoltert und zu Tode gequält und das nur, weil sie ihn nicht als Stahlenden Helden empfingen, ihn fürstlich genug bewirteten und ihm das wenige Geld, das sie besaßen, freiwillig gaben. In der Hütte herrschte ein ekelhafter Geruch. Durch das feuchte, heiße Klima hatte die Verwesung der Leichen bereits eingesetzt. Der Gestank nahm Castillo die Luft zum Atmen. Und was machte Tom, als Castillo die Hütte betrat? Er lachte. Es war das Lachen eines Wahnsinnigen. Ihm schien der Gestank auch nichts auszumachen, im Gegenteil, es schien als saugte er den Duft tief in sich ein. Castillo lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er hatte heute, nach all den Jahren, noch immer manchmal Albträume deswegen. Er hatte schon früher geahnt, dass in seinem ehemaligen Partner eine sadistische Ader schlummerte. Es gab nämlich eine Reihe von Todesfällen, bei denen die Opfer schwer gefoltert und misshandelt worden waren, ehe sie starben. Martin hatte damals schon den Verdacht, es könnte Tom dahinterstecken und er hatte seinen Verdacht auch gegenüber seinem Vorgesetzten geäußert, aber da es keinerlei Beweise gab, wurde nichts unternommen. Castillo meldete den Vorfall in Vietnam der Company. Tom wurde als "unkalkulierbares Risiko" eingestuft, das beseitigt werden musste. Castillo erhielt daraufhin den Befehl, Tom zu liquidieren. Er hatte Gewissensbisse, seinen ehemaligen Schüler und jetzigen Partner zu töten, aber er wusste auch, dass das Raubtier in Tom nun erwacht war. Er würde wieder töten, nicht aus der Notwendigkeit heraus sich selbst zu verteidigen, sondern einfach weil es ihm Spaß machte. Er wollte nicht die Verantwortung dafür tragen, dass sich solch ein Massaker wie in diesem kleinen vietnamesischen Dorf wiederholen würde. Also führte er den Auftrag aus, oder dachte zumindest, dass er ihn ausgeführt hatte. Kurz darauf verließ Castillo die Company und arbeitete in Vietnam als Polizist, wo er es bald mit einigen Prostituiertenmorde zu tun bekam.
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  • 2 weeks later...

EINUNDDREISSIG

Tom stand über ihm und holte zum letzten Schlag aus, gleich würde er ihn k.o. schlagen, dann überwältigen und ihm einen langsamen und schmerzvollen Tod bereiten. Castillo spannte alle Muskeln an. Er versuchte, seine letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Er würde nicht kampflos aufgeben, er würde bis zum Ende kämpfen. Plötzlich ertönte eine Stimme: "Keine Bewegung, Miami Vice!" – Sonny und Rico erschienen in der Tür der Lagerhalle und richteten ihre Waffen auf Tom-Cat. Tom war nur einen kurzen Moment überrascht. Er blinzelte, dann machte er eine Hechtrolle seitwärts, sprang auf und war mit wenigen Sprüngen bei der Seitentür, die unverschlossen war. Sonny und Rico zielten und drückten ab. Mehrere Schüsse hallten laut in der Halle, aber Tom war durch die Tür verschwunden. Sonny und Rico folgten ihm, blieben kurz an der Tür stehen, ehe sie jeder mit einem Sprung zur Seite durch die Tür hechteten für den Fall, dass ihnen Tom draußen auflauerte. So sehr sie ihre Augen auch anstrengten in dem schwachen Licht etwas zu erkennen - aber sie sahen niemanden. Sie durchsuchten die nähere Umgebung der Lagerhalle, aber sie konnten Cat nirgends entdecken. Er war fort. Verschwunden in der Dunkelheit der Nacht. Blutstropfen vor der Tür deuteten darauf hin, dass Cat getroffen worden war. Castillo rappelte sich mühsam hoch und schleppte sich zu Gina. Es gelang ihm, trotz seines verletzten Armes, sie zu befreien. Gina schluchzte und vergrub ihr Gesicht an Martys Schulter. Er legte beruhigend seinen gesund Arm um sie und streichelte ihr sanft den Rücken. "Schscht, Gina, es ist vorbei!" Nach wenigen Minuten kehrten Sonny und Rico zurück. "Nada, keine Spur von ihm. Der Mistkerl ist entkommen. Seinen Wagen hat er allerdings stehen gelassen und ist zu Fuß geflüchtet," berichtete Sonny. "Ich habe über das Autotelefon Verstärkung angefordert, damit sie das Gebiet absperren und nochmals gründlich durchsuchen, vielleicht finden wir ja eine Spur von ihm.“ Er kniete sich zu Gina, strich ihr beruhigend über den Kopf und legte einen Arm um sie. "Come on Baby, wir werden den Mistkerl finden und dann wird er für alles büßen." Er spürte, wie sie unter seiner Berührung zitterte. Er zog sein Sakko aus und hängte es fürsorglich über ihre Schultern, dann half er Gina auf die Beine und führte sie zum Wagen Castillos. Rico wollte den Lieutenant stützen, aber der lehnte ab, nahm seine letzte Kraft zusammen und humpelte zu seinem Wagen. "Fahr die beiden ins Krankenhaus, Rico. Ich bleibe hier, bis die Verstärkung und die Spurensicherung kommen, und komme dann so schnell wie möglich nach." "Sei vorsichtig Partner, vielleicht lauert der Irre noch irgendwo da draußen," warnte Rico seinen Freund. Sonny half Gina in den Wagen einzusteigen. Castillo setzte sich zu Gina auf den Rücksitz. Sie war kreidebleich und ihr Körper bebte vor Schluchzern. Sie lehnte ihren Kopf an Castillos Schulter und sprach während der ganzen Fahrt ins Krankenhaus kein Wort. "Woher wusstet ihr, wo wir waren?" wollte Castillo von Rico wissen. Rico schwieg einen Moment, dann gestand er: "Sonny hat Stan überredet, Ihr Telefon zu überwachen. Er fürchtete, dass Sie, trotz ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes, einen gefährlichen Alleingang unternehmen könnten. Ich weiß, wir haben damit Ihre Privatsphäre verletzt, Lieutenant, und Sie sind jetzt sicher sauer darüber, aber ..." "Danke!" erklang vom Rücksitz die leise Stimme Castillo's.
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ZWEIUNDDREISSIG

Nach allem, was Tom Gina angetan hatte, war es ein Wunder, dass sie keine inneren Verletzungen davon getragen hatte, zumindest keine physischen. Außer Blutergüssen, einer Schnittwunde, Prellungen und einer leichten Gehirnerschütterung hatte sie keine schwereren Verletzungen. Es würde jedoch sicher lange dauern, bis ihre psychischen Verletzungen heilen würden, wenn sie überhaupt jemals über das Erlebnis heute hinwegkommen würde. Bei Castillo musste die Wunde an der Schulter wieder genäht werden, da die alte Naht beim Kampf aufgeplatzt war. Auch er hatte Prellungen und Blutergüsse davon getragen. Außerdem war eine Rippe angebrochen. Um seine Rippen zu fixieren und ihnen einen Halt zu geben, wurde eine Bandage fest um seinen Oberkörper befestigt. Der Arzt empfahl dem Lieutenant dringend mindestens drei Tage strenge Bettruhe, damit er seine Gehirnerschütterung und die anderen Verletzungen auskurieren könne. Aber Castillo lehnte ab. Solange Tom da draußen sein Unwesen trieb, konnte und wollte er sich nicht ins Bett legen. Sie waren im benachbarten Krankenzimmer versammelt. In dem Raum waren zwei Betten untergebracht. Das Zimmer war derzeit unbesetzt, sodass es unwahrscheinlich war, dass sie jemand bei ihrer Besprechung störte. Nebenan schlief Gina. Die Ärzte hatten ihr ein starkes Beruhigungsmittel gegeben. "Es tut mir sehr leid, was heute passiert ist," eröffnete der Lieutenant das Gespräch. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass Tom-Cat sich an einen von euch heranmachen würde." "Wer ist dieser Kerl eigentlich, Lieutenant?" fragte Sonny. Er hatte sich auf den Rand eines der leeren Betten gesetzt. Castillo fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er hatte immer noch Kopfschmerzen, obwohl ihm der Arzt zuvor ein leichtes Schmerzmittel gegeben hatte. Alles was er wollte, war sich ins Bett zu legen und auszuruhen, aber das war im Moment leider nicht möglich. "Thomas Ian Goldstein war CIA-Agent. Nach seiner Ausbildung bei der Company war es mein Auftrag, ihn in die Praxis einzuführen. Ich merkte schon bald, dass er unberechenbar, illoyal und extrem grausam war. Bevor er seine Opfer tötete, spielte er mit ihnen, folterte und verstümmelte sie. Er machte selbst vor Kindern nicht halt. Für die Company war er ein zu großes Risiko geworden. Sie beschlossen, ihn zu eliminieren. Ich dachte all die Jahre er wäre tot." Castillo hatte eine Hand in die Hosentasche gesteckt, die andere ruhte in einer weißen Schlinge, die er um den Hals trug. Man merkte ihm an, dass es ihm schwerfiel, über die Vergangenheit zu reden. Jetzt senkte er den Kopf, als würde er sich nochmals die Erinnerungen an damals ins Gedächtnis rufen. Seine Leute hatten ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Aber die ganze Wahrheit? Er straffte seine Schultern und sah in die besorgten Augen seiner Mitarbeiter. "Scheint so, als wäre die Company damals nicht gründlich genug gewesen. Aber warum ist er denn ausgerechnet hinter Ihnen her? Ist es, weil Sie ihn damals der Company gemeldet haben?" wollte Sonny wissen. "Tom sagte, er wäre von jemandem gut bezahlt worden für den Auftrag, aber ich glaube er hat noch einen anderen Grund, ich ..." er zögerte. Sollte er ihnen wirklich alles erzählen? Verdammt, sie hatten ein Recht darauf alles zu erfahren. Durch ihn waren sie alle in Gefahr geraten. "Ich hatte damals den Auftrag Tom auszuschalten und ich dachte ich hätte den Auftrag ausgeführt. Aber scheinbar habe ich versagt." Seine Mitarbeiter schwiegen und sahen betreten zu Boden. "Das erklärt manches," murmelte Rico vor sich hin. "Es scheint, als wäre Tom noch unberechenbar als früher. Ich möchte, dass ihr euch alle in ein sicheres Haus begebt, bis das alles vorbei ist", forderte Castillo seine Leute auf. "Was ist mit Ihnen, Lieutenant? Kommen sie mit in das sichere Haus?", fragte ihn Trudy besorgt, obwohl sie genau wusste, wie die Antwort lauten würde. Sie lehnte an einem der Betten und hatte ihre Beine überkreuzt. Castillo schüttelte den Kopf. "Nein, ich werde das hier jetzt beenden!", antwortete Castillo auch prompt. "Meine Aufgabe ist es, Tom so schnell wie möglich zu stellen und aus dem Verkehr zu ziehen." "Aber das ist Wahnsinn!", protestierte Sonny. "Sie können sich ja selbst kaum mehr auf den Beinen halten, wie wollen Sie es dann mit einem Kerl wie Tom-Cat aufnehmen? - Sie müssen sich dringend ausruhen, Lieutenant. Sie brauchen Unterstützung. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir werden heute alle - ich betone alle - in dem sicheren Haus schlafen. Morgen sehen wir dann weiter."
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DREIUNDDREISSIG

Tom war wütend und enttäuscht. Sein schöner Plan war gescheitert. Fast hätte er Castillo besiegt und dann hätte er seinen Auftrag zu Ende führen können. Oh, und er hätte sich Zeit dafür gelassen, viel, nein, sehr viel Zeit. Er hatte sich in seiner Fantasie bereits ausgemalt, wie er Castillo quälen wollte. Ihm waren viele Möglichkeiten eingefallen, sich an Castillo zu rächen, ihm Schmerzen zu zufügen und lange, ganz lange qualvoll leiden zu lassen. Er hatte sich auf die vielen Stunden, die ihm viel persönliches Vergnügen bereitet hätte, gefreut. Wenn er mit Castillo fertig gewesen wäre, dann hätte er sich Gina nochmals vorgeknöpft. Wer weiß, vielleicht hätte er sich vorher nochmals mit ihr vergnügt, bevor er sie langsam, gaaaanz langsam tötete. Oder nein, vielleicht wäre es ja besser gewesen erst Gina zu quälen und zu töten und Martin hätte hilflos zuschauen müssen. Ginas Leiden zu sehen und ihre Schreie zu hören, das wäre für den "edlen" Lieutenant bestimmt die größte Qual gewesen. Der "edle" Martin Castillo. Er und sein Freund Jack Gretsky hatten sich damals aufgeführt wie zwei gottverdammte Samurais. Ihr Gerede von Gerechtigkeit, Ehre und Loyalität hatte ihn damals schon angekotzt. Tom wollte seine Unabhängigkeit, seinen Spaß und Geld. Loyalität! - Darauf hatte er schon immer gepfiffen! Aber das plötzliche Eingreifen der beiden Vice-Bullen hatte ihn um sein Vergnügen gebracht. Aber woher wussten sie, wo er zu finden war? Sollte der sonst so aufrechte Castillo doch nicht sein Wort gehalten und seine Leute informiert haben? Das war jetzt auch egal. Tatsache war, sie hatten im entscheidenden Moment gestört, gerade als er dabei war, Castillo zu besiegen. Er hatte fliehen müssen, wobei er sich auch noch eine Kugel in seinem linken Oberarm eingefangen hatte. Jetzt war er auf der Suche nach einem Arzt, der ihm das Scheißding wieder rausholte. Ins Krankenhaus konnte er nicht gehen, den dort hätte man ihn sicher sofort geschnappt. Also blieb nur eine kleine Arztpraxis, am besten irgendwo am Stadtrand. Und wenn er dieses Mistding erst einmal wieder los war, und er sich ein bisschen erholt hatte, würde er Castillo zeigen, wer von ihnen beiden hier die Katze und wer die Maus war. Es war Zeit den nächsten Spielzug zu machen!
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VIERUNDDREISSIG

Samstag, 20. Juni 1987 Gina sollte noch zwei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben und stand permanent unter polizeilicher Überwachung. Castillo gab die Anweisung heraus, dass von nun an keiner mehr alleine unterwegs sein dürfe, immer mindestens zu zweit. Nachts wollten sie weiterhin alle gemeinsam in dem Schutzversteck schlafen. Sie gaben keine Großfahndung nach Tom heraus. Castillo wusste, dass Tom besonders gefährlich war, wenn er das Gefühl hatte, in die Ecke gedrängt zu sein. Es bestand die Gefahr, dass es in diesem Fall noch mehr unschuldige Opfer geben würde. Außerdem würde Tom abtauchen und irgendwann später, wenn keiner damit rechnete, wieder zuschlagen. Also informierten sie alle Polizeidienststellen und übermittelten ihnen ein Bild von Tom. Die Polizisten sollten aber, wenn sie Tom sichteten, nichts unternehmen, sondern ihm nur, wenn möglich unbemerkt, beobachten und sofort das Vice-Department informieren. In derselben Nacht informierten und warnten sie außerdem alle Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken in Miami und Umgebung. Denn wenn Tom angeschossen worden war und nach den Blutspuren im Lagerhaus zu urteilen, war dies der Fall, dann benötigte Tom ärztliche Hilfe. Sie hofften, dass sie auf diese Weise an Tom herankommen und ihn festnehmen konnten. Nachdem sie am Morgen alle gemeinsam gefrühstückt hatten, fuhren sie zum OCB. Mit Ausnahme von Trudy, die zu Gina ins Krankenhaus wollte. Denn was Gina jetzt vermutlich am Meisten benötigte, war eine gute Freundin, mit der sie über alles reden konnte. Nun saßen sie alle im Besprechungszimmer um den großen grauen Tisch versammelt. Castillo hatte wie immer den Platz an der Stirnseite eingenommen. "Tom war früher ein notorischer Spieler, ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine Spielsucht aufgegeben hat. Wir sollten daher alle Spielcasinos überprüfen. Außerdem schlage ich vor, dass wir in allen Mittelklasse Hotels und Motels nachfragen, ob er dort abgestiegen ist. Ich möchte, dass von nun an, außerhalb des sicheren Hauses oder des OCBs keiner mehr alleine rumläuft. Wir werden immer zu zweit arbeiten. Crockett, Sie arbeiten mit Stan zusammen, Tubbs, Sie mit mir. Trudy bleibt bei Gina im Krankenhaus. Ich weiß, wir suchen die Nadel im Heuhaufen, aber es ist im Moment die einzige Möglichkeit, die wir haben." Er stand auf und verließ den Raum, um in sein Büro zu gehen. "Na kommt, machen wir uns an die Arbeit. Nachdem Trudy nicht da ist, müssen wir uns wohl selbst die Adressen aller Casinos und Hotels besorgen. Mann, das wird ein ganz schönes Stück Arbeit, es gibt in Miami bestimmt über 50 Casinos und sicher Tausende von Motels und Hotels", seufzte Rico und verließ ebenfalls den Raum, um sich an die Arbeit zu machen. Etwa eine halbe Stunde später erschien Castillo in der Tür seines Büros. "Ich habe soeben einen Anruf vom Metro Dade Department bekommen. Sie haben die Leiche eines gewissen Dr. Tungston gefunden. Er wurde vermutlich gestern Nacht in seiner Praxis ermordet. Die Putzfrau hat ihn heute Morgen dort entdeckt. Tubbs, wir fahren zum Tatort. Sonny, Stan, Sie beginnen mit den Casinos."
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FÜNFUNDDREISSIG

Als Tubbs und Castillo knapp dreißig Minuten später in der Praxis von Dr. Tungston ankamen, war der Gerichtsmediziner Dr. Preston schon vor Ort. Vor dem Behandlungszimmer stand die Putzfrau, eine kleine dickliche Frau, zusammen mit einer Polizeibeamtin. Die Putzfrau hatte einen Schock. Sie lehnte bleich und zitternd an dem Empfangstresen und hielt sich mit einer Hand so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Es sah so aus, als würde sie jeden Moment umkippen, wenn sie losließe. Die Polizeibeamtin redete beruhigend auf sie ein und versuchte weitere Informationen von ihr zu erhalten. Dr. Preston begrüßte Castillo und Rico mit einem Nicken, das die beiden ernst erwiderten. Dr. Tungston lag am Boden seines Behandlungszimmers. Er trug seinen weißen Arztkittel, der jedoch etliche rotbraune Flecken von getrocknetem Blut aufwies. Ein Schnitt verlief am Hals von der linken Seite, knapp unter dem Ohr bis knapp unter das rechte Ohr. Nach der Menge des Blutes zu urteilen, hatte der Schnitt vermutlich beide Halsschlagadern durchtrennt. Unter der Leiche hatte sich eine große Blutlache gebildet. Das Blut war jedoch zum größten Teil bereits geronnen. Das Gesicht Dr. Tungstons wirkte nun grau und leblos, wie das einer Wachspuppe. Der Tote lag neben der schwarzen Behandlungsliege. In einem Eimer daneben befand sich blutiges Verbandsmaterial. Auf einem kleinen Kästchen, das als Ablage diente, stand eine Nierenschale mit einer Spritze, ein blutverschmiertes Skalpell, eine Nadel und eine kleine gebogene Scherenzange. Es war eindeutig, dass Dr. Tungston kurz vor seinem Tod noch einen Patienten ärztlich versorgt hatte. Eine Kugel war jedoch nirgends zu finden. "Dem Doktor wurden die Kehle und die Halsschlagadern durchtrennt", erläuterte nun Dr. Preston. "Nach der Gerinnung des Blutes und der bereits einsetzenden Leichenstarre zu urteilen, trat der Tod vermutlich zwischen 3 und 5 Uhr morgens ein." Er machte eine Pause, dann bückte er sich und holte etwas aus seinem Koffer hervor. "Da ist noch etwas, was ich euch zeigen möchte." Er hatte einen Beweisbeutel herausgeholt und reichte nun das Beweisstück Castillo. Es befand sich ein Chip eines Spielcasinos darin. "Casino Princesa" stand darauf. "Dieser Chip befand sich im Mund des Ermordeten", erklärte Dr. Preston. Das Casino Princesa befand sich am 100 South Biscayne Boulevard. "Wie können wir sicher sein, dass Tom diesen Arzt getötet hat?", fragte Rico später, als er und Castillo wieder im Auto waren und Richtung OCB fuhren. "Der Chip im Mund des Opfers ist ein Zeichen. Er will, dass wir ihn finden, aber zu seinen Bedingungen. Das gehört zu seinem Spiel", erklärte Castillo. "Erst lässt er sich verarzten und dann bringt er den Arzt um, nette Art seine Dankbarkeit zu zeigen", meinte Rico ironisch. "Er hat seine Dankbarkeit dadurch gezeigt, dass er ihn nicht folterte, sondern einfach nur schnell tötete", erwiderte Castillo. "Wirklich großzügig von ihm", entgegnete Rico sarkastisch. Die beiden kehrten ins OCB zurück, wo Sonny sie bereits erwartete. "Lieutenant, wir haben soeben einen Anruf von den Kollegen der Metro Dade erhalten. Sie haben Ricky und Benny gesichtet. Zwei Einheiten sind hinter ihnen her. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sie schnappen. Außerdem hat Trudy angerufen. Gina erzählte ihr, dass Tom es war, der Ricky und Benny den Tipp gegeben hat, dass sie Polizistinnen seien. Tom meinte, er wäre den beiden Jungs etwas schuldig, da ihre Familie ein guter Kunde sei. Was kann er damit gemeint haben?", fragte Sonny. Castillo zuckte mit den Schultern, genauer gesagt nur mit seiner linken Schulter, in der rechten hatte er immer noch Schmerzen. Castillo und Rico erzählten den anderen von dem Chip in Dr. Tungstons Mund. "Das ist ein Zeichen von Cat. Er spielt mit uns", erklärte Castillo. "Und was machen wir?", fragte Sonny. Castillo blickte ihn an "Mir gefällt das nicht. Der Hinweis ist zu offensichtlich. Ich vermute, er will uns dahin locken, damit er uns eine Falle stellen kann." "Aber wenn er uns zum Casino lockt, muss er doch damit rechnen, dass wir alles tun werden, um ihn dort zu schnappen", warf Sonny ein. "Das ist richtig," antwortete Castillo. "Aber vergessen Sie nicht, Tom ist ein absoluter Profi. Er weiß, was er tut. Wenn er uns dorthin lockt, dann wird er sich entsprechend vorbereiten. Aber da es die einzige Spur ist, die wir von ihm haben, werden wir das Spiel mitspielen und versuchen, die Spielregeln zu unseren Gunsten zu ändern." Sie diskutierten noch eine Weile und legten dann fest, dass mehrere Beamte getarnt als Spieler und als Sicherheitspersonal sich im Casino umsehen sollten. Castillo würde etwa eine Stunde später alleine das Casino betreten. Die anderen sollten zusammen mit einer zusätzlichen Einheit das Casino umstellen und ihm Rückendeckung geben. Sie hofften, auf diese Weise endlich die Katze im Netz fangen zu können.
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SECHSUNDDREISSIG

Tom saß in einem bequemen Lederstuhl im Überwachungsraum des Casinos. Er hatte sich lässig im Stuhl zurückgelehnt und die Füße auf den Schreibtisch vor sich gelegt. Er trug eine Polizeiuniform. Seine Haare hatte er blond gefärbt. Außerdem trug er einen falschen Schnauzbart und eine Sonnenbrille. Die Monitore hatte er bequem im Blickfeld. Die Tür zum Überwachungsraum hatte er sicherheitshalber zugesperrt, denn er wollte keine unliebsamen Überraschungen erleben. Da! – Auf einen der Monitore erkannt er Castillo, der gerade, sich umblickend, das Casino betrat. "Da ist ja mein Mäuschen ...", lächelte Tom vor sich hin. Er verfolgte Martin mit seinen Blicken auf den Monitoren. "Dachte ich mir doch, dass du den Hinweis verstehen würdest." Castillo durchschritt das ganze Casino und blickte sich weiterhin suchend um. Das Zentrum des Casinos bestand aus einem riesigen Raum, eigentlich einer Halle, mit großen Marmorsäulen. An den Decken hingen prunkvolle Kristallleuchter. Von der Halle aus konnte man in das angrenzende Restaurant oder in zwei verschiedene Bars gehen. Castillo durchschritt die Halle. Er ließ seinen Blick über die diversen Spieltische schweifen. Es gab neben zwei Roulette- und drei Black-Jack-Tischen auch noch mehrere Poker und Würfeltische. Das Casino war um diese Uhrzeit noch nicht sehr stark besucht. Dies würde sich vermutlich im Laufe des Abends ändern. Castillo vermutete aber, dass Tom zuschlagen würde, bevor das Casino gerammelt voll war. Er drehte eine Runde, sah dabei auch die Beamten in Zivil, die aber so taten, als würden sie ihn nicht kennen. Man konnte schließlich nicht wissen, ob Tom sie heimlich beobachtete. Castillo wandte sich wieder dem Ausgang zu. Als Tom sah, dass Castillo im Begriff war, das Casino wieder zu verlassen, stand er auf, um den Raum zu verlassen. Er blickte sich nochmals kurz um. In der Ecke des Raumes lag der Wachmann, der normalerweise heute Dienst gehabt hätte. Tom hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Auf dem Boden hatte sich bereits eine große Blutlache gebildet. "Schade, dass wir nicht mehr Zeit miteinander verbringen konnten, wir hätten bestimmt unseren Spaß gehabt", murmelte er vor sich hin mit Blick auf den Wachmann. Dann ging er hinaus, um Castillo zu folgen. Der Lieutenant verließ das Casino und trat hinaus in die kühle Abendluft. Es war tagsüber heute sehr heiß gewesen. Gegen Abend waren Wolken aufgezogen und der Wind hatte etwas aufgefrischt. Vermutlich würde es heute Nacht noch Regen geben. Castillo zog den Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und schritt auf seinen geparkten Dienstwagen zu. Nur wenige Meter, bevor er den Wagen erreichte, wurde er von hinten von einer Kugel getroffen. Castillo ging zu Boden. Die kugelsichere Weste - Rico hatte in vorausschauender Weise darauf bestanden, dass sein Chef eine anzog - hatte den Aufprall der Kugel abgefangen, aber trotzdem würde Martin morgen an dieser Stelle einen großen Bluterguss haben. Seine angeknackste Rippe schmerzte und das Atmen fiel ihm schwer. Seine Hände hatte er sich an dem rauen Asphalt aufgeschürft. Er rappelte sich auf, zog seine Waffe und wollte hinter seinem Auto in Deckung gehen, als ein weiterer Schuss erklang, der ihn nur knapp verfehlte. Die Seitenscheibe des Autos zersprang und kleine Glassplitter rieselten auf Castillo herab. Er brachte sich hinter dem Fahrzeug in Sicherheit. Ein weiterer Schuss peitschte durch die Luft und traf den Asphalt seitlich von ihm, sodass kleine Teersplitter hochgewirbelt wurden. Einer der Splitter traf ihn über dem Auge. Blut tropfte aus der Wunde und rann die Wange hinab. Er wischte sich mit der Hand das Blut ab, damit es ihm nicht ins Auge lief. Er hatte seinen Revolver gezogen und lugte nun hinter seiner Deckung hervor. Wo steckte Tom nur? Castillo vermutete, dass Tom sich ein Versteck auf dem Dach gesucht hatte, denn von dort aus hatte er einen guten Überblick auf den Parkplatz. Wieder ein Schuss. Die Kugel drang in den Kühler des Fahrzeuges, das hinter Castillo geparkt hatte. Eine Frau, die gerade aus einem benachbarten Gebäude trat, begann zu kreischen, als sie den Schuss in ihrer Nähe hörte. Das Geräusch eines Helikopters kam näher. Die Kollegen hatten ihn zur Unterstützung angefordert. Er kreiste nun über dem Casino und suchte das Dach und die nähere Umgebung ab. Die Kollegen, die das Gebäude umstellt hatten, waren bereits beim ersten Schuss losgestürmt, um den Schützen dingfest zu machen. Auch die Beamten im Inneren des Gebäudes hatten sofort alle Eingänge sperren lassen und das Gebäude gründlich durchsucht. Plötzlich erklang ein Knall. Der Hubschrauber begann sich unkontrolliert zu drehen. Das Heck des Helicopters stand im Flammen. Der Pilot versuchte den Hubschrauber unter Kontrolle zu bekommen, der kreiselnd in der Luft hin und her taumelte. Der Hubschrauber verlor an Höhe und stürzte Richtung Parkplatz.
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SIEBENUNDDREISSIG

Der Hubschrauber stürzte auf den Parkplatz und begrub ein Auto unter sich. Das Feuer bereitete sich aus. Nach wenigen Sekunden stand der gesamte Helicopter in Flammen. Eine Explosion erschütterte die Umgebung. Scheiben nahestehender Autos barsten und Glassplitter und Hubschrauberteile flogen umher. Castillo und die anderen Menschen auf dem Parkplatz konnten sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Die Polizisten an Board des Hubschraubers sowie der Co-Pilot sprangen aus der Maschine, als sie auf dem Boden aufprallten, und suchten ihr Heil in der Flucht. Durch die Druckwelle der Explosion wurden sie zu Boden geschleudert, wurden zum Glück aber nur leicht verletzt. Nur dem Piloten gelang es nicht mehr rechtzeitig, sich aus den Trümmern zu retten. Er starb in den Flammen. Die ganze Aktion war jedoch ein totaler Reinfall. Von Tom war weit und breit keine Spur zu finden. Es schien als hätte er sich in Luft aufgelöst. Er nutzte das kurzzeitig Chaos, das er durch den Abschuss des Hubschraubers auslöste, um unerkannt durch das Netz der Polizei zu schlüpfen. Nach der Aktion besuchte Sonny Gina im Krankenhaus. Trudy, die die meiste Zeit am Bett ihrer Freundin verbrachte, fuhr zurück ins Schutzversteck. Gina lag blass im weißen Krankenbett. Sonny saß an ihrer Seite und hielt ihre Hand. Mit leiser, zitternder Stimme erzählte Gina von den Stunden in Toms Gewalt. Tränen liefen ihr dabei übers Gesicht. Sonny streichelte ihre Hand und legte einen Arm um ihre Schultern. Er unterbrach sie nicht und hörte schweigend zu, während er innerlich kochte. Dieser Mistkerl! Für das, was du Gina angetan hast, wirst du büßen, schwor er sich. Das Vice-Team war frustriert. Sie standen wieder am Anfang ihrer Suche nach Tom. Sie hatten nichts in der Hand, keinen Hinweis, einfach nichts. Also machten sie sich daran, alle Mittelklasse Hotels und Motels aufzusuchen, um sich zu erkundigen, ob Tom bei ihnen abgestiegen war. In den nächsten zwei Tagen taten sie also fast nichts anderes, als ein Hotel oder Motel nach dem anderen zu überprüfen. Es war eine langweilige und nervige Arbeit. Sie arbeiteten dabei immer zu zweit. Von Tom war bisher keine Spur zu finden, aber Castillo wusste, dass Tom bald wieder zuschlagen würde. Doch dieses Mal wollte er ihm zuvorkommen. Rico wusste nicht, wie viele Dutzend Hotels und Motels sie bereits abgeklappert hatten, als sie zum Motel Blue Miami am Biscayne Boulevard kamen. Castillo parkte den Wagen vor dem Motel. Gemeinsam gingen er und Rico zur Rezeption. Die Empfangsdame begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln. "Was kann ich für sie tun, meine Herren?", fragte sie geschäftsmäßig. Sie war vermutlich erst Mitte Zwanzig und hatte ihre langen, blonden Haare hochgesteckt. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug und war nur dezent geschminkt. In einer anderen Situation hätte Rico nichts gegen einen Flirt mit dieser Dame einzuwenden gehabt. So aber zeigten sie beide nur ihren Dienstausweis und legten ein Bild von Tom auf den Tresen. "Miami Vice. Ist dieser Herr zufällig bei Ihnen abgestiegen?" fragte Rico ernst. Die junge Frau nahm das Foto und betrachtete es eingehend. Sie runzelte die Stirn. "Ich bin mir nicht ganz sicher. Es sieht Mr. Jonson von Nummer 8 ähnlich." "Wissen Sie zufällig, ob Mr. Jonson im Moment auf seinem Zimmer ist?", wollte Tubbs wissen. Sie wiegte nachdenklich ihren Kopf. "Er kam heute Nachmittag gegen fünf Uhr und ging sofort auf sein Zimmer. Ich weiß es deshalb so genau, weil ich gerade meinen Dienst angetreten hatte. Ich habe ihn seitdem nicht mehr weggehen" ...... Sie unterbrach sich. Ihr Blick fiel auf die parkenden Autos, die man von der Rezeption aus gut erkennen konnte. "Da ist Mr. Jonson! Er steigt gerade in den weißen Mercedes."
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  • 2 weeks later...

ACHTUNDDREISSIG

Castillo und Tubbs bedankten sich bei ihr mit einem Nicken und liefen zu ihrem Wagen. Martin hoffte, dass Tom sie nicht gesehen hatte. Sie stiegen ein und folgten dem Wagen mit großem Abstand. Über Funk riefen sie Verstärkung. Falls Tom sie bemerkt hatte, ließ er es sich nicht anmerken, denn er fuhr in gleichmäßigem Tempo weiter. Nach nur wenigen Minuten bog Tom-Cat in eine ruhige Seitenstraße ein. Castillo wartete einen Moment, ehe er ebenfalls abbog und fuhr in eine Parklücke am Anfang der Straße. Am Ende der Straße hing das Schild eines japanischen Restaurants. Es zeigte einen Bonsai vor der untergehenden Sonne. Tom parkte den Wagen, stieg aus, sperrte den Wagen ab und betrat das Restaurant. Castillo gab Rico den Auftrag vorerst im Wagen zu warten, die Tür zu bewachen und auf die Verstärkung zu warten. Er selbst nahm sein Funkgerät und seinen Revolver und folgte Tom ins Restaurant. Es war ein sehr kleines japanisches Restaurant. Es gab dort weniger als zehn kleine Tische. Das Restaurant schien aber ein Insidertipp zu sein, denn bis auf einen Tisch, waren alle besetzt. Tom nahm nun an diesem letzten freien Tisch in der Ecke Platz. An der Wand hingen zwei Bilder, die kämpfende Samurais zeigten. Die Bedienung eilte sofort herbei und überreicht ihm mit einem liebenswürdigen Lächeln die Speisekarte. Sie schien ihn zu kennen, vermutlich hatte er hier schon öfters gegessen. Castillo sah sich aufmerksam in dem Restaurant um, zog seinen Revolver und ging auf Tom zu. Bevor er dessen Tisch erreichte, sah dieser zufällig hoch, erblickte Castillo und reagierte blitzschnell. Mit einer raschen Bewegung war er aufgesprungen, und durch den kleinen Gang, der seitlich der Theke vorbeilief, verschwunden. Castillo bellte ins Funkgerät: "Tom flüchtet durch den Hinterausgang. Versuchen sie ihm den Weg abzuschneiden ...!“Dann nahm er die Verfolgung auf. Der Weg führte an der Theke entlang und an der Küche sowie einem kleinen Lagerraum vorbei. Tom hatte das Gebäude bereits durch die kleine Tür neben dem Lagerraum verlassen. Castillo lugte zunächst durch den Türspalt, konnte Tom aber nicht entdecken. Er stieß die Tür auf, beugte sich kurz vor, um dann sofort seitlich der Tür in Deckung zu gehen. Zwei Schüsse erklangen. Die Kugeln schlugen neben Castillo in der Wand ein. Castillo beugte sich kurz vor, sah Tom weglaufen und feuerte eine Salve von drei Schüssen ab. Tom hatte wohl damit gerechnet, denn er schlug Haken und hechtete hinter eine Hausecke. Castillo verließ mit einem Hechtsprung das Restaurant, rollte ab und versteckte sich hinter den Müllcontainern, die vor dem Restaurant an der Hauswand standen. Diesmal erklangen drei Schüsse. Tom traf jedoch nur die Mülltonnen. Der Duft von frisch gekochtem Essen, das aus dem Restaurant drang, vermischte sich mit dem Geruch von verfaulten Essensresten und Unrat. Martin verharrte völlig bewegungslos in seinem Versteck und lauschte. Da! Er hörte schnelle Schritte! Das musste Tom sein, der weiter lief. Der Lieutenant lugte kurz hinter den Müllcontainer hervor und nahm wieder die Verfolgung auf. Da nur spärliches Licht aus dem Restaurant drang und die Straßenlaterne kaputt war, achtete er stets im Schatten zu bleiben und von einer Deckung zur nächsten zu sprinten. Wieder erklangen drei Schüsse, die dieses Mal Castillo knapp verfehlten, ehe er in Deckung gehen konnte. Er sah Tom weiter flüchten. Er legte an. Drei Schüsse, aber keiner davon traf sein Ziel. Tom war jetzt in eine Nebengasse eingebogen. Seine Schritte hallten durch die Nacht. In der Ferne war das Rauschen des Verkehrs der Hauptstraße zu hören. Die Gasse war nur spärlich beleuchtet. Tom war nur als dunkler Schatten zu erkennen. Cat hatte bereits das Ende der Gasse erreicht. Er drehte sich halb um und gab weitere Schüsse auf Castillo ab. Dann bog er nach links ab. Für einen kurzen Moment verlor Martin ihn aus den Augen. Er beschleunigte, Tom durfte ihm nicht entkommen. An der nächsten Ecke musste er zunächst wieder stehen bleiben, um Tom nicht direkt ins Feuer zu laufen. Er hechtete um die Ecke und ging hinter einem Mauervorsprung in Deckung. Er hob kurz den Kopf und erblickte Tom, wie er gerade sein Versteck verließ, dabei noch einen Schuss nach hinten abgebend. Castillo feuerte erneut, zweimal, dreimal - beim dritten Mal erklang jedoch nur ein leises Klicken. Der Revolver war leer. Mist, er hatte keine Kugeln mehr. Wenn er jetzt nachlud, würde Tom ihm entkommen. Also sprang er auf und hetzte hinter Tom her. Nachladen konnte er später, sobald Tom wieder in Deckung ging. Er hoffte nur, dass auch Tom keine Kugeln mehr hatte. Er griff während des Laufes an seinen Gürtel und wollte sein Funkgerät greifen, um der Verstärkung Bescheid zu geben, in welche Richtung Tom rannte, aber das Funkgerät war verschwunden. Er musste es wohl vorhin verloren haben, als er versuchte sich mit einer Hechtrolle in Sicherheit zu bringen. Er hoffte, dass die Verstärkung sie bald aufstöbern würde. Rico startete sofort, nachdem er den Funkspruch Castillos empfangen hatte, den Wagen und wollte um das Gebäude herumfahren, um Tom den Weg abzuschneiden. Doch als er den Hintereingang erreichte, waren von Tom und Castillo nichts mehr zu sehen.
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NEUNUNDDREISSIG

Tom bog in eine dunkle Seitengasse ein und landete in einer Sackgasse. Er bemerkte einen Moment zu spät seinen Irrtum. Zurück konnte er nicht mehr, da ihm Castillo zu dicht auf den Fersen war. Durch einen kurzen Blick rundum erkannte er, dass es keinen Ausweg gab. Die Gasse endete an einer etwa zwei Meter hohen Mauer. Wenn er versuchen würde hinüber zu klettern, könnte ihn Castillo von hinten angreifen. Seinen Revolver hatte er bereits leer geschossen. Er blieb stehen und versuchte in aller Eile den Revolver nachzuladen. Zu spät! Castillo bog um die Ecke und ging hinter einer blechernen Mülltonne in Deckung. Tom warf den Revolver zu Seite, zog sein Messer und ging auf Castillo zu. Es war Zeit den letzten Kampf mit Castillo auszutragen. Martin sah, dass Tom den Revolver wegwarf und kam aus seiner Deckung heraus. In der Gasse gab es nur spärliches Licht, das von einer Lampe stammte, die über dem Eingang zu einem der kleinen, heruntergekommenen Wohnungen führte. Neben dem Eingang standen mehrere Mülltonnen, die überquollen vor Dreck. Müllsäcke lagen verstreut neben den Tonnen und es stank nach verfaultem Unrat. "Du hast keine Chance Tom. Du kommst hier nicht mehr weg. Die Verstärkung wird gleich hier sein. Gib lieber auf und lass dich widerstandslos festnehmen", forderte Castillo seinen Gegner auf, aber Tom entgegnete nur: "Du weißt, ich bin wie eine Wildkatze, die in der Gefangenschaft nicht überleben könnte. Ich werde niemals, niemals aufgeben." Tom stieß mit dem Messer kräftig zu. Castillo wich dem Angriff aus und gab Tom einen festen Handkantenschlag auf seinen Unterarm. Cat stöhnte. Vor Schmerz hätte er beinahe das Messer fallen lassen. Aber der Schmerz dauerte nur für den Bruchteil einer Sekunde. Tom packte das Messer wieder fester, sprang einen Meter zurück, um dieses Mal mit einem Fußkick zu kontern. Castillo wehrte den Kick ab und versetzte seinem Gegner mit der Faust einen Schlag gegen die Rippen. Blitzschnell stieß Cat mit dem Messer zu und verletzte den Lieutenant am Arm. Sofort setzte er mit einem Schlag in Richtung Martins Magengrube nach. Der Lieutenant sackte kurz zusammen und wich nach hinten aus. Er stieß gegen eine der Mülltonnen. Aus der Schnittwunde am Oberarm ran Blut und tropfte auf den Boden. Immer den Blick auf Tom gerichtet, tastete Martin nach dem eisernen Deckel der Tonne, ergriff ihn und schleuderte ihn gegen Tom, doch dieser wich geschickt aus. Mit einem kräftigen Tritt stieß Martin die Mülltonne um und gab ihr mit dem Fuß einen Schubs. Die Tonne rollte genau zwischen Toms Beine, der ins Straucheln geriet, sich aber gerade noch so auf den Beinen hielt. Der Müll verteilte sich am Boden. Castillo setzte nach und verpasste nun seinerseits Tom einen kräftigen Tritt in die Magengrube. Tom stöhnte, konnte aber Castillo noch einen kräftigen Schlag gegen seine verletzte Rippe verpassen. Dem Lieutenant blieb für einen Moment die Luft weg. Castillo wusste, dass er diesen Kampf nicht lange durchhalten konnte. Er hatte in den letzten Tagen einfach zu wenig Zeit gehabt, sich auszuruhen und seine Verletzungen auszukurieren. Sein Kopf schmerzte. Er atmete schwer und sein Herz schlug wie wild. Bei jeder unbedachten Bewegung schmerzte seine Schulter oder seine Rippen, aber er ignorierte den Schmerz und konzentrierte sich auf Tom. Er wusste, dass er Tom nur solange aufhalten musste, bis die Verstärkung eintraf. Er hoffte, dass dies bald geschah! In der Ferne hörte er Sirenen, die rasch näher kamen.

"Sag mir, wer dein Auftraggeber ist?" forderte Castillo, aber Tom lachte nur. Plötzlich erklang eine Stimme von hinten "Miami Vice, Waffe fallen lassen". Unbemerkt waren Sonny und Rico am Ende der Sackgasse aufgetaucht. Beide zielten mit schußbereiten Waffen auf Tom-Cat. Tom drehte sich jedoch nur kurz um und lachte erneut. Dann machte er einen Satz auf Castillo zu und versuchte ihm das Messer tief in den Bauch zu rammen. Aber Castillo hatte mit diesem Angriff gerechnet und wich geschickt aus. "Halt! Nicht schießen," rief Castillo, aber es war zu spät. Sonny hatte bereits den Abzug gedrückt und die Kugel traf Tom. Er verharrte für einen Moment in der Bewegung, dann gaben seine Beine nach und er fiel auf die Knie. Er röchelte schwer, dann kippte er nach vorne um und lag mit dem Bauch auf dem Boden. Die Kugel hatte ihn in den Rücken auf Höhe des Herzens getroffen. Blut lief aus Toms Mund. Sein Atem ging ungleichmäßig und schwer. Castillo kniete sich neben ihm nieder. "Sag mir den Namen," forderte er. Aber Tom verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, das wohl ein hämisches Grinsen darstellen sollte. Mit letzter Kraft stammelte er mit leiser, ersterbender Stimme: "Das musst du sel... selber herausfinden, wo bleibt denn da sonst der Spa - Spa - Spaß ..." Seine Stimme erstarb, das Röcheln verstummte. Tom war tot. Major Wong schritt im Atrium auf und ab. Nun gut, er hatte diese Runde verloren. Aber es gab noch viele Tom Cats da draußen, die sich über einen lukrativen Auftrag freuen würden. „Es ist noch nicht vorbei, Lieutenant Martin Castillo!“, murmelte Wong leise vor sich hin. ENDE
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