Wettlauf gegen die Zeit - Die Story


Christine

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EINS SONNTAG, 8:00 hDie Frau biss die Zähne zusammen, um das schmerzvolle Stöhnen zu unterdrücken, das automatisch ihren Lippen entfleuchen wollte, als sie quälend langsam die Augen öffnete. Sie lag in einer verdrehten Position auf einem harten Untergrund. Sie versuchte sich etwas zu drehen und biss sofort die Zähne aufeinander.Nein, kein Geräusch verursachen! Nichts tun, was ihm mitteilte, dass sie nicht mehr bewusstlos war!Sie blinzelte und richtete sich sehr mühsam auf. Das Bild vor ihren Augen war verschwommen, floss ineinander wie die Farben auf einer Palette. Sie sah dunkle Flecken, etwas hellere und ein fast blendend helles Rechteck. Von irgendwoher drang ein endlos erscheinendes, leises Geräusch an ihr Ohr, aber noch nicht bis in ihr Hirn vor.Sie erinnerte sich an eine Sitzgarnitur aus schwarzem Leder, einen staubigen Glastisch und einen großen Schrank. Ein Wohnzimmer! Das helle Rechteck musste demnach ein Fenster sein.Wenn ich es bis dahin schaffe und vielleicht ... , dachte sie hoffnungsvoll, aber sie wusste, dass es sinnlos war, noch ehe sie den Gedanken zu Ende brachte. Sie würde es in ihrem bedauernswerten Zustand wahrscheinlich nicht mal bis zu diesem Fenster schaffen, geschweige denn hinaus und bis zur Straße würde sie erst recht nicht kommen. Bis dahin hatte er ihr Verschwinden längst bemerkt und sie eingeholt.Und dann?Es war besser, nicht darüber nachzudenken.Ihr Blick, der allmählich etwas aufklarte, gewahrte das Telefon. Es lag auf dem Boden. Der Hörer war heruntergerutscht. Jetzt erst fiel ihr auch das leise Geräusch auf, das sich durch die Watte, die in ihrem Kopf zu sein schien, langsam bis in ihr Hirn vor arbeitete.Das Telefon funktioniert noch! , schoss es durch ihren Kopf. Entweder weiß Ben es nicht oder er hat es vergessen. Vielleicht aber denkt er auch, ich wäre sowieso zu schwach, um irgendetwas damit anzustellen.Ohne weiter nachzudenken rutschte sie über den Boden auf das weiße Gerät zu, dessen „tuuuuuut“ sie zog, als hinge sie an einer unsichtbaren Schnur. Sie musste es bis dorthin schaffen! Es musste ihr einfach gelingen Hilfe herbei zu holen, wenn sie nur all ihre Kräfte mobilisierte und sich konzentrierte.Hoffentlich blieb er nur lange genug weg, damit sie alles sagen konnte, was der Anrufer wissen musste, um sie finden zu können.Wenn sie nur klarer denken könnte! Ihre Gedanken wirbelten immer wieder in einem wilden Reigen durcheinander und sie spürte bereits, wie ihre Kräfte nachzulassen begannen.Nicht aufgeben! , versuchte sie sich selber Mut zu machen. Du schaffst es! Du wirst ihn anrufen und dann wird alles gut!Sie erreichte das Telefon und gab mit zittrigen Fingern die erste Nummer ein, die ihr durch den Kopf schoss. Hoffentlich ist er da! Oh, bitte, lass ihn zu Hause sein!Das Freizeichen ertönte. Mit einem Ohr lauschte sie auf die Geräusche im Haus. Sie hörte ihn herumrumoren. Etwas rutschte über den Boden. Dann hustete er. Ein keuchender Husten, wie ihn nur Raucher hatten. Die Qualmerei war eben ungesund. Im Moment wünschte sie sogar, er würde auf der Stelle daran verrecken.Wieder ertönte ein schleifendes Geräusch und während sie ungeduldig darauf wartete, dass am anderen Ende endlich jemand den Hörer abnahm, fragte sie sich, was er da gerade machte. Etwas Gutes war es sicher nicht.Es tutete weiter. Geh endlich ran! , dachte die Frau verzweifelt. Komm schon! Nimm den verdammten Hörer ab!Schritte näherten sich plötzlich über die Betontreppe...

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ZWEIRicos Blick wanderte über die beiden Koffer und die Reisetasche, die im Flur standen wie Hindernisse bei einem Reitturnier.Das war es also! Das war alles, was von fünf Jahren seines Lebens übrig blieb. Erbärmlich wenig, wenn man es genau betrachtete, aber mehr, als er mitbrachte, als er damals mit nur einer Reisetasche hier in Miami angekommen war.Gegen seinen Willen lächelte Rico, als sein Blick an der schwarzen, ledernen Reisetasche hängen blieb. Da er sich nie von ihr hätte trennen können war sie auch jetzt wieder mit von der Partie. Irgendwie erschien sie ihm wie ein Symbol für den Neuanfang. Genau darum ging es auch jetzt wieder.Eine Woche lang hatte er darüber nachgedacht, was er nun tun und wohin er gehen sollte, nachdem er seine Dienstmarke demonstrativ auf den Boden geworfen und damit seinen Job bei Vice gekündigt hatte.Sonny hatte den Süden vorgeschlagen und bereits die Anker der St. Vitus Dance gelichtet.Stan, der in dieser einen Woche drei Mal erfolglos versucht hatte Rico zum Bleiben zu überreden, hatte gesagt, dass Sonny Castillo erklärt hatte, das Boot stünde ihm als Abfindung zu. Castillo hatte nicht widersprochen und Sonny davon segeln lassen.Rico war sich nicht sicher, ob er wirklich nach Süden gehen wollte. Auch eine Rückkehr nach New York erschien ihm sehr reizvoll.Am Ende dieser Woche des Nachdenkens hatte er Freddie Johnson, seinen Freund und früheren Kollegen angerufen. Freddie war inzwischen zum Lieutenant aufgestiegen und leitete die Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens.Freddie hörte ich an, was Rico ihm erzählte, ohne den Freund auch nur einmal zu unterbrechen. „Natürlich kannst du kommen, Rico“, sagte er schließlich. „Das Problem ist nur... na ja, ich denke, es ist dir klar, dass du nicht mehr bei der Polizei arbeiten darfst, nach allem, was du dir damals geleistet hast. Ich könnte dich aber vielleicht bei einem Freund unterbringen, der eine Privatdetektei besitzt. Er hat einen sehr guten Ruf und könnte jemanden mit so viel Erfahrung, wie du sie hast, sicher gut gebrauchen. – Ach, komm erst mal nach New York. Wenn du magst, kannst du gern bei uns im Gästezimmer wohnen, bis du eine eigene Bleibe gefunden hast. Ireen wird sich freuen.“„Das ist wirklich toll. Danke“, freute sich Rico. „Ich melde mich, sobald ich hier alles geregelt habe und weiß, wann meine Maschine in New York landet.“In den nachfolgenden drei Wochen hatte er alle wichtigen Dinge erledigt: die Wohnung gekündigt, sein Auto verkauft und seine Konten aufgelöst. Acht Einzelpersonen und drei paare waren in dieser Zeit durch sein Appartement marschiert, um es sich anzusehen und er war noch mal zu den verschiedenen Orten gegangen, die im Laufe der vergangenen fünf Jahre eine bestimmte Bedeutung für ihn erlangt hatten.Einmal hatte er Sonny au de Boot angerufen, um zu fragen, wie es dem Freund jetzt ging.„Großartig“, hatte Sonny geschwärmt. „Ich ankere nahe einer wundervollen Insel, habe meine Ruhe, die Beine hoch gelegt und genieße einen Drink.“„Und was hast du sonst noch so geplant?“, wollte Rico wissen. Er hörte Eiswürfel gegeneinander klirren, als Sonny einen Schluck trank.„Mal sehen“, erwiderte Sonny vage. „Ehrlich gesagt habe ich noch keine konkreten Pläne. Was ist mit dir?“„Ich kehre erst mal nach New York zurück“, antwortete Rico. „Ich kann vielleicht als Privatdetektiv arbeiten, aber ich weiß noch nicht genau, ob ich das machen werde oder etwas anderes.“Und nun stand er hier in seinem Appartement. Seine Habseligkeiten passten in zwei große Koffer und eine alte Reisetasche. Die Möbel würde er hier lassen. Die Ärztin, die nächste Woche einzog, hatte sie ihm erfreut abgekauft.Das Telefon klingelte und Rico zuckte kurz zusammen. Einen verrückten Moment lang dachte er tatsächlich, dass Castillo ihn anrief, um ihm zu sagen, sie hätten einen neuen Fall.Er schüttelte den Kopf. Nie wieder Vice! Nie wieder mit Sonny durch die Straßen brausen! Nie wieder Fälle in Miami! , dachte er, während er zu dem Telefon eilte, das auf einem Sideboard im Wohnzimmer stand. Er hob den Hörer ab.„Ja?“Jemand atmete gepresst. Leise keuchend. Wie unter einer enormen Anstrengung oder nach einem ungewohnten Lauf. Dann hörte Rico eine sehr leise, fast flüsternde weibliche Stimme: „Rico... hilf mir!“„Wer ist da?“, fragte Rico. Er merkte, dass er den Atem anhielt, als befürchtete er, er könnte etwas verpassen, wenn er zu laut atmete. Sein Herzschlag beschleunigte sich automatisch und seine Hände fühlten sich mit einem Mal feucht an. Auch auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißtropfen.„Bitte, hilf mir!“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch.„Wer ist denn da?“, wiederholte er seine Frage, während er sein Hirn bereits versuchte die Stimme irgendeiner Frau zuzuordnen. Sie sprach jedoch zu leise und verwaschen.„Du musst mir... helfen! Er... will mich... töten!“Rico vernahm ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Etwas, dass klang wie ein... Pfeifen, dann polterte etwas.„Oh, Gott, er kommt!“, wisperte die Frau panisch.„Hallo!“, rief er. „Bitte antworten Sie mir doch! Wer sind Sie?“, rief er und presste den Hörer so fest gegen das Ohr, dass es schmerzte, doch die Leitung war tot.

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DREIEtwa drei Sekunden lang stand Rico da, hielt den Hörer in der Hand und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Die Frau brauchte Hilfe und sie hatte ihn angerufen, weil sie ihn kannte. Gut genug jedenfalls, dass er ihr irgendwann seine private Telefonnummer gegeben hatte, aber nicht so gut, dass er ihr verraten hätte, dass er gerade dabei war, Miami für immer den Rücken zu kehren.Rico tippte eine Nummer in den Apparat, denn es gab nur eins, was er jetzt tun konnte. Er musste Castillo anrufen, ihm den Anruf schildern und ihn um Hilfe bitten.Es klingelte zwei Mal, ehe der Lieutenant sich meldete.„Hier ist Tubbs. Ich habe gerade einen Hilferuf von einer Frau erhalten und brauche dringend Unterstützung. Sie klang sehr ernst, war offensichtlich in Todesangst.“Castillo zögerte keine Sekunde. „Kommen Sie auf dem schnellsten Weg ins OCB“, bat er, ehe er auflegte.Rico wählte die Nummer einer Taxizentrale, um ein Fahrzeug zum Sunset Drive zu beordern.„Das dauert 15 – 20 Minuten“, erklärte eine gelangweilte Frau am anderen Ende der Leitung.Rico konnte sie regelrecht vor sich sehen: Eine Studentin, Anfang bis Mitte zwanzig. Wahrscheinlich kaute sie Kaugummi und neben ihr lag vermutlich das Buch, in dem sie gerade lernte und deshalb nervte es sie total, wenn irgendjemand anrief... auch, wenn sie Geld für die Vermittlung bekam.„Geht es nicht schneller?“, fragte er.„Nur, wenn Sie den Bus nehmen“, kam die trockene Antwort.„Danke“, erwiderte Rico. „Schicken Sie mir das Taxi.“„Geht klar.“Nachdem er aufgelegt hatte, tigerte Rico in der Wohnung herum. Blieb am Telefon stehen. Sollte er...? Nein, er hatte keine Berechtigung dazu.Er ging bis zum Fenster und blickte einen Moment lang hinaus. Der Anblick würde ihm fehlen, aber das hatte er sich in den vergangenen Wochen oft genug vorgebetet. Er hatte eine Entscheidung getroffen und stand dazu. Man musste die Dinge so akzeptieren, wie sie waren.Er drehte sich um, marschierte nach nebenan und warf einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster, ehe er umkehrte und erneut neben dem Telefon verharrte.Es wäre ja schon toll, wenn er und Sonny...!Nein, daraus wurde nichts. Sie waren beide nicht mehr im Dienst und Sonny würde nicht zurückkommen. Auf keinen Fall!Schließlich verließ Rico die Wohnung, um an der Straße ungeduldig auf das Taxi zu warten. Immer wieder blickte er auf die Uhr und je weiter die Zeiger voranschritten, desto größer wurde seine Ungeduld. Es dauerte beinah dreißig Minuten, ehe das Taxi endlich auftauchte. Er stieg schnell ein und nannte dem Fahrer die Adresse der Import – Exportfirma, hinter der sich Vice verbarg.Der Fahrer, dem Namen auf dem kleinen Schild nach zu urteilen ein Grieche, versuchte ihm ein Gespräch aufzudrängen: über das hervorragende Baseballspiel seiner offensichtlichen Lieblingsmannschaft am vergangenen Sonntag, das eher mittelmäßige Spiel der Miami Heats gegen die Dallas Mavericks, und als er merkte, dass auch das keinen Anklang fand, kam er auf das Wetter zu sprechen.Rico antwortete einsilbig, während sich seine Gedanken unaufhörlich um die Frau in Todesangst drehten. Wer mochte sie sein? In der letzten Zeit war er kaum dazu gekommen auszugehen und jemanden kennen zu lernen. Ein Fall hatte den nächsten gejagt und er war oft sehr froh gewesen, wenigstens ab und zu eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. In solchen Zeiten besuchte man nur Clubs und Bars, um sich mit Gangstern oder Informanten zu treffen.Wenn man nun die Tatsache dazu nahm, dass sie seine Privatnummer kannte, musste es sich um jemanden handeln, den er schon länger kannte. Vermutlich waren sie etliche Male miteinander ausgegangen, bis er sicher gewesen war, dass er ihr vertrauen konnte. Dennoch hatten sie die Beziehung beendet. Wahrscheinlich war sein Job Schuld, die wenige Zeit, die er für sein Privatleben erübrigen konnte.Gegen seinen Willen musste Rico lächeln. Ironisch versteht sich, denn es hatte nur sehr wenige Beziehungen gegeben, die auf normalem Weg beendet worden waren. Meistens hatte er das Pech gehabt, sich in eine Frau von der gegnerischen Seite zu verlieben, die er dann verhaften musste. Kam sie von der „richtigen“ Seite, verlor sie ihr Leben. Demnach konnte es sich bei der Frau, die ihn um Hilfe gebeten hatte, nur um eine ehemalige Strafgefangene handeln.Rico durchforstete sein Hirn nach entsprechenden Personen, aber die Frauen, die ihm einfielen, hatte er nicht so lange gekannt, dass sie erfahren hätten, wo er wohnte oder wie seine Telefonnummer lautete.Das Taxi hielt vor dem Gebäude, in dem das OCB untergebracht war. Rico entlohnte den Fahrer und legte ein großzügiges Trinkgeld obendrauf. Der Taxifahrer konnte schließlich nichts dafür, dass ihm nicht nach Konversation zumute gewesen war.Rico sprintete ins Gebäude. Auch wenn es noch gar nicht lange her war, dass er hierher gehörte hatte er sich inzwischen innerlich doch damit angefunden, dass es nun anders war. Na ja, meistens jedenfalls, abgesehen von kleinen idiotischen Momenten wie eben, als die Frau anrief und er seltsamerweise geglaubt hatte, es könnte sich um einen neuen Fall drehen. Wie sonderbar, dass es letztendlich tatsächlich so war, wenn auch nicht für ihn. Dennoch war es ein merkwürdiges Gefühl jetzt hier durch die Gänge zum Vice – Büro zu rennen. Ein bisschen kam es ihm so vor, als läge nur ein längerer Urlaub hinter ihm.Rede dir nichts ein, Tubbs, dachte er ironisch. Du hast deine Entscheidung getroffen und sie doch bisher eigentlich nicht bereut. Du hattest keine Lust mehr auf den Stress und die Korruption gegen die du zusammen mit Sonny immer so vergeblich angekämpft hast wie Don Quichotte gegen die Windmühlen. Manchmal muss man Dinge beenden und du hast es zum richtigen Zeitpunkt getan. Oder etwa nicht?Castillo erwartete ihn bereits in seinem Büro: Schwarzer Anzug, blütenweißes Hemd, schmale Krawatte. Jedes Haar lag perfekt an seinem Platz. Seine Hände waren ineinander verschlungen und ruhten mit den Handkanten auf der Schreibtischkante. Auf dem Schreibtisch selbst herrschte penible Ordnung und nicht ein Stäubchen wagte es, sich unverschämterweise darauf niederzulassen.Der Blick des Lieutenants saugte sich regelrecht an Rico fest, als dieser auf dem Sofa Platz nahm, das rechts an der Wand stand. „Ich glaube, wir wissen bereits wer sie ist, Tubbs“, sagte er mit beinah emotionsloser Stimme.

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VIERDie Sonne brannte von einem fast unverschämt blauen Himmel herab, an dem nur hier und da winzige, sich kaum verändernde Wölkchen lngsam des Weges zogen. Es hatte den ganzen Tag über kaum Wind geben, eine Seltenheit am Meer, aber ein Grund zum nörgeln für die Segler und Windsurfer, die gezwungen waren, den Tag an Land zu verbringen.Sonny Crockett interessierte das alles herzlich wenig. Er war in Cornwall, am südlichsten Zipfel von Great Abaco Island vor Anker gegangen, um einige Vorräte aufzufüllen. Es gefiel ihm jedoch in der Stadt und so beschloss er, ein paar Tage zu bleiben. Es drängte ihn ja nichts weiter zu fahren.Nachdem er alles an Bord geschleppt hatte, was er in etwa für zwei Wochen benötigte, saß er an Deck, beobachtete die Menschen im Hafen und dachte nach.Seit drei Wochen schipperte er herum, blieb, wo es ihm gefiel und so lange es ihm gefiel. Dann fuhr er weiter. Ließ sich einfach vom Wind irgendwohin treiben. Es war spannend und gleichzeitig sehr entspannend. Im Moment mochte er diese Art Leben noch sehr gern. Keine Zwänge haben. Keine Treffen mehr mit Typen, denen er am liebsten den Hals umgedreht hätte. Kein schlüpfen mehr in die Rolle einer Person, die er wirklich nicht war. Kein Zeitdruck mehr... überhaupt kein Druck mehr!Na ja, nicht ganz. Der Druck, der ihn dazu trieb nachzudenken war eigentlich ein fehlender Druck, der damit zusammenhing, dass sich sein Geldbeutel zunehmend leerte. Sonny machte sich nichts vor. Er wusste, dass er in zwei, vielleicht auch erst in drei Wochen nach einem Job Ausschau halten musste. Schließlich besaß er weder einen Geldesel, noch konnte er das Kleingeld, das er brauchte, aus dem Ärmel schütteln, und das mit dem reichen Papi, dessen Geldvorrat unbegrenzt war, hatte ja auch nicht geklappt.Sein Blick folgte zwei leicht bekleideten, hübschen, jungen Frauen, die gezielt zu einer ansehnlichen Jacht marschierten. Nichts, womit er konkurrieren konnte, auch wenn die Ladies sich unterwegs umdrehten, zu ihm herüber blickten, lächelten und miteinander tuschelten. Die Jacht, zu der es sie wie magisch hinzog, war mindestens vier Mal so groß wie die St. Vitus Dance und von entsprechendem Wert.Als das Telefon klingelte, war Sonny versucht, es zu überhören. Wer sollte ihn schon anrufen? Tubbs vielleicht, um sich endgültig zu verabschieden. Sonny hoffte, dass ihre Freundschaft dennoch andauerte, auch wenn sie sich nur sehr selten sehen konnten.Vielleicht war auch Gina am anderen Ende. Mit ihr hatte er einmal am Telefon gesprochen, um ihr zu erklären, warum er so und nicht anders hatte handeln müssen. Er war sich aber nicht sicher, ob sie seine Beweggründe wirklich verstanden hatte. Zumindest hatte er, als sie sich verabschiedet und recht schnell aufgelegt hatte, irgendwie das Gefühl gehabt, sie wäre eingeschnappt.Caroline hatte er ebenfalls angerufen. Schließlich musste sie erfahren, dass er, wenn etwas mit Billy war, nicht mal eben ins Flugzeug steigen und nach Atlanta kommen konnte. Sie hatte ruhig reagiert und nur gesagt: „Wenn du denkst, dass du das Richtige tust, dann mach es.“Sonny erhob sich und tappte zu dem Telefon hinüber, das, wie sehr häufig, achtlos auf dem Kabinendach lag.„Ja?“, fragte er, wie er das all die Jahre getan hatte. Er nannte seinen Namen nur, wenn er einen Anruf erwartete, und dann hatte er sich selten mit Crockett gemeldet, sondern meistens mit Burnett. Doch Burnett war gestorben und beerdigt. Deckel drauf und ab in die Versenkung mit ihm!Nachdem er den ersten Worten des Anrufers gelauscht hatte straffte er sich jedoch. Sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an und seine Augen fixierten einen unbestimmten Punkt irgendwo auf dem Ozean.Am anderen Ende war in der Tat Tubbs, aber der Freund rief nicht an, um sich zu verabschieden, sondern um ihm von einem Hilferuf zu erzählen, den er erhalten hatte und den Castillo bereits einer Person zuordnen konnte.„Wirst du kommen?“, wollte Rico am Ende seines Berichts wissen.In Sonnys Hirn rasten die Gedanken hin und her wie Blitze an einem Gewitterhimmel. Er hatte nie wieder nach Miami zurückkehren und erst recht nie wieder als Polizist arbeiten wollen. Er hatte keine Lust mehr auf Gefahren und das Wissen, dass er sich jeden Tag und zu jeder Zeit eine Kugel einfangen oder, wie manch einer seiner Kollegen, durch den Sprengsatz irgendeines Idioten ums Leben kommen konnte. Er wollte nicht mehr viele Stunden seines Lebens damit vergeuden hinter Gangstern herzujagen, deren Einfluss sich als so groß herausstellte, dass sie ungeschoren davon kamen.„Natürlich komme ich“, hörte er sich sagen. „In zwei Stunden bin ich da!“Dann legte er einfach auf und machte sich daran den Motor, den die St. Vitus ebenfalls besaß, anzuwerfen, den Anker zu lichten und sich auf den Weg zu machen.Inzwischen lief die Zeit...

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FÜNFObwohl Ricos Telefon nur wenige Male geklingelt hatte, ehe er abhob, war es ihr wie eine Ewigkeit erschienen. Ihre Kräfte waren bereits fast vollständig aufgebraucht, bis sie überhaupt robbend das Telefon erreicht hatte, und ihre zittrigen Finger hatten es kaum geschafft die Nummer einzutippen. Erstaunlicherweise hatte sie sich auf Anhieb an Ricos Nummer erinnert. Erst, als das Freizeichen ertönte schoss ihr durch den Kopf, dass er nicht mehr bei Vice arbeitete, Miami verlassen wollte und sich vielleicht längst auf dem Weg nach New York befand.Rico arbeitete nicht mehr bei Vice!Als er endlich abhob blieb ihr gerade genug Zeit ihn um Hilfe zu bitten, ehe sie ihren Peiniger auf der Treppe hörte. Instinktiv hatte sie aufgelegt und es sogar geschafft, sich ein Stück vom Telefon zu entfernen. Sie legte sich hin und schloss die Augen.Ganz sicher war es nicht die Position, in der Ben sie zurückließ, aber die Frau bezweifelte, dass er sich so genau daran erinnerte. Wichtig war nur, dass er nicht auf den Gedanken kam, sie könnte telefoniert und einen Hilferuf abgesetzt haben. Dann tötete er sie wahrscheinlich sofort, um kein Risiko einzugehen. Sich bewusstlos zu stellen war im Moment vermutlich ihre beste Chance zu überleben, auch wenn es unlogisch klang.Sie lag mit geschlossenen Augen da und lauschte. Es war schwer, Bens Schritte durch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und das Dröhnen des eigenen Herzschlags zu hören.Er hustete wieder. Das erste, was ihr in die Nase stieg, war der Gestank nach kaltem Rauch. Dann beugte er sich über sie, packte sie und riss sie höchst unsanft in die Höhe. Ein schmerzvolles Stöhnen entrang sich ihren Lippen und sie öffnete die Augen. Da warf er sie aber bereits wie einen Mehlsack über seine Schulter und setzte sich in Bewegung.Der aquamarinblaue Teppich, der den Boden des Wohnzimmers bedeckte, huschte vorbei, dann der helle Steinfußboden der Küche. Einen Moment später umfing sie das Dämmerlicht eines Treppenabgangs. Nicht viele Häuser in Miami besaßen einen Keller.Die Frau wünschte, sie wäre in der Lage sich zu wehren, könnte ihn beißen, treten und kratzen, aber das alles hatte sie schon erfolglos versucht. Ihre Kraft reichte nicht aus, um sich ihm zu widersetzen.Sie zählte fünfzehn Stufen. Dann trug er sie einen ebenfalls dämmrigen Gang entlang, ehe er stehen blieb, um eine leise protestierend quietschende Tür aufzustoßen. Wenig später warf er sie äußerst unsanft auf eine Trage, wie man sie für den Transport in Rettungsfahrzeugen benutzte.Die Gefangene stöhnte erneut auf. Ihr Kopf schmerzte, Sterne tanzten vor ihren Augen. Sie spürte, dass er sie festband, ihre Hände mit einem groben Strick fesselte.„Warum tus´ du das, Ben?“, nuschelte sie. Ihre Lippen waren geschwollen und spannten beim Sprechen.„Ich will nicht, dass du herunterfällst“, antwortete der Mann in ironischem Tonfall, während er ein Lederband um ihre Knöchel zog. Danach verklebte er ihren Mund mit einem breiten Klebeband, das er zwei Mal um ihren Kopf herumwand, um ganz sicher zu gehen, dass sie es nicht irgendwie herunter bekam.„Ich möchte, dass du weißt, was nun geschehen wird“, sagte er dann. Sein Tonfall hatte gewechselt und schwankte jetzt zwischen Stolz und geheucheltem Mitgefühl. „Ich drehe jetzt das Wasser auf. Nach meinen Berechnungen wird es vierundzwanzig Stunden dauern, bis es so hoch steht, dass du ertrinkst. Ich finde die Zeitspanne sehr angemessen, denn mir gibt es die Möglichkeit, meine Geschäfte zu beenden, und du bekommst vielleicht die Chance dich zu befreien. Ich finde das fair.“Ben entfernte sich. Die Frau wandte den Kopf, um hinter ihm herzusehen, aber er lief in eine Ecke... und drehte einen Wasserhahn auf. Gleich danach eilte er zur anderen Seite. Auch dort rauschte Sekunden später das Wasser.Sie konnte den Kopf etwas in den Nacken legen, sah aber dennoch nur wenig und spürte schnell einen stechenden Schmerz hinter der Schädeldecke, der sie veranlasste, den Kopf wieder gerade hinzulegen.Nun lief er an ihr vorbei zu einem Platz, der sich irgendwo hinter ihrem Kopf befand. Sie hörte, wie er auch hier das Wasser aufdrehte. Es prasselte auf den Boden. Dann kam der Mann wieder zu ihr. „Übrigens ist die Tür so konzipiert, dass das Wasser im Raum bleibt und nicht unter der Tür durchsickert. Vielleicht wird jemand zufällig etwas bemerken, wenn es dort oben am Fenster hinausläuft, aber dann ist es für dich längst zu spät.“Er ging zur Tür, doch das leise Quietschen ging unter im Rauschen des Wassers. Er seufzte theatralisch. „Schade, dass es so enden muss. Du bist wirklich eine tolle Frau, aber leider stehst du auf der falschen Seite. Mach´s gut, Trudy!“

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SECHSCastillo griff in die oberste Schublade seines Schreibtischs und holte Ricos Dienstmarke heraus. Er reichte sie über die Tischplatte und Rico stand ohne zu zögern auf, um sie zu nehmen. Er wusste, dass er nur an dem Fall mitarbeiten durfte, wenn er wieder im Polizeidienst war. Nachdem Castillo ihm gesagt hatte, um wen es sich handelt, war ihm klar, dass er keinesfalls nach New York fliegen konnte. Nicht, ehe das hier wieder in Ordnung gebracht war.Gleich danach telefonierte er mit Sonny, den nicht nur er dringend mit im Boot haben wollte. Er stornierte seinen Flug und rief Freddie an, damit dieser nicht vergeblich zum Flughafen fuhr.„Ich wurde aufgehalten und werde zu einem späteren Zeitpunkt kommen. Ich rufe dich dann wieder an. Grüß Ireen von mir“, sagte er, ehe er auflegte.Zusammen mit Castillo, Gina und Stan marschierte er anschließend hinüber in den Besprechungsraum, wo wenig später auch die beiden Detectives eintrafen, die Rico und Sonny ersetzen sollten: Fernando Finacchiaro und Damian Parson.Fernando wirkte unscheinbar. Er war ein mittelgroßer, spindeldürrer Latino von Anfang bis Mitte zwanzig, der mit entsprechend jugendlichen Klamotten wahrscheinlich auch unter Fünfzehnjährigen nicht wirklich aufgefallen wäre. Bei der Undercoverarbeit konnte dies von unschätzbarem Wert sein.Er besaß fast schwarze, melancholisch wirkende Augen und ebenholzschwarzes Haar. Die Frauen flogen sicher auf ihn, ein weiterer Pluspunkt für den Job.Damian war das absolute Gegenteil dazu. Er war ein muskelbepackter, schwarzer Hüne mit einem kantigen Gesicht, dessen bloße Erscheinung bereits furchteinflößend wirkte. Rico wiederholte, was die Frau am Telefon gesagt hatte. Danach berichtete Gina, wie sie herausfanden, dass es sich bei der Anruferin nur um Trudy handeln konnte.„Wir sind an einem neuen Fall dran, Menschenschmuggler, die ihre Opfer zusätzlich zum Drogenschmuggel missbrauchen. Wir fanden fünf Tote mit einer extrem hohen Drogenkonzentration im Blut, zwei davon waren noch Kinder, gerade mal zwölf Jahre alt. Es gab einige Hinweise von Informanten, die uns die Richtung wiesen.Trudy sollte versuchen Kontakt mit der Bande aufzunehmen und ihnen zu erzählen, sie hätte Verwandte, die sie dringend aus Kuba herausholen wollte. Alles verlief planmäßig. Es gab ein Vortreffen für ein erstes Kennenlernen... na, du weißt schon...! Der oberste Boss, der als sehr vorsichtig gilt, schickte allerdings nur einen eher unbedeutenden Handlanger....“„Nannte Trudy den Namen des Mannes, mit dem sie sich getroffen hatte?“, unterbrach Rico sie.Gina zog eine Grimasse. „Ja, angeblich hieß er John.“„Mit Nachnamen wahrscheinlich Doe“, warf Stan ironisch ein.Gina fuhr fort: „Alles verlief planmäßig. Ich schätze, sie haben Trudy überprüft und für harmlos befunden. Gestern Abend hatte sie deshalb endlich eine Verabredung mit dem Boss...“„Jetzt sag nicht, dass sie schon so lange verschwunden ist!“, warf Rico entsetzt ein. „Nicht schon, seit dieser Verabredung, oder?“Gina schüttelte den Kopf. „Nein, der Kerl kam nicht. Trudy wartete über eine halbe Stunde...“„Daran ist dieser Leyland Schuld“, schnaubte Stan wütend. Die Art, wie er den Namen aussprach, klang, als spräche er von einem besonders widerlichen Insekt und nicht von einem Kollegen.Rico blickte ihn erstaunt an und wartete auf eine Erklärung, doch sie kam nicht von Stan, sondern von Damian Parson. „Wir müssen mit den Kollegen von der Mordkommission und denen von der Einwanderungsbehörde zusammen arbeiten.“Damian verzog das Gesicht, als überfielen ihn plötzlich Zahnschmerzen. Rico wusste, was er damit sagen wollte. Wenn man gezwungen war mit den Kollegen anderer Departements zusammen zu arbeiten, gab es immer Auseinandersetzungen darüber, wessen Kompetenzen wo anfingen und vor allem wo sie endeten.Mit Gordon Mc Kinley, dem Leiter der Mordkommission, wie auch Benito Allera, dem Chef der Einwanderungsbehörde, hatte es in den vergangenen Monaten immer mal wieder Ärger gegeben. Beide hielten sich für die wichtigsten Personen im Universum und wichen keinen Millimeter, wenn es um das Abstecken der Kompetenzbereiche ging. „Leyland ist von der Mordkommission. Wir hätten es gern selbst übernommen, Trudy zu überwachen, aber es wurde uns verwehrt. Wir wären Trudy zu nah, hieß es. Mc Kinley stellte ein Team auf, das für Trudys Sicherheit zuständig sein sollte...“, berichtete Stan.Er schnaubte erneut, spielte nervös mit einem Kugelschreiber herum, drehte ihn zwischen den Fingern oder klickte die Mine raus und rein, ehe er ihn erneut zwischen den Fingern drehte. Mit einem Mal hielt er inne und betrachtete sich den roten Stift, als sähe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben, ehe er ihn zornig gegen die Wand schleuderte.Er hob den Kopf und blickte Rico fest in die Augen. „Der Kerl stellte sich an wie der blutigste Anfänger. Ehrlich, Rico, ich habe noch nie im Leben jemanden erlebt, der sich so bescheuert anstellte. Dass er Polizist ist, war so offensichtlich, dass er sich ebenso gut ein Schild mit der Aufschrift BULLE hätte umhängen können!“Rico ging nicht darauf ein, sondern griff den ursprünglichen Faden wieder auf. „Der Kerl kam also nicht. Was passierte dann?“Gina nickte und fuhr fort: „Er schickte einen Jungen, ein halbes Kind noch, mit der Nachricht, er wäre kein Idiot, aber sie ein Bulle. Das Geschäft wäre geplatzt.Trudy rief mich daraufhin an. Sie sagte, sie hätte versucht telefonisch Kontakt mit John aufzunehmen in der Hoffnung, dass sie ihn von seinem vermeintlichen Irrtum überzeugen könnte. Er ging aber nicht ran.Deshalb beschloss sie, den Dienst beenden und nach Hause fahren. Heute Morgen wollte sie pünktlich ins Büro kommen, damit wir besprechen konnten, wie es nun weitergehen soll.Sie kam aber nicht. Ich versuchte zweimal sie anzurufen. Dann kam dein Anruf und kurz vor deinem Eintreffen meldete sich Lieutenant Mc Kinley.Leyland und Miller sollten Trudy in seinem Auftrag weiter beschatten, weil wir befürchteten, die Schmuggler könnten sie aus dem Weg räumen wollen. Sie hatte schließlich mindestens einen von denen, nämlich diesen John, gesehen. Du weißt, diese Typen sind absolut skrupellos.“„Was wollte Mc Kinley?“, fragte Rico.„Avera und Robinson, die Leyland und Miller heute Morgen ablösen sollten, fanden die Beiden mit durchtrennter Kehle vor. Leyland saß im Wagen, Miller lag hinter einem Strauch ganz in der Nähe. Böses ahnend liefen sie gleich zu Trudys Appartement. Die Tür stand offen, wurde aber offensichtlich nicht aufgebrochen. Es gibt jedoch Zeichen einer Auseinandersetzung.“„Verdammt!“, fluchte Rico. „Was ist mit dem Kerl, der Trudy gestern Abend die Nachricht brachte?“Gina zuckte die Achseln. „Er entwischte in der Dunkelheit und die einzigen Personen, die ihn genauer gesehen haben, waren Trudy und Leyland.“Castillos Blick fixierte Rico quer über den Tisch. Bisher hatte er nur da gesessen und zugehört, aber nun befahl er: „Erinnern Sie sich an das Telefonat, Tubbs!“Nach diesen sieben Worten kehrte absolute Ruhe ein. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Es schien, als hielten die Kollegen den Atem an und als saugte die Spannung die Luft aus dem Raum, bis nichts übrig blieb als ein Vakuum, das Rico mit seinen Erinnerungen an ein sehr kurzes Telefonat füllen musste.Rico dachte nach. Das Vorherrschendste war diese angsterfüllte, flüsternde Stimme gewesen. Sie hatte schwach geklungen. Verzweifelt. Am Ende der Kraft. Das Sprechen hatte ihr offensichtlich Mühe bereitet und das Hervorpressen dieser wenigen Worte kostete sie wahrscheinlich die allerletzten Reserven, die sie noch hatte mobilisieren können.Rico wiederholte die Worte, die Trudy gesagt hatte, und versuchte sich dann daran zu erinnern, ob da irgendetwas gewesen war, dass ihnen eventuell Aufschluss über Trudys Aufenthaltsort geben konnte. Es war jedoch nicht so leicht, da es sich ja nur um vielleicht dreißig Sekunden gehandelt hatte.„Da waren Hintergrundgeräusche“, fiel es ihm plötzlich ein.„Was für welche?“, wollte Castillo wissen. Er klang ruhig, kein bisschen drängend, denn er wusste genau, dass man sich weniger gut erinnerte, wenn der andere Ungeduld zeigte.Erneut durchforstete Rico seine Erinnerungen. Er wusste genau, dass er die Geräusche wiedererkannte, wenn er sie irgendwo hörte, aber sie zu beschreiben war schwierig. „Es handelte sich um eine Art... pfeifen, das seine Tonlage veränderte. Etwas polterte.“Er sprang nervös auf, als ihm bewusst wurde, wie wenig er wusste und dass seine geringen Informationen keinesfalls ausreichten, um den Ort ausfindig zu machen, an dem Trudy in Todsangst schwebte.Er lief zum Fenster des Besprechungsraumes und sah hinaus auf den großen Parkplatz. Zur Aufrechterhaltung der Tarnung der Import – und Exportfirma, die ja angeblich in diesem Gebäude untergebracht war, standen dort immer etliche LKWs mit unterschiedlichen Logos und Kennzeichen.Vielleicht lebt sie schon nicht mehr, dachte er. Sie legte schnell auf. Weil jemand kam? Wenn der Kerl sie erwischt hat, dann machte er vielleicht kurzen Prozess mit ihr, um sicher zu gehen, dass niemand sie retten konnte.Doch dann mahnte er sich selber: Nein, so darfst du nicht denken! Sie lebt noch und wir werden sie finden!Er starrte auf die LKWs. Wie oft hatte er schon an diesem Fenster gestanden und hinaus gestarrt auf der Suche nach irgendwelchen Antworten? Er wusste es nicht, weil man über solche Dinge keine Strichliste führte.Leider erging es ihm heute nicht anders als unzählige Male zuvor: Ihm fiel nichts ein.Und Trudy blieben noch zweiundzwanzig Stunden!

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SIEBENSonny zögerte keinen Moment. In einem oft geübten Modus löste er das Tau, lichtete er den Anker und machte sich, nachdem er den Motor anwarf, der zum Glück beim ersten Versuch satt brummend reagierte, unverzüglich auf den Weg. Er war froh, dass er sich nicht nur auf die Windkraft verlassen musste, denn dann hätte er heute ein Riesenproblem gehabt. Es war so windstill, dass das weiße Segel der St. Vitus Dance schlaff herabhing und aussah, als wäre es bereits gestorben.Während er das offene Meer ansteuerte dachte Sonny über die Informationen nach, die Rico ihm am Telefon gegeben hatte. Irgendjemand hatte Trudy gekidnappt und sie fürchtete nun um ihr Leben. „Sie klang sehr schwach“, hatte Rico besorgt erklärt. „Undeutlich. Vielleicht wurde sie verprügelt oder betäubt.“Die Informationen waren so gering, dass man dafür eigentlich ein neues Wort hätte kreieren müssen, denn selbst „spärlich“ sagte noch zu viel aus.Als Sonny das offene Meer erreichte gab er Gas. In diesem Moment wünschte er sich, er hätte sich für das Zigarettenboot entschieden, denn es fuhr um einiges schneller als die St. Vitus Dance.Es machte ihn verrückt nichts zu wissen und dass er noch zwei Stunden benötigte, bis er Miami erreichte, wo man dann hoffentlich schon mehr herausgefunden hatte.Das Meer, das er eigentlich liebte, erschien ihm heute noch endloser als sonst.Zwei Stunden! Was konnte in zwei Stunden alles passieren? Sekunden entschieden manchmal über ein Leben oder veränderten sogar die ganze Welt. Wie viel mehr Dinge konnten da in zwei Stunden passieren?Sonny dachte an Trudy, während die St. Vitus durch das Wasser pflügte. Trudy gehörte zu den facettenreichsten Menschen, die er kannte. Sie konnte in dem einen Moment die mitfühlende Freundin sein und im nächsten Moment, wenn es die Situation erforderte, auf arroganten Vamp umschalten. Ebenso schnell verwandelte sie sich in eine lockende Nutte oder in einen zitternden, fast zusammenbrechenden Junkie auf Turkey.Hoffentlich konnten sie die Freundin retten!Sonny atmete beinah auf, als er nach fast zweistündiger Fahrt das Boot an einen Liegeplatz im Hafen manövrierte. Es war natürlich nicht sein alter Platz. Dort lag nun ein viel größeres und neueres Boot, aber es spielte keine Rolle, wo er die St. Vitus vertäute. Die Hauptsache war, er hatte Miami erreicht.Sonny rannte zur Straße, hielt ein Taxi an und ließ sich zum OCB fahren. In den ersten Minuten versuchte ihm der Fahrer – es war der gleiche Grieche, der schon bei Rico erfolglos geblieben war – ihm ein Gespräch aufzudrängen, aber dann verstummte er, weil Sonny sich wortkarg und ablehnend verhielt.Am OCB entlohnte Sonny den Fahrer, legte, wie es üblich war, ein großzügiges Trinkgeld obendrauf, und stürmte regelrecht ins Gebäude. Einige Ex – Kollegen kamen ihm entgegen. Sie warfen ihm zwar erstaunte Blicke zu, sagten aber nichts. Sie drehten sich nur um, um hinter ihm her zu sehen.„Sonny Crockett? Was will der denn hier?“, fragte einer. „Ich dachte, er hat seinen Dienst quittiert!“„Scheint so, als hätte er seine Meinung geändert“, erwiderte ein anderer. „Rico Tubbs habe ich, glaube ich, heute Morgen auch schon hereinstürmen sehen.“Das Vice Team hielt sich immer noch im Besprechungsraum auf, Rico hatte seinen Stehplatz am Fenster beibehalten. Als sich die Tür schwungvoll öffnete wandte er sich um.„Sonny!“, rief er erfreut, eilte um den Tisch herum und umarmte den Freund.Sonny schüttelte anschließend Castillo die Hand, umarmte Gina und machte sich mit Damian Parson und Fernando Finacchiaro bekannt.„Was gibt es Neues?“, fragte er, nachdem er die beiden Neuen kurz, aber ebenso intensiv musterte wie zuvor Rico.Rico seufze. „Falls du gehofft hast, wir hätten ein Wunder vollbringen und Trudy bereits retten können, muss ich dich enttäuschen. Wir haben keine Ahnung, wo sie sein könnte.“Sonny wandte sich an Castillo. „Haben Sie einen Wagen für uns, Lieutenant? Ich denke, es wäre gut, ein paar alte Kontakte aufzufrischen.“„Moreno?“, fragte Rico und als Sonny nickte lobte er: „Eine gute Idee.“ „Kommen Sie mit“, entgegnete Castillo.Rico und Sonny folgten dem Lieutenant zu dessen Büro. Ohne ein weiteres Wort griff Castillo in die oberste Schublade seines Schreibtischs, um Sonny als erstes seine Dienstmarke zurückzugeben. Gleich danach fischte er einen Schlüssel heraus, den er Sonny mit einem kleinen, beinah amüsiert wirkenden Zucken in seinen Mundwinkeln reichte.„Er steht unten im Hof!“Der Testarossa parkte in der Sonne und schien nur darauf zu warten, dass Sonny ihn abholte. Die beiden Männer stiegen ein, ließen die Fenster herunter un Sonny startete den Motor.„Dann erzähl mal, Tubbs!“, forderte Sonny den Freund auf.Der Testarossa rollte vom Hof auf die Straße und während sie durch die Stadt fuhren, berichtete Rico seinem alten Freund und Partner, was er von Gina erfahren hatte.„Ich hörte in den Nachrichten von den Opfern dieser Menschen – und Drogenschmuggler“, erklärte Sonny schließlich. „Die Informationen waren allerdings spärlich. Es hieß nur, man hätte mehrere Tote gefunden, die vermutlich im Zusammenhang mit dieser Schmugglerbande stehen. Ich dachte, dass Absicht hinter der Herausgabe dieser wenigen Informationen steckt, damit die Kerle nicht erfahren, wie viel die Polizei wirklich weiß.““Eine völlig normale Vorgehensweise“, stimmte Rico zu.Sonny parkte den Wagen am Straßenrand in einer Parkbucht. „Suchen wir Moreno!“

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ACHTTrudy lag wie versteinert da, lauschte den sich entfernenden Schritten und versuchte Herrin über den Schmerz zu werden, der überall zu wüten schien.Dieser Bastard! Sie hatte ihm vertraut, hatte geglaubt, dass er sich wirklich für sie interessierte und wäre nie auf den Gedanken gekommen, er könnte irgendetwas mit dieser Bande zu tun haben.Hör auf, dir über vergangenes den Kopf zu zerbrechen und konzentrier dich lieber auf das Hier und Jetzt! , rügte sie sich selber. Doch das kontinuierliche Plätschern lenkte sie immer wieder ab. An seiner sich ändernden Tonlage würde sie erkennen können, wann das Wasser hoch genug stand, um den Boden zu bedecken und wann es so weit gestiegen war, dass die Hähne unter Wasser verschwanden.Ab jetzt blieben ihr also, wenn sie diesem Dreckskerl glaubte, noch vierundzwanzig Stunden, ehe sie ertrank.Nein, glaub ihm nicht! , schrie eine Stimme in ihrem Kopf. Bisher hat er nur gelogen. Warum sollte er ausgerechnet in dieser Angelegenheit die Wahrheit sagen?Ben schlug die Tür zu, drehte knirschend den Schlüssel um. Es klang, als wäre Sand im Schloss. Wenig später knallte eine weitere Tür und nur einen Augenblick später brummte ein Motor auf. Der Wagen entfernte sich.Trudy wandte langsam den Kopf nach links, dann nach rechts. Auf dieser Seite befand sich die Tür, die sie jedoch nur als dunkles Rechteck ausmachen konnte. Das kleine Fenster auf der gegenüberliegenden Seite war sehr hoch angebracht und fast dicht verschlossen. Nur durch zwei schmale Ritzen fiel ein heller Streifen in den Raum. Sie halfen Trudy wenigstens etwas bei der Orientierung.Die Zivilistin in ihr wollte am liebsten in Panik ausbrechen, an den Fesseln zerren und so laut schreien, wie das mit dem Klebebandstreifen über dem Mund möglich war.Die Polizistin in ihr mahnte jedoch zu Ruhe und Besonnenheit. Sie konnte nur überleben, wenn sie jetzt sinnvoll reagierte.Sie holte mehrmals langsam und tief Luft. Bewusstes Atmen, die Mitte finden, nannte man das beim Yoga. Das Atmen schmerzte und gab ihr einen Hinweis darauf, dass wahrscheinlich mindestens eine ihrer Rippen verletzt war.Reiß dich zusammen, Joplin, mahnte sie sich selbst. Tu das, was sie dir für Notfälle auf der Akademie eingebläut haben: bleib cool, sondiere die Umgebung und versuch Schwachstellen auszuloten!Erneut schweifte ihr Blick umher, klarer dieses Mal. Das Adrenalin, das in Massen ausgeschüttet worden war, ließ den Schmerz in den Hintergrund treten und schärfte den Blick für andere Dinge.Der Raum war nicht sehr groß und deckenhoch gefliest, die Tür befand sich rechts, das Fenster links von ihr. Neben der Tür lag ein zerschlagenes Waschbecken am Boden und aus dem Hahn, der früher einmal das Waschbecken speiste strömte kontinuierlich Wasser. Daneben befand sich eine kleine, halb hohe, geflieste Mauer. Wozu sie diente vermochte Trudy nicht zu sagen und es spielte auch keine Rolle.Als sie den Kopf etwas hob entdeckte sie eine gläserne Duschkabine. Auch hier hatte Ben das Wasser aufgedreht. Da es auch hinter ihr plätscherte vermutete sie, dass sich dort ein Hahn befand, an dem normalerweise der Schlauch angeschlossen wurde, den man brauchte um die Blumen im Garten zu wässern.Ihre Augen hefteten sich als nächstes auf das linke Handgelenk, das mit einem Strick gefesselt war, den ihr Peiniger doppelt um das Handgelenk geschlungen hatte.Probehalber drehte sie die Hand etwas und zog leicht, aber die Fessel saß fest. Allerdings nicht so fest, dass Trudy alle Hoffnung hätte begraben müssen. Wahrscheinlich dachte der Mistkerl, dass er alle Kraft aus ihr herausgeprügelt hatte und sie zu schwach sein würde, um einen Befreiungsversuch zu starten.Trudy musste beinah lächeln, aber eben nur beinah, denn ihr Gesicht war so stark geschwollen, dass der Schmerz, der bei der leichten Bewegung der Mundwinkel entstand, ihr fast den Schädel platzen ließ.Dieser Idiot! Er kannte sie eben nicht und wusste deshalb nicht, dass sie niemals aufgab. Ganz bestimmt würde sie nicht hier herumliegen und tatenlos darauf warten, dass sie ertrank!Trudy wusste allerdings, dass sie keine langen Pausen zwischen den Befreiungsversuchen einlegen durfte, denn wenn das Wasser die Stricke erreichte, quollen sie auf. Ihr größter Feind würde deshalb die Müdigkeit sein. Wenn sie einschlief, hatte sie verloren!Das Wasser gluckerte und plätscherte unaufhörlich, während Trudy sich bemühte abwechselnd die rechte und die linke Hand aus den Fesseln zu ziehen. Ab und zu hielt sie inne, um ihre Kräfte zu sammeln und ihr Tun auf der Suche nach einem möglicherweise besseren Plan zu überdenken. Außerdem lauschte sie immer wieder darauf, ob sich das Geräusch des auf den Boden auftreffenden Wassers bereits änderte.Noch klang es wie zu Beginn, als er das Wasser aufdrehte, aber wie lange noch?Kurz dachte Trudy an ihren Anruf bei Rico. Hatte er sie verstanden? Hatte sie eigentlich ihren Namen genannt? Sie war plötzlich nicht mehr sicher, ob sie wirklich gesagt hatte: „Hier ist Trudy...“Und sie hatte nicht sagen können, wo sie sich befand, denn das wusste sie ja nicht mal selber. Sie war bewusstlos gewesen, als Ben sie in dieses Haus schleppte.Wie also sollte Rico sie finden?Während Trudy weiter darum kämpfte frei zu kommen fiel ihr erneut ein, dass Rico ja überhaupt nicht mehr bei Vice arbeitete. Er und Sonny hatten vor wenigen Wochen ihre Dienstmarken hingeworfen. Sonny hatte Miami sogar schon verlassen, während Rico noch geblieben war, um einige Dinge zu regeln.Plötzlich durchzuckte sie ein fürchterlicher Gedanke: In ihrer Aufregung hatte sie nicht gefragt, wer am anderen Ende war. Was, wenn gar nicht Rico am Telefon gewesen war, sondern jemand, der neu in das Appartement eingezogen war?Wahrscheinlich ruft er dann die Polizei, dachte Trudy. Oder er ignoriert den Anruf, weil er ihn nicht ernst nimmt. Oh, bitte, lass Rico am anderen Ende gewesen sein!Der Ton des Plätscherns begann sich zu verändern. Es war eigentlich kaum merklich, doch Trudy bemerkte es dennoch. Das Wasser stieg unaufhörlich!

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NEUN SONNTAG 13:00 – 15:00Es schien, als wäre Moreno wie vom Erdboden verschwunden. Er war weder in seinem Appartement, noch in einer der Bars, in denen er sich sonst so gern herumtrieb. Niemand hatte ihn gesehen.Zwei Stunden lang liefen Rico und Sonny durch die Straßen und eilten erfolglos von Bar zu Bar. Dabei blickten die beiden Männer immer wieder verstohlen auf die Uhr. Wenn es Trudy so schlecht ging, wie sie am Telefon geklungen hatte, zählte jede Minute.„Verdammt, wieso taucht Moreno immer nur dann auf, wenn man ihn gerade nicht braucht?“, fluchte Sonny laut und unverkennbar stinksauer, als sie sich für eine kurze Verschnaufpause auf einer Parkbank niederließen.Die Rentnerin, die am anderen Ende saß, musterte die beiden Männer kurz, beschloss dann aber, dass es besser war zu gehen. So schnell wie sie konnte erhob sie sich und eilte davon.Rico ließ sich neben Sonny nieder. Die Mittagsglut brannte auf sie herab. Die Luft schien zu flimmern und nicht einmal die kleine Brise, die inzwischen aufgekommen war, brachte Abkühlung. Den beiden Detectives brach der Schweiß aus.„Wo können wir noch suchen, Sonny?“, fragte Rico.Sonny schnaubte. „Die kleine kubanische Ratte kann überall und nirgends sein. Das kommt immer darauf an, welchen Unfug er gerade wieder treibt, aber ich will nicht unnötig Zeit vergeuden...“Rico wusste, was Sonny meinte. Er selbst hatte Sonny schließlich erzählt, wie schwach Trudys Stimme am Telefon geklungen hatte. Vielleicht war es ja jetzt schon zu spät!Obwohl Rico den Gedanken immer wieder verjagte, kehrte er in regelmäßigen Abständen zurück. Er ließ sich eben nicht von der Hand weisen.Plötzlich hob Rico den Kopf und blickte nach links. Er hatte nicht nur aus dem Augenwinkel eine Bewegung ausgemacht, sondern hörte auch das beinah asthmatisch klingende Hecheln aus den Mäulern mehrerer Hunde.Und da sah er ihn: Izzy kam mit dem Windhundrudel, das er manchmal für einen Verwandten hütete, die Straße entlang.Rico stupste Sonny an. „Manchmal hat man Glück. Guck mal, wer da kommt!“„Ich hab ihn auch schon gesehen“, erwiderte Sonny, während er sich bereits erhob.Auch Rico sprang auf und gemeinsam eilten sie auf den dürren Kubaner zu, der ihnen erstaunt und recht dümmlich entgegenblickte.„Sie sehen mich überrascht“, gestand Izzy, während er sich darum bemühte, die Hunde unter Kontrolle zu halten. Sie ließen sich jedoch kaum bändigen, sondern schienen Izzy einfach nur zu ignorieren. „Meine Ohren vernahmen, dass Sie beide beschlossen hätten, nicht nur Ihrem Job, sondern auch dem wunderschönen Miami den Rücken zu kehren, aber nun stehen Sie hier in friedlicher Eintracht vor mir.“„Sparen wir uns die Höflichkeitsfloskeln, Moreno“, knurrte Sonny. „Wir brauchen Informationen und du wirst sie uns beschaffen!“Izzy blickte verständnislos zwischen Rico und Sonny hin und her.„Die Schlepperbande, die ihre Opfer auch als Drogenkuriere missbraucht. Du hast bestimmt davon gehört“, fügte Rico hinzu.Izzy schnaubte. „Jeder, der weiß, wie man Buchstaben auf sinnvolle Weise aneinanderreiht, um sie zu Worten zu formen, hat etwas darüber gelesen, aber jeder, der auch nur einen Funken Verstand besitzt, versucht, sich so fern wie möglich von diesen Kretins zu halten.“„Dann dürfte für dich ja wohl eher keine Gefahr bestehen“, grummelte Sonny, dem Izzys hochgestochen klingende Reden oft auf die Nerven gingen.Die Hunde zogen und zerrten und zwei begannen spielerisch nacheinander zu beißen, schnappten aber nur in die Luft. Die Gebisse klapperten laut und die Tiere knurrten leise.„Brutus! Nero! Lasst das!“, befahl Izzy streng und ausnahmsweise gehorchten die Hunde sogar.„Du sollst diese Typen nicht heiraten, sondern uns nur Informationen beschaffen, Moreno“, meinte Rico, der Sonnys Einwurf etwas unfair fand. Seiner Meinung nach gehörte Izzy nicht zu den Dummköpfen. Er hatte mit Sicherheit eine gute Schulbildung genossen und danach einfach nur Pech gehabt.Er fügte hinzu: „Wir könnten dir sicher eine Menge Unannehmlichkeiten bereiten, wenn...“„Schon gut, Tubbs“, warf Izzy genervt ein. „Ich kenne diese Sprüche. Sie müssen mir nicht drohen.“ Izzy war klar, dass er nicht so ohne weiteres aus der Nummer herauskam. „Wie schnell?“„So schnell wie möglich“, antwortete Rico wie aus der Pistole geschossen. Er deutete auf die beiden Hunde, die wieder begannen miteinander zu spielen. „Und wo wir gerade bei Brutus und Nero sind... es brennt! Falls du verstehst, was ich meine!“Der Kubaner nickte ergeben. „Wie immer also.“„Nein, schlimmer als sonst“, widersprach Sonny. „Wichtiger! Es geht um Trudy.“Izzy nickte heftig mit dem Kopf. „Ich bemühe mich!“, sagte er, ehe er sich weiter von dem Rudel die Straße entlang zerren ließ.Rico und Sonny blickten ihm einen Moment lang nach und beobachteten seinen Kampf gegen die Hunde, die versuchten in verschiedene Richtungen zu laufen.Rico seufzte. „Kehren wir ins Büro zurück. Vielleicht gibt es ja Neuigkeiten.“Die beiden Detectives kehrten zum Testarossa zurück. Schon von weitem sahen sie, dass etwas unter dem Scheibenwischer auf der Fahrerseite klemmte. Das weiße Papier zappelte kurz in der leichten Brise, die gerade aufkam. Es sah aus, als wollte es die beiden Männer auffordern näher zu kommen.Im ersten Moment glaubten Rico und Sonny, dass es sich um einen Reklamezettel handelte. Es gab immer wieder Leute, die einem Zettel unter den Scheibenwischer klemmten mit Aufschriften wie: „Kaufe jeden Wagen! Zahle Höchstpreise!“, oder: „Unfall gehabt? Totalschaden? Rufen Sie mich an! Ich kaufe ALLES!“, oder auch: „Suchst du nach Jesus? Dann komm zu uns!“Mit einer zornigen, fast herrischen Geste riss Sonny das Stück Papier unter dem Scheibenwischer hervor, warf aber zum Glück dennoch einen neugierigen Blick darauf, ehe er es zusammenknüllen wollte... und hielt erstaunt den Atem an.Es handelte sich nicht um Reklame!

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ZEHN INZWISCHEN UM 13:00Der Mann saß in einem Café in Strandnähe. Vor ihm auf dem Tisch stand eine leere Espressotasse. Er hielt den Herald aufgeschlagen in den Händen und schien scheinbar interessiert zu lesen. Ein Hut beschattete seine Augen, die er zusätzlich hinter einer Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern verbarg.Er schien auf etwas zu warten, wirkte jedoch vollkommen entspannt. Als zwei hübsche brünette Bikini – Mädchen kichernd und leise miteinander tuschelnd vorbei flanierten hob er den Blick von der Zeitung und sah ihnen nach. Um ihn herum herrschte Stimmengewirr und Geschirr klapperte, denn das Café war sehr gut besucht. Das war der einzige Punkt, der ihn störte. Viele Gäste hatten viele Ohren.Ein Mann näherte sich dem Tisch mit eiligen Schritten. Er verharrte kurz bei einer Kellnerin in einem engen, schwarzen Rock und einer fliederfarbenen Bluse, um ihr seine Bestellung mitzuteilen. Er wies auf den Tisch, zu dem sie das Gewünschte bringen sollte. Sie wandte sich um, blickte zu dem Mann hinter der Zeitung hinüber und nickte.Einen Moment später plumpste der Mann auf den Stuhl, der dem Hutträger gegenüber stand. Er stöhnte auf, zog ein Taschentuch aus seiner Jacketttasche und wischte sich über die Stirn auf der Schweiß stand.Der Andere faltete langsam und sorgsam die Zeitung zusammen, legte sie rechts neben seine Tasse und beschwerte sie mit dem gläsernen Aschenbecher, damit der auffrischende Wind sie nicht aufblätterte.„Crockett und Tubbs sind wieder im Dienst“, erklärte der Hutträger lässig. „Sie erhielten heute Morgen ihre Dienstmarken zurück und Crockett braust wieder in seinem angeberischen Testarossa durch die Stadt.“Der andere Mann wurde sichtlich nervös. „Das ist aber gar nicht gut, oder? Ich meine, sie könnten uns gewaltig das Geschäft versauen...“Der Mann mit der Sonnenbrille beugte sich etwas vor. „Dann lassen sie sich etwas einfallen. Sie sind doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Was ist mit der Vice – Schlampe?“Der zweite Mann blickte hektisch auf die Uhr. „Sie ist in...“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „... ca. neunzehn Stunden Geschichte.“Die Kellnerin stellte ein kleines Tablett mit einer Tasse Kaffee, Sahne, Zucker und einem Tellerchen mit zwei Keksen darauf vor den Informanten. Sie nannte den Preis, kassierte die Summe plus einem kleinen Trinkgeld und ging.„Dann sorgen Sie jetzt noch dafür, dass Crockett und Tubbs der falschen Fährte hinterher rennen, damit das Geschäft wie geplant ablaufen kann. Mehr erwarte ich nicht von Ihnen“, sagte der Mann mit der Sonnenbrille.Der andere Mann gab Sahne in den Kaffee, danach jede Menge Zucker, ehe er geräuschvoll umrührte. Der Mann mit dem Hut beobachtete ihn einen Moment lang, ehe er sich plötzlich erhob.Überrascht hörte der Jüngere auf zu rühren und sah auf. Da die Sonne in seine Augen schien, kniff er sie zuerst zusammen, ehe er sie mit der freien Hand beschattete.„Erledigen Sie Ihren Job so bald wie möglich!“Der Jüngere nickte auf eine duckmäuserische, fast eingeschüchterte Art. „Natürlich. Verlassen Sie sich ganz auf mich.“Ohne ein Wort des Abschieds wandte der Mann mit der Sonnenbrille sich ab und eilte davon. Jeder seiner festen, weit ausgreifenden Schritte verriet den Zorn, der in ihm brodelte, während sich seine Gedanken permanent im Kreis drehten.Seit er erfahren hatte, dass Tubbs und Crockett zurückgekehrt waren brodelte der Zorn in ihm. Die Beiden galten als die Topdetectives von Vice und es hatte eine Menge Kriminelle verschiedenster Kategorien gegeben, die, zumindest bildlich gesehen, in Jubel ausbrachen, als das Gerücht die Runde machte, die Cops hätten öffentlich ihre Dienstausweise auf den Boden gepfeffert und beschlossen Miami für immer den Rücken zu kehren.Der Umstand, dass Crockett die Stadt tatsächlich verließ und Tubbs sich anschickte seine Habe zu verkaufen, um, wie es schien, mit so wenig Ballast wie möglich aus der Stadt zu verschwinden, war der Grund gewesen, warum er seine Geschäfte nach Miami verlagert hatte. Miami als Anlaufstelle zu nutzen bedeutete eine Vereinfachung vieler Dinge.Sicher, es gab immer noch Castillo, der den Ruf hatte, jobmäßig gesehen, ein scharfer Hund zu sein mit einem untrüglichen Riecher für alles kriminelle. Ihm entging nichts und sein Verstand arbeitete so scharf wie ein Skalpell. Doch die Umstrukturierung bei Vice und die Einarbeitung der neuen Mitarbeiter ließen möglicherweise seine Aufmerksamkeit etwas abflachen.Zumindest hatte er das erhofft.Der Mann erreichte seinen Wagen, einen unscheinbaren weißen Ford, und stieg ein. Den Blick nach draußen gerichtet, ohne allerdings wirklich etwas wahrzunehmen, dachte er weiter nach.Er fragte sich, warum Tubbs und Crockett zurückkehrten. Wieso hatte Castillo sie wieder in den Dienst genommen? Es ergab irgendwie keinen Sinn, aber dass er sich das Hirn über Castillos Beweggründe zerbrach, änderte nichts an der Tatsache, dass die beiden wieder da waren.„Verdammt!“, knurrte der Mann und hieb wütend mit der Faust auf das Lenkrad. Dann griff er zum Autotelefon.

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ELF SONNTAG 15:00-17:00Ihre Haut war bereits wundgescheuert. Sie brannte und blutete an verschiedenen Stellen, aber dennoch gab Trudy nicht auf. Mit zusammengebissenen Zähnen und flach atmend drehte sie abwechselnd ihre Handgelenke hin und her und zog leicht in der Hoffnung, endlich wenigstens eine Hand durchziehen zu können.In regelmäßigen Abständen legte sie kurze Pausen ein, und ließ dann auch den Tränen der Wut, Angst und Enttäuschung über ihren Misserfolg freien Lauf. Diese Momente währten jedoch nie lange. Schnell riss Trudy sich wieder zusammen. Ihr Trotz und der Überlebenswille kehrten zurück und sie setzte ihre Bemühungen fort.Lass dich bloß nicht unterkriegen, Joplin, sagte die Optimistin in ihr. Du schaffst das schon hier raus zu kommen und dann zeigst du dem Dreckskerl was passiert, wenn man dich reinlegen will.Die Pessimistin fragte: Und wie willst du freikommen? Er hat die Stricke so festgezurrt, dass du nie deine Hände rausziehen kannst.Ich habe Rico angerufen, hielt die Optimistin dagegen.Die Pessimistin schien sie auszulachen. Sicher hast du das, aber er hat keine Ahnung, wo er nach dir suchen soll. Du konntest ihm nicht sagen, wo du bist. Du weißt ja nicht mal mit Sicherheit, ob wirklich Rico am anderen Ende der Leitung war!Wieder hielt Trudy in ihren Bemühungen inne, um über das kurze Telefonat nachzudenken. Sie hatte dem Mann, von dem sie fest geglaubt hatte, dass es Rico war, ja tatsächlich nicht sagen können, wo sie sich befand. Nicht den kleinsten Anhaltspunkt hatte sie ihm, der er ohnehin nicht mehr bei Vice arbeitete, geben können. Wie auch?Sie finden mich trotzdem, behauptete die Optimistin. Rico war am anderen Ende. Er wird sich an Castillo wenden und mein Boss wird dann alles daran setzen, um meinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Es findet sich immer jemand, der bereit ist der Polizei einen Tipp zu geben.Wieder schien die Pessimistin zu lachen. Sicher, wenn du längst abgesoffen bist. Hör doch, wie schnell sich das Geräusch des auftreffenden Wassers verändert. Es steigt rasch... vielleicht rascher, als er errechnet hat.Trudy hielt erneut inne. Sie fühlte, wie das Blut warm aus den aufgescheuerten Wunden an ihren Handgelenken entlang rann. In ihrem Gesicht spannte die Haut dort, wo er sie mit massiven Schlägen traktiert hatte, und beim atmen spürte sie den Schmerz im Rippenbereich, der auf weitere Verletzungen hindeutete. Trudy lauschte auf das Plätschern des Wassers. Es klang nicht mehr so hart wie anfangs, als der Wasserstrahl auf den Steinboden prasselte. Jetzt traf Wasser auf Wasser. Es lief also vermutlich bereits seit mehreren Stunden, aber sicher war sie nicht, denn schließlich hatte er drei verschiedene Hähne aufgedreht. Der Kellerraum würde sich also recht schnell füllen..Dieses Plätschern stellte bisher ihre einzige Möglichkeit dar, um wenigstens in etwa abzuschätzen, wie lange sie bereits erfolglos versuchte sich zu befreien, denn Trudy hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Auch das durch die Ritzen hereinfallende Licht half ihr nicht wirklich. Es war noch hell, weshalb sie vermutet, dass es vielleicht Mittag oder Nachmittag war.Der Überfall hatte am frühen Morgen stattgefunden. Das Klingeln der Türglocke, lang anhaltend und durchdringend, als wäre jemand in größter Eile, hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Verwundert war sie zur Tür geeilt und hatte den Knopf der Sprechanlage betätigt. „Ja?“„Ich bin´s“, hatte Ben geantwortet und sehr abgehetzt geklungen. „Tut mir leid, wenn ich dich störe, aber es ist sehr dringend.“Sie hatte ihm geöffnet, nichts Böses ahnend, und Ben war sogleich mit massiven Schlägen über sie hergefallen. Er hatte ihr keine Chance zur Gegenwehr gelassen und zugeschlagen, bis sie das Bewusstsein verlor. Erst in diesem Haus hier war wieder zu sich gekommen. Wie viel Zeit zwischen seinem Überfall und ihrem Erwachen lag vermochte Trudy nicht zu sagen.Sie drehte den Kopf nach rechts und konnte nun sehen, dass bereits der ganze Boden mit Wasser bedeckt war. Von jetzt an würde sie die weißen Wandkacheln als Maß nehmen. Sie waren rechteckig, hochkant angebracht und Trudy schätzte, dass sie in der Höhe etwa zwanzig Zentimeter maßen. Allerdings konnte sie nicht erkennen, wie hoch das Wasser jetzt schon stand. War es nur ein Zentimeter? Oder vielleicht zwei?Plötzlich glaubte sie draußen Stimmen zu hören. Trudy hielt den Atem an und versuchte das Plätschern des Wassers auszublenden. Jetzt hörte sie es deutlich: Da draußen war jemand!

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ZWÖLF 17:00Das Team hatte sich erneut im Besprechungsraum versammelt. Vor Sonny lag nun, sicher verpackt in einer Folie, der Zettel, den er unter seinem Scheibenwischer gefunden hatte. Er war handgeschrieben mit einem blauen Kugelschreiber und die krakelige Nachricht darauf enthielt fast ebenso viele Rechtschreibfehler wie Buchstaben:„Aine fon euren Kolegienen ist in Gefar unt stierpt in 19 Stunden. Gehörd: 13:00“Jeder hatte inzwischen die Nachricht gelesen, die auf einem normalen, weißen Stück Papier stand, das nun allerdings durch das Graphitpulver schmutzig wirkte. An verschiedenen Stellen waren Fingerabdrücke sichtbar.„Was den Verfasser dieser Nachricht angeht, so haben wir mehrere Möglichkeiten, wobei manche mehr, andere weniger in Frage kommen dürften“, sagte Damian Parson. „Es handelt es sich entweder um ein Kind, eine Person mit Legasthenie oder einen Immigranten mit geringer Schulbildung, der sich noch nicht lange im Land befindet.“Sonny schüttelte den Kopf. „Dem kann ich mich nicht in allen Punkten anschließen. Meiner Meinung nach lebt die Person schon seit einer geraumen Weile in Miami und hatte auch schon Kontakte zur Polizei, speziell wahrscheinlich sogar zu Vice, in welcher Weise auch immer. Der Schreiber wusste genau unter welchen Scheibenwischer er die Nachricht klemmen musste.“Rico beugte sich etwas vor. Wie in alten Zeiten hatte er sich auf dem Weg ins Büro eine Tüte mit frischen Weintrauben besorgt, die aufgerissen vor ihm auf dem Tisch lag. Der Inhalt hatte sich während des Gesprächs bereits beträchtlich dezimiert. „Was wir ebenfalls nicht vergessen dürfen ist die Möglichkeit, dass der Schreiber absichtlich eine derart miserable Rechtschreibung wählte, um uns in die Irre zu führen. Im Grunde genommen sagt uns das Schreiben also eher nichts über den Verfasser aus, aber wenn der Inhalt zutrifft, dann bleiben uns jetzt noch fünfzehn Stunden, um Trudy zu finden und zu befreien.“„Ich teile Crocketts Meinung“, mischte sich Castillo ein. „Möglicherweise haben wir ja Glück und die Fingerabdrücke des Schreibers finden sich in der Datenbank. Gina, überprüfen Sie das!“Gina nickte.Rico blickte zu Stan hinüber, der sich bisher noch nicht einmal geäußert hatte, sondern nur sehr nachdenklich auf die Tischplatte starrte. Rico fand, dass der Freund übernächtigt aussah und er war nicht mal sicher, ob Stan der Unterhaltung auch nur mit einem halben Ohr lauschte.„Welche Fakten haben wir?“, erkundigte sich Fernando Finacchiaro und zählte selbst an den Fingern ab: „Trudy öffnete dem Täter offensichtlich arglos. Sie kannte ihn also. Demnach muss es sich um jemanden handeln, den sie für einen Freund hielt. Der Täter wusste außerdem genau, in welchem Fahrzeug Leyland und Miller saßen.“„Was für ein Wagen war das?“, wollte Rico wissen.„Ein Wohnmobil“, antwortete Castillo. Er saß so gerade auf seinem Stuhl, als hätte er einen Spazierstock verschluckt.Sonny stutzte. „Ein Wohnmobil?“, wiederholte er und seine blauen Augen saugten sich an Castillo fest. Dieser nickte, wissend, was Sonny als nächstes fragen würde.„Voll funktionstüchtig?“Wieder nickte Castillo.„Was wollte Miller dann hinter den Sträuchern?“, fragte Sonny.„Eine gute Frage, Crockett.“Rico dachte nach, wobei er auf seine Hände blickte, die gefaltet auf der Tischplatte lagen. „Dann könnten es ebenso gut zwei Täter gewesen sein. Einer lockte Miller fort, um ihn zu töten, während der zweite sich um Leyland kümmerte. Danach war Trudy an der Reihe.““Möglich!“ Sonny fuhr sich von vorn nach hinten durch die Haare. „15 Stunden! Und wir haben nicht mal den Hauch einer Ahnung, wo wir anfangen sollen!“„Warum sehen wir uns nicht mal in Trudys Appartement um?“, schlug Rico vor.Wenig später fuhren Rico und Sonny erneut durch die Stadt. Während Sonny sich auf die Straße konzentrierte wanderte Ricos Blick beständig umher.An einer Straßenecke steckten einige Typen verschwörerisch die Köpfe zusammen, ehe zwei in einer Seitenstraße verschwanden.Ein Stück weiter entdeckte er Annie Lamont, die es sehr eilig zu haben schien. Zumindest blickte sie gerade leicht abgehetzt wirkend auf ihre Armbanduhr, während sie die Straße entlang stöckelte.Ob sie immer noch mit dem Noogman, diesem Taugenichts, zusammen war? Nur zu gut erinnerte Rico sich an die etwas ungewöhnliche Hochzeit, die... wie lange zurücklag? Zwei Jahre? Drei Jahre? War es wirklich schon so lange her?„Halt mal an, Sonny!“, bat Rico spontan.Sonny zog erstaunt die Augenbrauen hoch und warf dem Freund einen fragenden Seitenblick zu. Er gehorchte jedoch, als er die nächste freie Haltebucht entdeckte.Bis dahin hatte Rico ihm bereits erklärt, dass er gerade Annie Lamont gesehen hätte, die ihnen sicher sagen konnte, wo sie Noogie fanden.„Es kann nicht schaden, wenn uns auch mal mit Noogie unterhalten“, meinte Rico und Sonny stimmte zu.Annies Haar leuchtete kupferrot im Schein der nachmittäglichen Sonne. In ihrem schwarzen Minirock und der fliederfarbenen Bluse wirkte sie beinah brav. Selbst das Make – Up schien dezenter als sonst.Sie zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als die beiden Detectives auf sie zusteuerten, blickte dann jedoch prüfend in alle Richtungen, eine Unart aller Kleinkrimineller, vor allem, wenn sie auch als Informanten tätig waren. Die Devise lautete anscheinend: „Wenn dich die Bullen anquatschen, achte darauf, dass niemand es sieht, denn es schadet dem Geschäft.“Rico grinste breit. „Annie!“, rief er überschwänglich und klang so begeistert, als könnte er gar nicht fassen diese alte Freundin nach langer Zeit zufällig getroffen zu haben.Annies Gesichtsausdruck nach zu urteilen schien sie fast zu befürchten, dass Tubbs sie gleich in seiner Begeisterung umarmte. Das hatte er noch nie getan und war, was Annie natürlich nicht wissen konnte, auch jetzt meilenweit entfernt davon so etwas zu tun.Ein unsicheres Lächeln huschte über Annies Gesicht, doch dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. „Tubbs und Crockett“, sagte sie überrascht. „Na, so was! Zu Besuch in Miami?“„Eher auf der Suche“, erwiderte Sonny. Er hatte halb rechts neben Annie Stellung bezogen, Rico halb links... nur für den Fall, dass Annie davonrennen wollte, was Sonny allerdings bei den etwa zwölf Zentimeter hohen Absätzen für idiotisch gehalten hätte. Andererseits hatte er schon die unglaublichsten Dinge erlebt.Annie blieb cool. „Jetzt sagen Sie nicht, Sie suchen nach mir!“„Nein, eher nach Noogie“, entgegnete Rico lapidar. „Wo steckt er?“Annie schnaubte und verzog wütend den Mund. „Das wüsste ich auch gern. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie ihn gefunden haben, denn ich habe noch mehr als ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.“Ihr Blick wanderte erneut nervös umher, ehe sie demonstrativ auf ihre Armbanduhr sah. „Es war nett mit euch zu plaudern, Jungs, aber ich habe zu arbeiten. Ich bin ohnehin schon spät dran.“Ohne Rico und Sonny weiter zu beachten setzte sie sich in Bewegung.„Ich dachte, diese Strip – Clubs öffnen erst abends“, rief Sonny ihr verwundert hinterher.Annie blieb ihm die Antwort schuldig, stöckelte aber, wie es schien, mit erhöhtem Tempo weiter. Man hätte fast glauben können, sie befände sich auf der Flucht.„Ich weiß ja nicht, wie man auf solchen Schuhen derart schnell laufen kann, aber für meinen Geschmack hat sie es definitiv zu eilig“, murmelte Rico. „Warum denn nur?“„Fragen wir sie“, schlug Sonny vor, ehe beide der Frau folgten.

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DREIZEHN 16:00Die Stimmen gehörten jungen Leuten. Trudy erkannte drei verschiedene Tonlagen: zwei gehörten Jungen, eine einem Mädchen, vermutlich Teenager. Das Mädchen lachte laut und künstlich, nachdem einer der Jungen etwas sagte, das Trudy allerdings nicht verstand.Es schien, als stünden sie nicht weit von dem Kellerfenster entfernt.Trudy versuchte sich bemerkbar zu machen. Sie schrie durch den Klebebandstreifen auf ihrem Mund und drehte die Hände hektischer hin und her. Zwischendrin hielt sie inne, um zu lauschen.Die Stimmen waren immer noch da. Wieder lachte jemand, dieses Mal einer der Jungs, aber leider deutete nichts darauf hin, dass sie auch nur das Geringste von Trudys Bemühungen mitbekommen hatten.Trudy schlug einige Male mit den Handballen gegen die Kanten der Trage, auf der sie lag. Vielleicht hörten die Teenies die Geräusche und reagierten darauf. Doch nach wenigen Schlägen stoppte Trudy ihre Bemühungen wieder. Das Geräusch war zu leise. Es drang nicht bis nach draußen und außerdem tat es fürchterlich weh.Sie seufzte verzweifelt und konnte nicht verhindern, dass Tränen aus ihren Augen kullerten, über die Schläfen rannen und in den Haaren verschwanden.Trudy war gewiss niemand, der schnell losheulte. Meistens fiel es ihr sogar ausgesprochen schwer zu weinen, doch jetzt spürte sie einen dicken Kloß im Hals und das Wasser in ihren Augen stieg.Sie wollte nicht sterben!Trudy lauschte erneut. Es kam ihr so vor, als hätten sich die Stimmen genähert. Sie konnte mit einem Mal Worte verstehen.„Komm schon, Juanita! Ich weiß, dass du das kannst!“„Sicher kann ich es, aber ich will es nicht!“ Das Mädchen klang trotzig.„Warum denn nicht?“, Fragte einer der Jungs drängend.„Weil man nicht immer alles tun muss, nur weil man es kann.““Du bist feige“, stellte der andere Junge mit spöttischem Ton fest.„Ich bin nicht feige, ich habe nur keine Lust bei einem Einbruch erwischt zu werden, Raoul. Die Bullen sind in der letzten Zeit verdammt oft hier unterwegs. Wir haben doch eben erst ein Bullenauto gesehen, oder? Zwei Blocks von hier, falls du es vergessen hast“, fügte Juanita ironisch hinzu. „Außerdem gibt es hier nichts zu holen und jetzt lasst uns verschwinden!“Nein, nicht weggehen! , dachte Trudy verzweifelt. Bitte, lass dich zu dem Einbruch überreden!

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VIERZEHNEs stellte kein großes Problem für Rico und Sonny dar Annie einzuholen. Jeder packte sich einen Arm der überrascht drein blickenden Frau, um Annie Lamont daran zu hindern sich erneut aus dem Staub machen zu wollen.Mit großen, erstaunt wirkenden blauen Augen sah Annie von Rico zu Sonny und wieder zurück. „Was ist los? Habe ich etwas vergessen?““Ja, uns zu sagen, wohin Sie denn so eilig streben“, konterte Rico.„Ich sagte Ihnen doch schon, ich muss arbeiten!“, Erwiderte Annie mit wachsender Ungeduld in der Stimme.„Verkaufen Sie uns nicht für dumm, Annie. Jeder Mann weiß, dass Strip Clubs erst abends öffnen“, brummte Sonny. „Jetzt ist es aber erst...“ -Er hob demonstrativ den Arm, um einen Blick auf seine Uhr zu werfen – „ ...viertel nach fünf. Also, wohin geht es wirklich?“Annie verdrehte die Augen und seufzte theatralisch. „Glauben Sie, es ändert sich irgendwas an den Tatsachen, wenn Sie mir Ihren teuren Zeitmesser unter die Nase halten, Crockett? Ich – arbeite! Ich habe mehr als nur einen Job, denn von irgendwas muss der Mensch ja leben, oder?“„Erzählen Sie uns doch einfach mal schnell, was für Jobs Sie haben und schon lassen wir Sie gehen. Ist das ein Angebot?“, Fragte Sonny und setzte ein gewinnendes Lächeln auf.Annies Blick wanderte erneut zwischen Rico und Sonny hin und her. Sie begriff, dass die beiden Detectives sie erst in Ruhe lassen würden, wenn sie alles wussten, was sie in Erfahrung bringen wollten.„Ich arbeite drei Mal pro Woche als Spülfrau bei Barry B., stehe an zwei Tagen im Imbisswagen von Paul Fletcher und stehe an fünf Abenden die Woche im Sixty – Nine auf der Bühne. Reicht das als Info? Wenn ja, würde ich jetzt gern zur Arbeit gehen. Barry hasst es, wenn seine Angestellten zu spät kommen und ich denke nicht, dass er es als Entschuldigung gelten lässt, wenn ich ihm sage, dass zwei Bullen mich aufgehalten haben.“Rico und Sonny tauschten einen kurzen Blick, ehe sie wie auf ein geheimes Kommando hin nickten. Annie Lamont konnte ihnen offensichtlich wirklich nicht weiterhelfen und sie wollten nicht verantwortlich sein, wenn die Frau ihren Job verlor.Rico und Sonny traten einen Schritt zurück, um den Weg für Annie frei zu geben. Als Annie Lamont eilig davon stöckelte sahen die beiden Detectives ihr einen Moment lang nach, wandten sich dann jedoch ab und kehrten zum Testarossa zurück, um zu Trudys Appartement zu fahren.Die Tür war mit Klebeband verschlossen, aber es stellte kein Problem dar, es abzuziehen. Die beiden Männer traten ein und sahen sich um. Ein kleines Tischchen, auf dem eine Lampe stand, war umgeworfen, die Lampe lag mit zerbrochenem Schirm am Boden. Die überall verteilten Scherben wirkten, als wäre jemand darauf getreten und hätte sie weiter zerbröselt. Ein Gemälde hing schief an der Wand, eine Jacke war vom Haken gerissen. Einige Blutflecken auf dem Boden zeugten davon, dass es einen Kampf gegeben hatte.Auch im Wohnzimmer gab es Anzeichen für einen Kampf. Der Glastisch vor dem Sofa war verschoben, das Telefon lag am Boden und ein Glas, das offensichtlich auf dem Glastisch gestanden hatte und noch nicht leer gewesen war, lag am Boden. Die orangefarbene Flüssigkeit, die sich darin befunden hatte, war in den hellbeigen Teppichboden gesickert.Die beiden Detectives blickten sich überall um, öffneten Schränke und Schublade auf der Suche nach irgendetwas, dass ihnen einen Hinweis darauf geben konnte, wer der Bekannte von Trudy war, der sie überfallen hatte.Sie fanden jedoch nichts und verließen das Appartement schließlich unverrichteter Dinge, um ins Büro zurückzukehren.*18:00* Sie trafen dort fast gleichzeitig mit Gina, Damian und Fernando ein. An deren missmutigen Gesichtern erkannten Rico und Sonny deutlich, dass auch die Kollegen nicht erfolgreich gewesen warenKaum hatten sie das Großraumbüro betreten, verließ Castillo sein Eckbüro, um sich im Besprechungsraum über den Stand der Dinge unterrichten zu lassen.„Nichts!“, Gestand Gina leise seufzend.„Alle haben Angst“, knurrte Fernando. „Egal, wen Sie fragen, jeder tut so, als wüsste er nicht, worüber wir reden. Niemand weiß irgendwas und selbstverständlich hat keiner etwas gesehen.“„Verdammt!“, Motzte Damian. „Die Zeit rennt uns weg und wir haben NICHTS!“Nebenan begann das Telefon zu klingeln.„Wir haben Izzy getroffen und ihn gebeten sich mal umzuhören“, sagte Sonny.Damian schnaubte wie ein wütender Stier. „Auch Moreno wird nichts herausfinden. Niemand wird den Mut haben, uns irgendeinen Hinweis zu geben! Selbst Mönche, die ein Schweigegelübde abgelegt haben, sind wahrscheinlich gesprächiger als die Menschen hier, wenn es um diese verdammten Schmuggler geht.“„Wenn wir nicht an unseren Erfolg glauben, brauchen wir gar nicht erst da raus zu gehen“, fuhr Rico ihn an.Er hatte sich halb auf der Kante des Tisches niedergelassen. „Dann können wir uns ebenso gut hinsetzen, Kaffee trinken und Däumchen drehen!“„Ihre Aggressionen aufeinander helfen Detective Joplin nicht“, mischte sich Castillo ein, während sein Blick von Rico zu Damian und wieder zurück wanderte. „Sie sollten zusammen arbeiten, nicht gegeneinander.“Rico und Damian nickten. Castillo hatte ja recht, doch die Situation zerrte an den Nerven und Ungeduld war ein schlechter Ratgeber.„Kann jemand von Ihnen mit Neuigkeiten aufwarten?“ Castillos Blick wanderte von einem zum anderen, doch alle schüttelten de Köpfe.Sonny erwägte kurz Annie zu erwähnen, ließ es dann aber, weil sie von ihr nichts Nennenswertes erfahren hatten, wenn man davon ansah, dass sie angedeutet hatte, ihr Ehemann hätte sich davon gemacht. Für den Fall, an dem sie gerade arbeiteten, war dies jedoch vollkommen belanglos.„Vielleicht konnte Stan ja etwas herausfinden“, meinte Gina. „Wir verließen gegen halb zwei zusammen das Büro und er sagte, er hätte vielleicht eine Idee und würde jemanden kennen, der eventuell etwas wissen könnte. Er wollte zu irgendeiner Bar in Little Havanna fahren. Wie hieß sie denn noch gleich?“Das Läuten des Telefons war verstummt, doch nur einen Moment später klopfte es an der Tür und eine der Sekretärinnen streckte den Kopf zur Tür herein.„Lieutenant, Telefon. Es ist wichtig.“Castillo erhob sich und ging hinaus. Im gleichen Augenblick sahen Rico und Damian auf ihre Armbanduhren. Es war inzwischen neunzehn Uhr und sie hatten immer noch keinen einzigen Hinweis auf Trudys Verbleib.Gina seufzte hörbar. In Gedanken sortierte sie zum x – ten Mal alle Informationen, die sie über die Schlepperbande zusammengetragen hatten. Vielleicht hatten sie ja etwas übersehen, irgendeine Kleinigkeit, die auf den ersten Blick unbedeutend erschien...Castillo kehrte zurück. „Fahre Sie sofort nach Little Havanna. Im EL FUEGO hat es eine Explosion gegeben.“Gina sprang entsetzt auf. Alle Farbe wich plötzlich aus ihrem Gesicht. „EL FUEGO? Dorthin wollte Stan!“

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FÜNFZEHNIzzy hatte die Hunde zurückgebracht und eigentlich wollte er sich gern schnell davon machen, aber sein Cousin drückte ihm noch eine Aufgabe aufs Auge, die es zu erledigen galt und für die er Izzy sogar extra entlohnte. Normalerweise lud sich Izzy in solchen Fällen gern selbst zum Abendessen ein, weil er fand, dass es das Mindeste war, was sein Cousin tun konnte, nachdem Izzy den ganzen Tag für ihn gearbeitet hatte.Heute aber verabschiedete er sich eilig, kaum, dass er seine Zusatzarbeit erledigt hatte. Den verwunderten Blick seines Cousins ignorierte er geflissentlich. Seine Gedanken weilten bei dem Auftrag, den Tubbs und Crockett ihm erteilt hatten, und auch bei Trudy. Sie hatte ihn zwar oft von oben herab behandelt, aber dennoch wünschte er ihr nichts Schlechtes.Izzy lief die Straße entlang. Er wusste, dass es wahrscheinlich schwierig werden würde die gewünschten Informationen zu beschaffen. Alle fürchteten sich vor diesen skrupellosen Typen. Wenn die Gerüchte, die in gewissen Kreisen kursierten, stimmten, hatten sie schon mehrere Leute über den Jordan geschickt, nur weil sie vermuteten, diese könnten geplaudert haben.Dennoch hatte Izzy plötzlich eine Idee.An der nächsten Haltestelle wartete er auf einen Bus, der ihn nach Little Havanna brachte. Dort, so hoffte er, würde er eine bestimmte Person treffen, die ihm noch einen Gefallen schuldete und sicherlich etwas wusste, was Izzy weiterhalf.Eine halbe Stunde später betrat Izzy das EL FUEGO, eine kleine Bar im Herzen von Little Havanna. Er verharrte einen Moment, denn nach der beinah blendenden Helligkeit draußen fühlte er sich in der Bar erst einmal wie ein Blinder. Seine Augen gewöhnten sich jedoch rasch an die neuen Lichtverhältnisse. Er sah sich um.Sechs runde Tische standen im Raum verteilt. In der Mitte eines jeden Tisches lag eine kleine gelbe Decke, auf der ein Aschenbecher und, in einer Halterung aus Blech, die Getränkekarte standen. An vier Tischen saßen Gäste, insgesamt zehn Personen.Am vorderen Ende der Bar saß Roberto Cascada, der Mann, den Izzy hier zu treffen gehofft hatte, und starrte in sein Bierglas. Er blickte nicht mal auf, als der neue Gast eintrat.Etwas entfernt, etwa in der Mitte der Bar, hockten zwei junge Frauen in knapper Kleidung beieinander, vor sich Gläser mit einer durchscheinenden Flüssigkeit, die Wasser sein konnte, aber nicht sein musste.Am anderen Ende der Theke aus Walnussholz, die auch schon bessere Tage gesehen hatte, saßen zwei Männer und steckten die Köpfe zusammen. Sie sprachen sehr leise miteinander und rührten ihre Getränke kaum an.Im hinteren Teil der Bar, der von vorn nicht einsehbar war, spielten offensichtlich einige Leute Billard. Izzy hörte jedenfalls das Klackern der Kugeln und Stimmen, die miteinander lachten und scherzten. Er glaubte sogar eine ihm bekante Stimme herauszuhören, war sich aber nicht sicher.Izzy gesellte sich zu Roberto, winkte jedoch ab, als sich der Barmann näherte, um eine eventuelle Bestellung aufzunehmen. In der Luft hing noch vom Vortag der Gestank nach Bier, Schnaps, Schweiß und Rauch.„Hallo, Roberto“, sagte Izzy, als er auf den Barhocker neben dem Angesprochenen sank, und bleckte im Versuch eines freundlichen Grinsens die Zähne.Roberto hob als Antwort lediglich sein Bierglas, um seine Nase darin zu versenken.„Ich suche ein paar Typen, Robbie. Schmuggler. Menschenschmuggler. Ich... würde eventuell gern ihre Dienste in Anspruch nehmen. Kannst du mir weiterhelfen?“Hart stellte Roberto das Glas auf die Theke zurück. Der Inhalt schwappte hoch, kam aber nicht über den Rand des Glases. „Lass mich in Ruhe, Iz!“„Ach, komm schon, Robbie! Ich weiß, dass du etwas weißt. Ich brauche doch nur ein paar Informationen, die mir helfen, meine armen Verwandten aus Kuba heraus zu bekommen. Falls du es vergessen haben solltest, du schuldest mir noch einen Gefallen. Du weißt schon...“Endlich wandte Roberte Izzy das Gesicht zu. Die Blicke zweier dunkelbrauner Augenpaare prallten aufeinander und für eine Sekunde sah Izzy die lange Narbe in Robertos Gesicht. Sie war das Überbleibsel eines eskalierenden Streits rivalisierender Banden, bei dem ein Gegner versucht hatte, Robertos hübsches Gesicht in zwei Hälften zu schneiden. Jetzt sah nur noch die linke Seite es jungen Kolumbianers hübsch aus.Roberto blickte sich schnell um. Izzy sah deutlich, dass er Angst hatte. Wenn die falsche Person mitbekam, dass er plauderte, endete er als Leiche im Miami River oder als Alligatorenfutter in den Everglades. Nichts von beidem strebte er an.„Jetzt komm schon, Robbie, ein Name genügt und niemand wird je erfahren, dass ich ihn von dir habe“, drängte Izzy.Noch einmal schweifte Robertos Blick herum. Er glaubte Izzy jedoch und deshalb beugte er sich zu dem kleinen Kubaner hinüber, um ihm flüsternd etwas mitzuteilen.Ein breites Grinsen breitete sich auf Morenos Gesicht aus, das sich jedoch bereits im nächsten Augenblicke in eine Grimasse des Entsetzens verwandelte, denn Izzy sah einen Feuerblitz heranrasen. Das Geräusch berstenden Glases ließ beinah sein Trommelfell platzen und er spürte noch, wie er vom Barhocker abhob. Dann senkte sich Dunkelheit über Izzy Moreno.

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SECHZEHN – 22:00Mit langen Schritten hatten Rico und Sonny das Büro verlassen. Sie rannten zu Sonnys Wagen und rasten nun Richtung Little Havanna. Keiner der beiden Detectives sprach ein Wort.Während Sonny das Gaspedal durchtrat und auf riskante Weise mal rechts, mal links überholte, sah Rico immer wieder Ginas schreckensbleiches Gesicht vor sich und hörte ihren Ausruf: „EL FUEGO? Dorthin wollte Stan!“Es schien, als dauerte es endlos, bis sie endlich Little Havanna erreichten und sich dem Ort näherten, an dem das Unglück geschehen war. Der leichte Wind, der mittags kurz aufgekommen war, hatte inzwischen wieder einer absoluten Windstille Platz gemacht. Dementsprechend stand die dicke schwarze Rauchsäule immer noch in der Luft und wies Rico und Sonny den Weg.Von der anderen Seite näherten sich jaulend mehrere Rettungswagen und ein weiteres Einsatzfahrzeug der Feuerwehr. Mit blinkenden Lichtern bogen sie in die Straße des Vergnügungsviertels ein.Sonny folgte in gemäßigterem Tempo.Etliche Leute liefen scheinbar verwirrt umher, wirkten jedoch unverletzt. Der Bar gegenüber entdeckten die beiden Detectives zwei Feuerwehrfahrzeuge und zwei Rettungswagen. Sanitäter und freiwillige Helfer versorgten die Verletzten.Aus den zerborstenen Fenstern der Bar stieg schwarzer Qualm und hüllte das Gebäude ein, immer wieder durchbrochen vom Aufflackern des Feuers, das sich inzwischen durch die Decke nach oben gefressen hatte. Immer wieder tanzten die Flammen mal hinter diesem, mal hinter jenem Fenster im Obergeschoss, sodass man denken konnte, sie sprängen herum.Schläuche waren ausgerollt worden. Vollgefressenen Riesenschlangen gleich wanden sie sich über die Straße und spieen Wasser auf das Dach der Bar und der angrenzenden Häuser.Zwei Feuerwehrmänner mit Atemschutzmasken schleppten einen Verletzten hinaus, um ihn an die Sanitäter zu übergeben.Sonny parkte den Wagen am Straßenrand, jedoch weit genug vom Ort des Geschehens entfernt, damit ihm nichts passieren konnte, er aber auch nicht im Weg stand.Rico sprang bereits aus dem Fahrzeug, kaum, dass der Wagen still stand, und rannte über die Straße Richtung Bar. Sein Blick huschte permanent über die Gesichter der Menschen, die am Straßenrand standen, auf dem Bordstein sitzend medizinisch versorgt wurden oder ihm entgegen kamen.Wo war Stan?In Gedanken überschlug Rico, wie viel Zeit vergangen war, seit Stan das Büro verlassen hatte. Gina hatte gesagt, dass Stan das Büro gegen dreizehn Uhr dreißig verlassen hatte. Jetzt war es fast neunzehn Uhr. Bestimmt hatte er nicht die ganze Zeit im EL FUEGO verbracht, sondern war weitergezogen, nachdem er entweder die gewünschte Auskunft erhielt oder seinen Informanten nicht angetroffen hatte.Rico vermutete, dass Letzteres der Fall war, denn hätte Stan sofort die erhoffte Info erhalten, wäre er postwendend ins Büro zurückgekehrt, um Castillo zu unterrichten.Plötzlich entdeckte er einen türkisfarbenen 63er Ford Thunderbird, der in einer Seitenstraße parkte, an der sie vorbeikamen. Rico stieß Sonny an und wies auf das Nummernschild.„Stans Wagen!“, Presste Rico zwischen den Zähnen hervor.Der Freund war also tatsächlich noch hier gewesen, als es passierte.Rico und Sonny rannten weiter zur Bar. Gerade trugen die Feuerwehrmänner eine weitere Person heraus, einen jungen, dürren Schwarzen, der schlapp zwischen ihnen hing.Sofort eilten zwei Sanitäter mit einer Trage herbei, um den Verletzten zu übernehmen.„Er war der Letzte!“, Schrie der Feuerwehrmann, nachdem er die Atemschutzmaske vom Gesicht heruntergezogen hatte.„Verdammt, wo kann er denn nur sein?“, Knurrte Sonny. „Sein Wagen ist hier, also kann Stan auch nicht weit sein.“Rico wandte sich an einen Sanitäter und zeigte ihm seinen Dienstausweis. „Sind bereits Verletzte ins Krankenhaus gebracht worden?“Der Sanitäter nickte. „Ins Biscayne, so weit ich weiß.“Rico bedankte sich und er und Sonny machten sich eilends auf den Weg. Von unterwegs aus rief Rico im Büro an, um Castillo über ihren nächsten Schritt zu informieren.Im Krankenhaus herrschte Hochbetrieb, als Rico und Sonny die sich automatisch öffnende Glastür passierten, die in die Notaufnahme führte. Sie eilten zum Informationsschalter und fragten dort nach den Verletzten der Explosion.Die Schwester wies auf einen Nebengang an der rechten Seite. „Einige werden dort in den Räumlichkeiten behandelt, andere sind im OP.“Die beiden Detectives eilten in diesen Gang, in dem an der linken Seite vier Stühle standen. Gegenüber gab es insgesamt sechs Türen, die alle geschlossen waren. Stimmen drangen heraus, doch die Worte waren unverständlich. Hin und wieder klapperte oder klirrte etwas.Die Freunde ließen ihre Blicke über die Personen schweifen, die wartend auf den Stühlen an der linken Wand standen. Fast gleichzeitig atmeten sie erleichtert auf, denn auf einem der Stühle saß Stan. Der Freund hielt sich eine Kompresse gegen eine Stelle im Haaransatz. Sein Hemd war zerrissen und schmutzig und auch im rechten Hosenbein klaffte ein langer Riss, aber der Freund selbst schien verhältnismäßig glimpflich davon gekommen zu sein.„Bist du OK?“, Wollte Sonny wissen, als er sich links neben Stan auf dem Stuhl setzte. Rico nahm auf der anderen Seite des Freundes Platz.„Ja, ich war mit den Jungs hinten“, erwiderte Stan. „Wir haben Billard gespielt, bis plötzlich die Hölle los brach.“„Von heute Mittag an?“, Wollte Rico wissen. Einen Moment lang herrschte Stille. Die gegenüberliegende Tür öffnete sich. Eine junge Frau wurde herausgerollt und fast im Laufschritt davon geschoben. Durch die offene Tür bot sich den drei Betrachtern ein chaotisches Bild, das von den Rettungsversuchen der Ärzte und Schwestern kündete.„Ja, seit heute Mittag“, gestand Stan ehrlich. Er wandte den Kopf, um erst Sonny anzusehen, blickte dann Rico an. „Ich weiß, was ihr denkt: Trudy schwebt in Lebensgefahr und ich hänge mit diesen Typen im EL FUEGO ab und amüsiere mich.“„Es gab sicher einen Grund, warum du so lange in der Bar warst“, widersprach Rico.Wieder ließ Stan sich Zeit mit der Antwort. Er nahm die Kompresse herunter, um sich das Blut darauf anzusehen. Rico schielte zu der noch immer blutenden Wunde am Kopf des Freundes, eine Platzwunde, die sicher genäht werden sollte.Stan faltete die Kompresse neu, um eine noch saubere Stelle auf die Wunde zu pressen.Er schien mit sich zu kämpfen, was die Antwort anbelangte. Schließlich aber gab er sich einen Ruck. „Der Informant, den ich zu treffen hoffte, hängt täglich im EL FUEGO herum, um Billard zu spielen, aber heute war er nicht da. Seine Kumpels meinten, er käme sicher jeden Moment und forderten mich auf mit ihnen Billard zu spielen. Ich hab´s gemacht...“ Er hielt inne und starrte einen Moment lang auf den hässlichen Linoleumboden. „Verdammt!“, Fluchte er dann.Er blickte auf, sah erneut von einem zum anderen. Zorn auf sich selbst spiegelte sich auf seinem Gesicht. „Ich habe die verdammte Zeit vergessen! Gott, wie konnte das nur passieren?“Weder Rico noch Sonny antworteten darauf. Stan hatte Probleme, mit dem Spielen, aber sie hatten geglaubt, er hätte es im Griff.„Hast du ihn wenigstens getroffen und konntest etwas herausfinden, was uns hilft, Trudy zu finden?“, Wollte Sonny schließlich wissen.Langsam schüttelte Stan den Kopf. „Nein, ich habe ihn nicht getroffen, aber Moreno war in der Bar. Ich sah ihn allerdings erst draußen, kurz, bevor die Sanitäter ihn in den Rettungswagen schoben. Ich glaube, es hat ihn schlimm erwischt, aber er war bei Bewusstsein und sagte: „Sag deinen Freunden, ich weiß was...!“„Und?“, Fragte Rico. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es inzwischen fast zehn Uhr war. Trudy blieben also nur noch etwa zehn Stunden.

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SIEBZEHN IN TRUDYS GEFÄNGNISTrudy lag stocksteif da und lauschte. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich gewünscht, jemand möge eine Straftat begehen ... jetzt tat sie es.Tu´s endlich, Juanita, dachte sie. Brich irgendein verdammtes Fenster auf, steig in das Haus und durchsuch es, aber bitte von unten nach oben und nicht anders herum! Komm schon, Baby! Es ist gar nicht schwer und statt einer Strafe kriegst du einen Orden. Dafür sorge ich, wenn du bloß endlich einwilligst hier einzubrechen!„Und wenn mich jemand erwischt?“, Fragte Juanita. Sie klang, als schwankte sie bereits in ihrer Entscheidung.„Unsinn!“, Widersprach einer der Jungs. „Du weißt, dass selten jemand hierher kommt. Höchstens mal am Wochenende, wenn überhaupt.“Trudy glaubte, dass die Stimme zu dem gehörte, den Juanita zuvor mit Raoul angesprochen hatte.„Deshalb gibt es da drinnen bestimmt auch nichts zu holen“, fuhr Juanita fort. Der Moment der Unsicherheit war vorbei. „Es wäre blöd in ein leeres Haus einzubrechen, oder?“Trudy versuchte erneut, sich durch lautes schreien bemerkbar zu machen. Wenn sie die Teenies hörte, dann mussten diese sie doch ebenso hören, oder nicht?„Du kneifst also“, stellte der andere Junge höhnisch fest. „Gut, dann machen wir es eben allein. Ich habe nämlich gehört, irgendwelche Typen würden Drogen im Haus verstecken. Deshalb kommen sie auch nur her, wenn sie Nachschub brauchen. Wenn wir das Zeug finden und verhökern...“„Dann bringen euch diese Typen um“, fiel Juanita ihm ins Wort. „Aber... das ist eure Entscheidung. Ich möchte gern noch ein bisschen länger leben. Bis vielleicht irgendwann, Jungs.“Es wurde still. Trudy war klar, dass Juanita gegangen war. Die Jungs standen vermutlich unschlüssig vor dem Haus herum und sahen ihr nach, während das Wasser in den Kellerraum hinein – und Trudys Zeit davonlief.Erneut bemühte sich Trudy darum Laute zu erzeugen, damit die Jungs stutzig wurden, doch die aufheulende Schubumkehr eines Flugzeugs übertönte ihre Stimme und sie verstummte, um nicht unnötig Energie zu vergeuden.Trudy wandte den Kopf, um noch einmal den Wasserstand an der Wand zu prüfen, aber sie konnte zu wenig erkennen. Es schien, als wurde es bereits dunkel.Konnte das wirklich sein? Oder kam es ihr nur so vor?Als das Flugzeug verschwunden war lauschte sie. Redeten die Jungen wieder miteinander? Waren sie noch da? Oder waren sie Juanitas Beispiel gefolgt und davon gegangen.Die Stille zerrte an Trudys Nerven. Mit angehaltenem Atem, damit ihr kein Geräusch entging, setzte sie ihre Bemühungen, die Hände frei zu bekommen, fort.Sagt was, Jungs, dachte sie. Doch nichts deutete darauf hin, dass die beiden Jungen noch da waren. Und die Dunkelheit breitete sich wie ein schwarzes Tuch über Miami.

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ACHTZEHNSonny sprang auf und begann hin und her zu laufen. Er fuhr sich mehrfach nervös von vorn nach hinten durch die Haare, während Rico still auf seinem Stuhl saß und nachdachte, das rechte Bein lässig über das linke geschlagen, die Arme vor der Brust verschränkt.In der Notaufnahme wurde es mit einem Mal sehr hektisch. Türen flogen auf und prallten hart gegen die Wand, Rufe schallten hin und her und etliche Schwestern, Pfleger und Ärzte eilten aus allen Ecken und Winkeln herbei. Das Wort „Massenkarambolage“ fiel.„Moreno marschierte also ebenfalls ins EL FUEGO ..., weil er dort jemanden anzutreffen erhoffte, der offensichtlich wirklich kam? Wer könnte das gewesen sein?“, Überlegte Sonny laut, das ausbrechende Chaos weitestgehend ignorierend. Rico kam plötzlich ein Gedanke, der ihnen vielleicht helfen konnte zumindest diese Frage zu beantworten. Er erhob sich und eilte zur Information hinüber, wo er sich recht rücksichtslos an der Menschenschlange vorbeidrängte, die dort geduldig darauf wartete, an die Reihe zu kommen.Mit einem gewinnenden Lächeln sprach er die Schwester hinter dem Tresen an, die sich bemühte, bei aller um sie herum herrschenden Hektik die Ruhe zu bewahren.„Entschuldigen Sie, ich weiß, Sie sind sehr beschäftigt, aber könnten Sie mir vielleicht dennoch verraten, ob es eine Liste gibt, auf der die Namen der Personen vermerkt sind, die bei der Explosion im EL FUEGO verletzt wurden? Es ist von großer Wichtigkeit.“Die Krankenschwester blickte demonstrativ an Rico vorbei auf die zehn Leute, die bereits murrten, weil dieser Mann es einfach wagte sich vorzudrängen. Rico trat einen halben Schritt zur Seite, versperrte ihr so penetrant das Blickfeld und zwang sie auf diese Weise, ihn anzusehen.Die Schwester verdrehte leicht genervt die Augen. „Sorry, aber im Moment kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Sie sehen doch, was hier los ist“, sagte sie leicht ungehalten mit einer vagen Handbewegung, die die gesamte Notaufnahme einzuschließen schien.Rico verstand, was sie meinte. Es tat ihm auch sehr leid, dass er unnachgiebig bleiben musste, denn schließlich verrichtete die Schwester auch nur ihren Dienst, so gut sie es eben vermochte. Er zückte mit einem bedauernden Zucken seiner Mundwinkel seinen Dienstausweis, um ihn diskret aufzuklappen. Auch er handelte nur, wie es die Situation gebot, denn ihnen rannte die Zeit davon... was er der Schwester natürlich nicht sagen konnte.Mit einem fast oberlehrerhaften Unterton in der Stimme erklärte er: „Da es sich bei dieser Explosion um das Werk Krimineller handelt und ich die Information dringend benötige, können wir es auch anders machen: Ich besorge mir innerhalb von dreißig Minuten eine Verfügung, die es mir erlaubt, Ihren Computer zu beschlagnahmen, damit ich mir in aller Ruhe sämtliche Informationen herausziehen kann, die ich brauche. Würde Ihnen das besser gefallen?“Die Schwester ließ rasch den Blick herumschweifen, ehe sie entschied, dass es wohl am besten wäre, wenn sie Rico gab, wonach er verlangte. Einen Moment später hielt sie ihm einen Ausdruck entgegen, den Rico rasch überflog. Er entdeckte Stans und Izzys Namen, aber auch einen, der ihn sehr interessierte.Er hielt der Schwester das Blatt Papier vor die Nase und deutete mit dem linken Zeigefinger auf einen Namen. „Können Sie mir sagen, wo dieser Mann behandelt wird?“Die Schwester warf nicht einmal einen flüchtigen Blick darauf. „Fragen Sie am besten jemanden in dem Gang, in den ich Sie und Ihren Freud eben geschickt habe.“Sonny blickte Rico erwartungsvoll entgegen, als dieser mit langen, federnden Schritten den Gang entlang kam, ein Blatt Papier in der rechten Hand haltend, das er ihm nun reichte. „Ich glaube, ich weiß, wer Izzys Informant gewesen sein könnte. Roberto Cascada war dort.“Sonny riss ihm das Blatt regelrecht aus der Hand, um seinerseits einen Blick darauf zu werfen. Fast schien, es, als wollte er den Worten seines Freundes keinen Glauben schenken. „Cascada? Sieh an! Ehemaliges Mitglied der Diabolos. Hatte wahrscheinlich schon vor Erreichen seines zwanzigsten Lebensjahres ein Strafregister, das länger ist als dein Arm. Konntest du auch herausfinden, wo er jetzt gerade ist?“Ehe Rico antworten konnte öffnete sich eine weitere Tür und ein Mann wurde herausgerollt. Einer plötzlichen Eingebung folgend eilte Rico zu der Schwester und fragte: „Isadore Moreno oder Roberto Cascada, können Sie mir sagen, wo ich die beiden finde?“Der Arzt, der hinter ihr den Raum verließ, blickte kurz zwischen den drei wartenden Männern hin und her. Er warf einen schnellen Blick auf die Polizeimarke, die Sonny ihm eilends unter die Nase hielt, ehe er antwortete: „So weit ich weiß sind beide verstorben.“

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NEUNZEHNNachdem der erste Schock sich gelegt hatte beschlossen Rico und Sonny Kontakt mit Castillo aufzunehmen. Ehe sie die Klinik verließen erklärte Stan den Freunden, er werde, nachdem seine Verletzungen versorgt worden waren, mit einem Taxi nach Little Havanna fahren, um seinen Wagen zu holen. Anschließend wollte er ins OCB kommen.Rico und Sonny eilten zum Testarossa, von wo aus Sonny seinen Boss anrief. Castillo hörte sich an, was Sonny ihm erzählte, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. „Haben Sie die Aussage des Arztes überprüft?“„Nein“, entgegnete Sonny und wandte sich automatisch um, als weitere Rettungswagen jaulend und mit rotierenden Blinklichtern heranrasten. „Das ist im Moment nicht möglich.“Die rotierenden Lichter erhellten auf beinah unheimliche Weise die Dunkelheit, die sich inzwischen herabgesenkt hatte.„Hier ist die Hölle los, Lieutenant“, erklärte Sonny. „Es gab irgendwo eine Massenkarambolage und das ganze Krankenhauspersonal ist im Einsatz.“„Wie geht es Switek?“, fragte Castillo.„So weit ganz gut. Er kommt ins Büro, sobald die Platzwunde an seinem Kopf versorgt wurde.“„Dann kommen Sie jetzt hierher“, befahl Castillo und hängte auf.*22:45*Der Rest des Teams hatte sich bereits im Büro versammelt, als Rico und Sonny dort eintrafen. Alle wirkten müde und niedergeschlagen, aber dennoch würden sie nicht aufhören zu kämpfen.Castillo hatte die Zeit genutzt, um die Informationen, die er von Sonny am Telefon erhalten hatte, weiterzureichen. Als das Team komplett war sagte Gina: „Roberto Cascada besitzt eine Schwester, Maria, die auf den Straßenstrich geht. Trudy und ich haben sie schon einige Male festgenommen, aber ihr wisst selbst, wie das ist. Kaum sind die Mädchen wieder draußen, stehen sie auch wieder am Straßenrand. Seit einer Weile bekommen wir hin und wieder Infos von Maria.“„Suchen Sie das Mädchen und reden Sie mit ihr“, ordnete Castillo an.Er wandte sich an Damian und Fernando. „Wie sieht es bei Ihnen beiden aus?“„Wir haben uns noch mal Gedanken wegen des Täters gemacht“, erklärte Damian. „Trudy kannte ihn ebenso wie Leyland und Miller ihn möglicherweise gekannt haben, denn nur so lässt sich erklären, wieso Miller sich unter irgendeinem Vorwand hinter die Sträucher locken ließ. Also, haben wir uns gefragt, welche gemeinsamen Bekannten Trudy, Leyland und Miller haben könnten.“„Und?“, wollte Castillo wissen. „Kamen Sie zu einem Ergebnis?“Damian blickte zu Gina hinüber. „Hat Trudy nicht mal erwähnt, dass sie ein paar Mal mit Allera ausgegangen ist?“Gina runzelte die Stirn, während sie kurz nachdachte. Dann antwortete sie: „Ja, das stimmt, aber höchstens zwei oder drei Mal. Dann meinte Trudy irgendwann, sie würden wohl nicht zusammen passen. Mehr weiß ich nicht.“„Vorgestern traf ich Allera zufällig hier auf dem Parkplatz, wo er gerade aus einem funkelnagelneuen Sportwagen stieg. Ich sagte: „Schicker Wagen. Ihrer?“ Er sah mich an und meinte: Ja, haben Sie etwas dagegen?“, berichtete Fernando und fügte hinzu: „Woher hat er das Geld?“„Eine gute Frage, aber Ihre offensichtliche Vermutung, dass es aus illegalen Geschäften stammen könnte, reicht für eine genauere Untersuchung nicht aus. Beobachten Sie ihn! Vielleicht finden Sie ja etwas“, ordnete Castillo an.Das Telefon klingelte. Gina sprang auf und eilte nach nebenan, da sich außer dem Team niemand mehr im Büro aufhielt. Sie meldete sich, lauschte und sagte dann: „Ich reiche es weiter. Vielen Dank.“Mit einem verwunderten Ausdruck auf dem Gesicht kehrte sie in den Besprechungsraum zurück. „Das war ein Arzt aus dem Biscayne General Krankenhaus. Er sagt, ihnen wäre da wohl ein bedauerlicher Fehler unterlaufen.“ Sie blickte in die Runde, um sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zu sichern.„Izzy lebt!“„Na, so was!“, entfuhr es Sonny erstaunt. „Tubbs, Crockett, fahren Sie ins Krankenhaus. Vielleicht kann Moreno uns ja sagen, was er erfahren hat und unbedingt an Sie weiterreichen wollte.“Sofort sprangen Rico und Sonny auf und eilten hinaus. Auch die anderen Mitglieder des Teams machten sich auf den Weg. Mittlerweile war es nach ein Uhr morgens.

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ZWANZIGTrudy war eingeschlafen und die Benommenheit wollte nur sehr langsam weichen, nachdem sie wieder erwachte. Um sie herum herrschte absolute Finsternis und kein Geräusch störte die nächtliche Stille.Wie lange mochte sie geschlafen haben? Sie wusste es nicht. Mit den Fingerspitzen tastete sie nach unten, so weit sie reichte, um herauszufinden, ob das Wasser bereits so hoch stand, dass ihre Finger es berührten. Dem war jedoch nicht so und sie atmete erleichtert auf... auch, wenn es dafür eigentlich keinen Grund gab.Vierundzwanzig Stunden würde es dauern, ehe das Wasser sie überschwemmte, hatte Ben gesagt. Wann hatte er das Wasser aufgedreht? Es war bereits hell gewesen, also vielleicht sieben Uhr? Oder acht? Möglicherweise auch zehn.Trudy seufzte. Da sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie lange sie nach seinem Überfall ohne Bewusstsein gewesen war, konnte sie diese Frage nicht beantworten. Das Einzige, worauf sie sich absolut verlassen konnte, war der Wasserstand im Raum. Den aber konnte sie jetzt nicht kontrollieren.Trudy verspürte einen unbändigen Durst. Auch ihr Magen rebellierte, weil es schon so lange her war, dass sie ihn zuletzt gefüllt hatte, aber Essen war im Augenblick alles andere als wichtig.Vorsichtig drehte Trudy ihre Handgelenke hin und her. Sie spürte, wie die Verschorfungen aufbrachen und wenig später rann ein dünner Faden warmen Blutes über ihre Haut.Trudy biss die Zähne zusammen. Es war eigentlich sinnlos und sie wusste es, weil sie schon seit Stunden immer wieder versuchte sich zu befreien, doch es war alles, was sie tun konnte. Die Alternative wäre gewesen einfach da zu liegen und entweder auf die Rettung oder den Tod zu warten.Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Es war draußen vor dem Haus. Sie hielt den Atem an und lauschte. Ein Ast knackte, als jemand darauf trat.Stille folgte. Dann knirschte es metallisch genau vor Trudys Gefängnis. Das kleine Fenster gehörte also vermutlich zu einem Schacht, der mit einem Metallgitter abgedeckt war.Tatsache war: Jemand schlich dort draußen herum. Jemand, der nach einem Eingang suchte. Jemand, der sie retten konnte.Trudys Sinne waren geschärft. Sie atmete flach und stoppte auch ihre Bemühungen ihre Hände aus den Stricken herauszuziehen.Wo befindet er sich? ,dachte sie. Komm schon! Finde einen Weg ins Haus! Komm in diesen verdammten Keller!Ein Knirschen drang an ihr Ohr, so, als liefe jemand über einen mit Kies bestreuten Weg. Das Geräusch entfernte sich. Trudy stellte sich vor, dass der Einbrecher auf dieser Seite keine Möglichkeit gefunden hatte, um unbemerkt in das Haus einzusteigen. Deshalb versuchte er nun, hoffentlich, sein Glück auf der Rückseite.Sie wartete. Lauschte angestrengt. Wagte kaum zu atmen. Hoffte ständig, jeden Moment das splittern von Glas zu hören oder das bersten von Holz. Irgendein Geräusch, das ihr anzeigte, dass die Rettung nahte...

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EINUNDZWANZIG*2:00*Rico und Sonny eilten durch die Notaufnahme, in der es inzwischen ruhiger geworden war, auch, wenn natürlich nach wie vor einige Leute geduldig im Wartebereich der Dinge harrten, die da kamen.Der Arzt hatte Gina am Telefon die Nummer der Station genannt, auf der Isadore Moreno lag. Sie befand sich im Erdgeschoss, gleich hinter der Notaufnahme.Hinter dem Tresen saß nun ein Pfleger Marke Kleiderschrank, der nur kurz den Kopf hob, als die beiden Detectives vorbei eilten.Wenig später fragte Sonny eine Schwester nach dem Zimmer, in dem Izzy lag und sie wies ihnen den Weg zu Zimmer 121.In dem Raum herrschte diffuses Licht, um der Gestalt, die dort einer Mumie gleich ausgestreckt in dem Bett lag, soviel Ruhe wie möglich zu geben. Geräte piepsten rechts und links, eine klare Flüssigkeit tropfte in stets gleichbleibendem Abstand aus einer Flasche in einen Schlauch und rann von dort in Izzys Armvene.Rico und Sonny traten an das Bett des Kubaners. Erst dort bemerkten sie, dass Izzys Augen geöffnet waren. Er starrte jedoch nur an die Decke. Vielleicht hatte er nicht gehört, dass die beiden Besucher eingetreten waren.„Izzy?“, fragte Rico leise.Izzy blinzelte, ehe er langsam seinen Kopf etwas zur rechten Seite wandte. „Ihr schon wieder“, wisperte er.„Wir dachten schon, es hätte dich erwischt“, gestand Sonny.„Das wäre auch fast passiert, aber irgendjemand dort oben beschloss wohl, dass es noch zu früh wäre für Isadore Moreno, um die große Bühne der Welt zu verlassen.“Rico schmunzelte, während Sonny die Augen verdrehte und beinah respektlos murmelte: „Entweder hat es ihn weniger schlimm erwischt, als alle dachten, oder es hat seinen Dachschaden noch vergrößert.“„Ich tippe auf das erste“, erwiderte Rico. Er beugte sich vor und sagte: „Erinnerst du dich daran, dass du mit Stan gesprochen hast, bevor dich die Sanitäter in den Rettungswagen schoben?“„Natürlich erinnere ich mich. Wie geht es Switek?“„Gut“, antwortete Rico. „Erinnerst du dich auch daran, dass du ihm sagtest, du hättest etwas Wichtiges in Erfahrung gebracht?“Es blieb still. Izzy starrte an die Decke, den ihm wurde plötzlich bewusst, dass er sich nicht an alles erinnerte. Stan war neben der Trage aufgetaucht, auf der Izzy gelegen hatte. Blut war über sein Gesicht gelaufen und hatte ein bizarres Muster auf dem Hemd des Mannes hinterlassen. Einer der Sanitäter hatte Stan daraufhin eine Kompresse gegeben. In diesem kurzen Moment hatte er mit Switek geredet.Aber worüber?„Iz?“, fragte Sonny, als befürchtete er, Izzy hätte sich nun doch plötzlich von der Welt verabschiedet.„Ich denke, Crockett“, entgegnete Izzy. Dann seufzte er. „Mein Gehirn fühlt sich noch etwas müde und braucht wohl doch einen Moment, um sich an alles zu erinnern.“„Wir helfen deinem Gehirn auf die Sprünge“, bot Rico an, während er einen Stuhl zum Bett zog, auf dem er sich niederließ. „Du gingst ins EL FUEGO, weil du dort Roberto Cascada zu treffen hofftest, richtig?“Wieder herrschte einen Augenblick Stille. Izzy merkte, dass die Informationen seinem Erinnerungsvermögen halfen, die richtige Schublade im Gehirn aufzuziehen und den gewünschten Inhalt hervorzuholen.„Richtig“, bestätigte er. Dann erzählte er, wie er in die Bar gekommen war, Roberto an der Theke sitzen sah und sich zu ihm gesellte.„Roberto kennt sich aus in der Szene und er schuldete mir noch einen Gefallen. Ich behauptete, ich hätte Verwandte auf Kuba, denen ich dringend ein Ticket in die Freiheit besorgen wollte. Ich denke nicht, dass Roberto mir glaubte, aber er verriet mir dennoch etwas, dass sicherlich von großer Wichtigkeit sein dürfte...“„Jetzt sag´s schon, Iz!“, forderte Sonny ungeduldig. „Spann uns nicht länger auf die Folter!* Zeit 3:15 *Gina machte sich auf die Suche nach Maria. Meistens hing sie irgendwo an der Main herum, aber wie so häufig, wenn man jemanden suchte, hatte sie heute noch niemand gesehen.Gina fragte jeden, den sie traf und der auch Maria kannte, doch alle schüttelten nur die Köpfe oder zuckten die Achseln.„Ich glaube, Maria war schon drei Tage oder so nicht mehr hier“, erklärte eine Rothaarige, deren Kleid so tief ausgeschnitten war, dass selbst der Bauchnabel noch frei lag. Dann wandte sie sich ab, denn gerade verlangsamte ein Wagen mit getönten Scheiben seine Fahrt. Mit wiegenden Schritten, den Oberkörper leicht vorgebeugt, damit der potenzielle Kunde schon mal vorab einen Blick in ihr Dekollete werfen konnte, näherte sie sich dem Straßenrand.Gina ging weiter, doch gegen halb vier morgens gab sie niedergeschlagen auf, denn sie wusste nicht mehr, wo sie noch nach Maria hätte suchen sollen. In Nick´s Coffee – Shop besorgte sie sich einen Kaffee, kehrte zu ihrem Wagen zurück und trank das heiße Gebräu hinter dem Steuer sitzend.„Verdammt, wo steckst du nur, Maria?“, murmelte sie. Sie entdeckte die Rothaarige, die jetzt am Bordstein entlang flanierte in der Hoffnung, doch noch einen weiteren Freier zu ergattern, ehe die Nacht dem Tag wich.Nachdem Gina den Becher geleert hatte quetschte sie ihn in das Fach in der Tür und startete den Wagen. Da im Moment noch wenig Betrieb auf der Straße herrschte konnte sie es sich leisten langsam zu fahren. Das gab ihr die Möglichkeit weiter Ausschau zu halten. Man sollte die Hoffnung schließlich nie aufgeben.In der Nähe des Shelbourne Hotels bemerkte sie Benito Allera, den Chef der Einwanderungsbehörde, der, schick gekleidet, mit einigen Leuten, darunter auch zwei Frauen, das Hotel verließ. Gina glaubte, in einem der Männer den Chef einer großen Bank zu erkennen, über den kürzlich ein Artikel in der Zeitung gestanden hatte. Allera verkehrte offensichtlich in illustren Kreisen.Gina seufzte. Sie trat etwas mehr aufs Gas und machte sich unverrichteter Dinge auf den Weg zurück ins OCB. Als sie gähnen musste hatte sie sofort ein schlechtes Gewissen. Sie ließ das Fenster herunter, damit die frische Luft ihre Müdigkeit vertreiben sollte.Damian und Fernando waren zu Benito Alleras Adresse gefahren, einer gesicherten Wohnanlage mit Eigentumswohnungen in guter Lage. Sie parkten gegenüber dem schmiedeeisernen, jetzt verschlossenen Tor, durch das man nur einen Teil des langgezogenen Gebäudes sehen konnte.Das Haus lag in vollkommener Dunkelheit, die nur ab und zu durchbrochen wurde, wenn ein sich im Wind bewegender Ast oder ein Tier einen der Bewegungsmelder aktivierte.Damian machte es sich so bequem, wie es bei seiner Größe von über eins – neunzig in einem Fahrzeug möglich war. Er richtete sich auf eine langweilige Nacht ein.„Er scheint gut zu verdienen“, stellte Fernando fest. „Ein teurer Wagen, eine Eigentumswohnung... was mögen die hier in der Gegend kosten?“„Keine Ahnung, was man hier so zahlt. Ich beschäftige mich nur mit Dingen, die ich mir auch leisten kann“, antwortete Damian.Sie verstummten, warteten und blickten immer wieder zu dem Haus hinüber.„Wir vergeuden hier nur unsere Zeit“, murrte Damian eine ganze Weile später mit einem Blick auf die Uhr. „Gleich drei! Der Kerl liegt in seligem Schlummer, während Trudy...“Er brach ab, als wagte er nicht seinen Gedanken zu Ende zu bringen.„Was haben wir übersehen, Dam?“, fragte Fernando.Erneut gingen sie alles durch, was sie wussten: Trudys Treffen mit John, das zur Zufriedenheit ausgefallen war und keine Skepsis von Seiten der Schmuggler hatte erkennen lassen.Die Verabredung mit dem obersten Boss der Schmuggler, die schief ging, weil der Mann plötzlich Lunte roch. Wieso? Woher hatte er erfahren, dass Trudy Polizistin war? Es gab nur eine Antwort darauf: Der Schmuggler hatte es von dem Mann erfahren, den Trudy kannte und dem sie so sehr vertraute, dass sie ihm irgendwann am frühen Morgen ahnungslos die Tür öffnete.Handelte es sich wirklich um Allera? Und wenn ja, wie sollten sie es beweisen?Die Zeiger der Uhr drehten sich unaufhörlich weiter. Eine Katze eilte über die Straße. Sie schlüpfte zwischen den Stäben des Tores hindurch, um in den Sträuchern, die die Auffahrt säumten, zu verschwinden.Das Autotelefon klingelte, als bereits der neue Tag anbrach. Damian nahm den Hörer ab. „Parson!“Er lauschte, setzte sich aufrecht hin und wirkte plötzlich sehr aufmerksam. „Ja, ich weiß, wo das ist. Wir fahren hin!“Damian legte auf und während er den Motor startete, erklärte er: „Das war Castillo. Moreno hat Crockett und Tubbs die Adresse eines Verbindungsmannes der Schmuggler genannt. Wir treffen uns dort mit ihnen. Du wirst nicht glauben, wer dieser Mann ist!“

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ZWEIUNDZWANZIG Montagmorgen, 4:30Nachdem Izzy den Namen des Mannes nannte, der, laut Roberto Cascada, für die Schmuggler arbeitete, dauerte es einen Moment, ehe die beiden Detectives begriffen, wo der Zusammenhang zu Trudy zu suchen war.Dann aber verließen sie beinah fluchtartig das Krankenhaus. Vom Testarossa aus rief Sonny Castillo an, um ihm zu berichten, was sie von Izzy erfahren hatten. „Die undichte Stelle ist bei der Mordkommission. Es ist Avera. Können Sie uns seine Adresse besorgen, Lieutenant?“„Geben Sie mir zehn Minuten“, bat Castillo und legte ohne ein weiteres Wort auf.Rico und Sonny saßen im Wagen und warteten auf Castillos Rückruf, während sich im Osten langsam die ersten goldenen Strahlen der Morgensonne über den Horizont tasteten.„Halb fünf!“, stöhnte Sonny und fuhr sich mit der rechten Hand durch die Haare. „Hoffentlich ist der Kerl zu Hause!“„Ich hoffe nicht nur, dass er zu Hause ist, sondern dass er unsere Fragen beantworten kann“, grummelte Rico. „Uns bleibt noch Zeit bis etwa acht Uhr, um Trudy zu finden.“Das Telefon klingelte. Sonny riss den Hörer ans Ohr. „Ja?“Er lauschte für einen kurzen Moment, ehe er antwortete: „Alles klar, Lieutenant, wir fahren hin!“Er knallte den Hörer auf und startete den Motor. „Ich weiß jetzt, wo die kleine Kanalratte wohnt. Schnappen wir ihn uns!“Eine halbe Stunde später trafen Rico, Sonny, Damian und Fernando vor dem Haus aufeinander, in dem Benjamin Avera wohnte. Es handelte sich um ein einstöckiges Haus, das sich hinter mehrere hohe Sträucher zu ducken schien. Nur das moosbewachsene Dach und ein kleiner Teil des Giebels lugten hervor.Die Zufahrt zu dem mit Efeu bewachsenen Carport, das rechts neben dem Haus stand, war zum Schutz mit einer schwarzen Plane gesichert, sodass die Detectives nicht sehen konnten, ob ein Fahrzeug darin stand oder nicht.Sonny und Damian parkten ihre Fahrzeuge hintereinander. Die Männer stiegen aus und trafen sich auf der mit Unkraut überwucherten Zufahrt.„Ihr rechts herum, wir links?“, schlug Sonny leise vor.Damian und Fernando nickten.Sie näherten sich dem Haus. An dem riesigen Sträuchern verharrten sie für einen Moment, um das Gelände zu sondieren. Die Plane am Carport raschelte leise im Morgenwind, doch ansonsten blieb alles still.Damian und Fernando huschten nach rechts zum Carport, Rico und Sonny pressten ihre Rücken rechts und links neben die Haustür. Beide sahen zu den Kollegen hinüber, die nun die Plane anhoben, um einen Blick ins Innere des Carport werfen zu können.Damian schüttelte den Kopf. „Kein Auto da“, hieß das.Sonny unterdrückte einen Fluch. Im gleichen Moment bemerkte Rico, dass sich im Haus etwas tat. Licht flammte auf, dann hustete jemand. Eine Tür schlug geräuschvoll zu.Sonny hob die rechte Faust und hämmerte gegen die Eingangstür. Das Holz ächzte unter seinen Schlägen. „Aufmachen, Polizei!“, brüllte er.Drinnen betätigte jemand die Klospülung, ehe wieder eine Tür knallte.Stille trat ein.„Machen Sie die verdammte Tür auf! Polizei!“, schrie Sonny und donnerte weiter seine Faust gegen die Haustür. Entweder wurde sie geöffnet oder er würde sie einschlagen.„Ist ja schon gut! Lassen Sie die Tür ganz!“, meldete sich einen Moment später eine ärgerlich klingende Stimme von drinnen. „Ein alter Mann ist doch kein D – Zug!“Sonny hörte auf zu schlagen, als sich knirschend ein Schlüssel im Schloss drehte. Eine Kette wurde vorgeschoben.Eine Sekunde später öffnete sich die Tür und ein Kopf mit schlohweißem, noch vom Schlaf wirren Haar tauchte in der Öffnung auf. „Haben Sie nichts besseres zu tun, als einen alten Mann früh am Morgen zu belästigen?“„Wohnt hier Benjamin Avera?“, fragte Rico und zeigte seinen Ausweis.Der Mann betrachtete sich den Ausweis. „Is´ mein Enkel, ja.“ Dann musterte er erst Rico, dann Sonny aus stahlblauen Augen. „Spielt ihr Bullen seit Neuestem Fang den Kollegen oder was?“„Ist Ihr Enkel zu Hause?“, erkundigte sich Sonny. Auf den offensichtlichen Auflockerungsversuch des Mannes ging er nicht ein. Für solche Dinge blieb ihnen keine Zeit.Wieder wanderte sein Blick zwischen Rico und Sonny hin und her, öffnete die Tür aber nicht weiter als den kleinen Spalt, durch den er ins Freie lugte. „Wenn sein Auto nicht da ist, dann ist Ben auch unterwegs. Ist es da?“„Nein. Können Sie uns sagen, wo Ben ist, Mr. Avera?“, wollte Sonny wissen.Mr. Avera schnaubte. „Wo wird er wohl sein? Arbeiten wahrscheinlich. Hat doch dauernd Dienst.“„Dürfen wir uns drinnen mal umsehen?“, erkundigte sich Rico, aber Mr. Avera wich nicht einen Millimeter. Es schien sogar, als presste er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, um zu verhindern, dass die Detectives einfach eindrangen.„Nein, dürfen Sie nicht, es sei denn, Sie haben einen Durchsuchungsbefehl, oder wie das Ding heißt.“Im Haus polterte etwas zu Boden. Mr. Avera zuckte leicht zusammen. „Meine Frau“, sagte er schnell. Zu schnell für Sonnys Geschmack. Doch da überschlugen sich bereits die Ereignisse.Glas splitterte. Damians Stimme brüllte: „Keine Bewegung, Avera!“Rücksichtslos warf Sonny sich gegen die Tür, die unter seinem Ansturm ächzte, aber nicht nachgab. „He!“, protestierte Mr. Avera.Rico riss seine Waffe aus dem Holster und benutzte den Griff, um das Fenster neben der Tür einzuschlagen.Damian schrie: „Pass auf, Fern, er hat eine Waffe!“„Waffe runter, Avera!“, forderte Fernando. „Zwingen Sie uns nicht zu schießen!“Das Glas des Fensters brach. Mit einer schnellen Bewegung wischte Rico die Scherben fort.„Sonny!“, rief Rico, als er sah, dass die Tür weitaus stabiler war, als sie anfangs den Anschein erweckte.Mit einem letzten wütenden Schlag mit der Faust gegen die Tür eilte Sonny zu Rico, der bereits den Riegel zur Seite geschoben, das Fenster geöffnet hatte und dabei war einzusteigen.Ein Schuss zerriss die morgendliche Stille. Sonny fluchte, als er ebenfalls durch das Fenster kletterte.Rico durchquerte die Küche und rannte in die Diele hinaus, wo Mr. Avera ihn erwartete. Der alte Mann griff ihn sofort an.„Was fällt Ihnen ein...?“Rico versetzte ihm einen Stoß, der Mr. Avera zurücktaumeln ließ. Er stolperte gegen einen Schirmständer, der mit lautem Poltern umstürzte und so auch den Mann zu Fall brachte.Rico kümmere sich nicht um ihn. Er stürmte zu einem der Räume mit Fenster zum Garten, riss die Tür auf und prallte zurück...

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DREIUNDZWANZIGTrudy hatte angestrengt gelauscht. Sie hoffte, dass ihr bald das splittern von Glas anzeigte, dass der Einbrecher irgendein Fenster eingeschlagen hatte. Doch nichts geschah.War er unverrichteter Dinge wiederabgezogen? Hielt er nach einem anderen Objekt Ausschau, weil ihm dieses hier, vielleicht nach einem Blick in einen der rückwärtigen Räume nicht lohnenswert genug erschien?Trudy dachte an das Gespräch zwischen Juanita und den Jungen, das sie unfreiwillig belauschte. Das Mädchen hatte deutlich gesagt, dass es in diesem Haus nichts zu holen gab. Andererseits... erwähnte nicht einer der Jungen, dass sich, einem Gerücht zufolge, Drogen im Haus befinden sollten? Aus diesem Grund sollte ja auch Juanita hier einbrechen und möglicherweise war es der Grund, warum jetzt dort draußen ein Einbrecher herumschlich.Wo bleibst du denn? , dachte Trudy.Eine ganze Zeit lang passierte nichts. Trudy vermochte nicht zu sagen, ob es sich nur um Minuten handelte, eine viertel Stunde, eine halbe Stunde oder mehr. Dann plötzlich hörte sie Geräusche über sich. Schwere Schritte, die sich durch den Raum bewegten. Sofort schrie sie in das Klebeband hinein, das ihren Mund bedeckte. Sie wand sich hin und her, als könnte sie so ihrer Stimme einen lauteren Klang verleihen, und schlug mit den Handballen auf die Unterlage, auf der sie lag.Dann hielt sie inne, um zu lauschen. War er überhaupt noch im Haus? War er nur in einen anderen Raum gegangen oder vielleicht in ein anderes Stockwerk, falls es eines gab?Dann hustete er. Er schien unweit des Kellerabgangs zu stehen, denn sie hörte ihn sehr deutlich.Ja, komm, öffne die verdammte Kellertür! Komm hier herunter! , feuerte sie den Einbrecher in Gedanken an.Er drehte am Türknauf, versuchte offensichtlich tatsächlich die Kellertür zu öffnen. Trudys Herz begann vor Freude schneller zu schlagen. Rettung nahte! In wenigen Augenblicken kam er hier herein und fand sie.Stocksteif lag Trudy da und wagte kaum zu atmen. Einerseits wollte sie am liebsten laut losschreien, damit er sie hörte und vielleicht sofort begriff, wie wichtig es war, dass er in den Keller ging, aber andererseits befürchtete sie, sie könnte etwas verpassen, wenn sie zu laut war.Und dann vernahmen ihre Ohren ein lautes, gequält klingendes Stöhnen, dem ein dumpfer Aufprall folgte. Trudy riss entsetzt die Augen auf. Was war geschehen? War er ausgerutscht und hatte sich verletzt?Sie lauschte. Wartete. Alles blieb still. Nichts deutete daraufhin, dass sich außer ihr noch irgendjemand in diesem Haus aufhielt. Nach einer Weile wurde ihr klar, dass der Einbrecher sie nicht retten würde. Vor Enttäuschung und Verzweiflung fing sie an zu schluchzen. Keiner würde kommen, um sie zu retten, denn niemand hatte eine Ahnung, wo er nach ihr suchen sollte.Was sie jetzt dringend brauchte, war ein Wunder oder vielleicht der berühmte Kommissar Zufall, der, vor allem in Krimis, immer gern dann auftauchte, wenn die Ermittler nicht mehr weiter wussten.Die Tränen rannen in ihre Haare, während die Zeiger der Uhr erbarmungslos voranschritten. Schließlich stahlen sich die ersten Strahlen der Morgensonne durch das kleine Fenster in den Raum, in dem Trudy gefangen war.Sie wandte den Kopf, um in der zunehmenden Helligkeit den Wasserstand zu prüfen. Wieviel Zeit blieb ihr noch?Das Wasser glitzerte, wo das Licht darauf fiel. Trudy hielt entsetzt den Atem an. Dann drehte sie die rechte Hand etwas, bis die Fingerspitzen nach unten zeigten... und das Wasser berührten.

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VIERUNDZWANZIG* 5:15 *Durch das Fenster entdeckte Rico Fernando und einen anderen Mann die am Boden lagen. Rico vermutete, dass es sich bei dem anderen Mann um Benjamin Avera handelte.Damian hielt Fernando im Arm.Rico kletterte aus dem Fenster. „Dam?“, rief er.Damian hob den Kopf. Sein Gesicht zeigte eine ernste Miene und sein Kopfschütteln machte Rico klar, dass Fernando es wohl nicht schaffen würde.Rico rannte zu Avera, der ausgestreckt auf dem Rücken lag, das rechte Bein angewinkelt. Seine rechte Hand bewegte sich fast im Zeitlupentempo zu seiner Brust hinauf, wo sich ein roter Fleck ausbreitete.Rico fiel neben Avera auf die Knie und schob seine rechte Hand unter den Kopf des Mannes.Avera blickte ihn starr an.„Wo ist Trudy?“, fragte Rico.Averas Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Fahr zur Hölle!“, wisperte er.„Dorthin wirst du bald fahren“, erwiderte Rico. „Wo ist sie?“Avera antwortete nicht. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Er hustete. Sein Blick wanderte zwischen Rico un Sonny hin und her. „Helfen Sie mir!“„Avera, was haben Sie davon, wenn Sie Trudy sterben lassen?“„Helfen Sie mir!“, wiederholte Avera.„Zuerst helfen Sie mir“, verlangte Rico. „Sagen Sie mir, was ich wissen will!“Das Wasser schien schneller zu steigen als zuvor. Zumindest kam es Trudy so vor. Musste sie zuvor noch die Hand ausstrecken, damit ihre Finger das Wasser berührten, lagen sie jetzt schon im Wasser, ohne dass sie etwas tun musste. Es durchnässte bereits ihren Rücken und umspielte ihren Nacken.Mr. Avera stürmte aus einer Tür in den Garten hinaus. Sein dunkelbrauner, abgeschabter Frottee – Bademantel bauschte sich beim Laufen, öffnete sich und gab den Blick auf einen verwaschenen Seidenpyjama frei.„Ben!“, schrie er. „Oh, verdammt, Ben! Was machst du denn für einen Scheiß? Ich hab´ dir gesagt, du sollst dich still halten!“Sonny griff nach dem Arm des alten Mannes und hielt ihn fest.„Lassen Sie mich los! Ich muss zu meinem Enkel!“, kreischte Mr. Avera empört.„Ihr Sohn hat eine Frau entführt und sie wird sterben, wenn wir sie nicht in den nächsten Stunden finden“, fauchte Sonny. „Hilft er uns, helfen wir ihm!“Ben starrte Rico an. Rico hielt dem Blick Stand. „Sagen Sie es mir, Ben!“, forderte er.„Verdammt, was wollen Sie denn von ihm?“, zeterte Mr. Avera, während er weiterhin versuchte, seinen Arm aus Sonnys Umklammerung zu befreien.Sonny drückte kurz zu, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu gewinnen. Mr. Avera reagierte sofort und Sonny wiederholte: „Er hat im Auftrag eines Gangsters eine Kollegin entführt und sie wird um acht Uhr sterben, wenn wir sie nicht finden. Verstehen Sie?“Die stahlblauen Augen des älteren Mannes weiteten sich entsetzt. Sonny sah ihm deutlich an, dass er nicht glauben konnte, was er gerade gehört hatte. Dennoch begriff er, dass die Polizisten nur aus diesem Grund hierher gekommen waren.Er blickte seinen Enkel an. Sekunden vergingen. Die Detectives hofften, dass der alte Mann einen ausgeprägteren Gerechtigkeitssinn besaß als sein Enkel, dass er Einfluss auf Ben nahm und genug davon besaß, um ihn dazu zu überreden ihnen zu verraten, wo sie Trudy finden konnten.Mr. Averas Züge verhärteten sich. Den Blick starr auf seinen Enkel gerichtet befahl er: „Sag´s ihnen, Ben!“Trudy spürte Panik aufsteigen. Sie riss nun verzweifelter an den Stricken, während die Tränen unaufhörlich aus ihren Augen rannen. Die Hände abwechselnd hin und her drehend und daran ziehend hoffte sie, dass es ihr gelang, wenigstens eine Hand frei zu bekommen. Die Fesseln saßen jedoch immer noch fest. Das Wasser würde die Stricke jetzt aufquellen lassen und somit eine Befreiung gänzlich unmöglich machen.Als Mr. Avera erneut seinen Arm loszureißen versuchte, gab Sonny nach. Mr. Avera eilte zu seinem Enkel und fiel neben ihm auf die Knie. Sein linker Arm schob sich auf eine fast herrische Art unter Bens Kopf und er zwang den Jüngeren, ihm ins Gesicht zu sehen..Rico zog automatisch seinen Arm zurück, verharrte jedoch in seiner Position. Nur mit den Augen verständigte er sich mit Sonny, der ihm bedeutete, dass er ins Haus gehen und den Rettungsdienst alarmieren würde.Rico nickte.Ben starrte seinen Großvater an. „Wir waren immer ehrlich, Ben...“„Deshalb ... “ Ben hustete. „...lebst du auch .... in dieser ...Baracke!“Mr. Avera ging nicht darauf ein. Er spürte wohl, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, doch aus jedem seiner nachfolgenden Worte klang seine Entschlossenheit heraus, Ben das Geheimnis zu entlocken.„“Wo ist sie? SAG ES MIR! Verdammt, Junge, was ist denn nur in dich gefahren?“Ben antwortete nicht sofort. Er schloss die Augen und einen Moment lang befürchtete Rico, Ben könnte sterben und das Geheimnis um Trudys Versteck mit ins Grab nehmen.„Ben!“, rief Mr. Avera. „Verdammt, öffne die Augen, Junge! Mach jetzt keinen Mist, hörst du?“Nur am Rande registrierte Rico, dass Sonny zurückkehrte und zu Damian und Fernando hinüber ging.Ben nahm einige zittrig wirkende Atemzüge, ehe er dem Befehl seines Großvaters nachkam. Quälend langsam schlug er die Augen auf . Dann hustete er erneut. Ein dünner Blutfaden rann aus seinem rechten Mundwinkel.Sein Blick huschte über das faltige Gesicht des alten Mannes, über das nun Tränen rannen.„Warum, Ben?“, fragte Mr. Avera.Rico schaltete sich ein. „Ben, Sie haben Mist gebaut, aber wenn Sie uns jetzt helfen, werden wir Ihnen ebenfalls behilflich sein und alles tun, damit Sie ein milderes Strafmaß bekommen.“Langsam wandte Ben den Kopf. Seine Augen, denen seines Großvaters sehr ähnlich, suchten Ricos grüne Augen. Vielleicht, um den Gehalt an Ehrlichkeit zu prüfen. Dann schluckte Ben. „Mc Kinley“, sagte er dann. „Er ... ist der Kopf der ...Schmuggler. Steven ... steckt auch drin...“Seine Stimme wurde leiser. Das Sprechen fiel ihm schwerer.„Wo ist Trudy?“, drängte Rico, doch um Bens letzte Worte zu verstehen musste er sein Ohr dicht an den Mund des Sterbenden bringen. Nach wenigen Worten fiel Bens Kopf kraftlos nach hinten.In der Ferne ertönten nun die Martinshörner der sich nähernden Rettungswagen. Rico sprang auf und eilte zu Sonny, der nun auf Fernandos anderer Seite am Boden hockte. Damian hielt immer noch Fernando im Arm, der nur schwach atmete.„Ben hat mir verraten, wo wir Trudy finden, Sonny“, sagte Rico,Es war inzwischen sechs Uhr. Trudy blieben noch zwei Stunden, wenn die Information stimmte, die auf dem Zettel mit der miserablen Rechtschreibung gestanden hatte.„Fahren wir!“, erwiderte Sonny.Trudy hörte eine Autotür zuschlagen. Ein Motor wurde angelassen. Dann fuhr ein Fahrzeug davon. Bisher hatte sie geglaubt, dass niemand hier wohnte. Es gab etliche Siedlungen, die erbaut worden waren, um Flüchtlinge aus Südamerika aufzunehmen und ihnen eine Bleibe zu bieten, bis man entschieden hatte, wohin sie gehen sollten. Inzwischen aber wurden nicht mehr alle Siedlungen benutzt, viele Häuser standen leer und wurden gern von Kriminellen als Unterschlupf genutzt. Das hätte erklärt, warum Juanita sagte, dass häufig Polizeiwagen hier durch kamen.Jetzt aber wusste Trudy, dass sie sich anscheinend geirrt hatte. Es wohnten Menschen in dieser Gegend.Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als sie draußen eine Stimme vernahm, die sich näherte und während des Sprechens auch wieder entfernte. „Jetzt zieh doch nicht so an der Leine, Chip! Du kommst noch früh genug in den Wald. Nein, wir biegen hier nicht ab! Himmel, mit dir spazieren zu gehen macht wirklich keinen Spaß! Dein Frauchen sollte dir mal ein paar ....“Die Stimme verklang. Trudy versuchte sich bemerkbar zu machen und der Hund hatte sie anscheinend auch gehört, nicht aber die Person am anderen Ende seiner Leine.Es war umsonst gewesen! Alles war umsonst!Während sie zum Testarossa rannten, nannte Rico Sonny die Adresse, die er von Ben bekommen hatte und den Namen des Drahtziehers.„Mc Kinley! Verdammt! Kein Wunder, dass er wusste, dass Trudy Polizistin ist.!“, antwortete Sonny.Rico rief Castillo an, um die Informationen weiterzuleiten. Er hörte Stimmen im Hintergrund und an der Art, wie der Lieutenant antwortete war ihm sofort klar, dass Mc Kinley dort war.Die Zeiger der Uhr drehten sich erbarmungslos weiter, während der weiße Wagen durch die Stadt jagte. Die angegebene Adresse lag außerhalb und war vom Haus der Averas aus nicht auf direktem Weg erreichbar.Halb sieben!Sonny bremste den Wagen, denn vor ihm staute es sich auf dem Expressway. Fluchend versuchte er sich zwischen den wartenden Fahrzeugen durchzuquetschen, was ihm viele böse Blicke und protestierende Hupkonzerte einbrachte.Er ignorierte es, bahnte sich fast rücksichtslos seinen Weg durch Hämmern auf die Hupe, dichtes Auffahren und Hochhalten seiner Dienstmarke, bis er dorthin gelangte, wo der Stau seinen Anfang nahm: Ein Unfall.Es sah übel aus, weil etliche Fahrzeuge ineinander gerauscht waren und fast die komplette Straße blockierten.Ein Kollege eilte herbei. Sonny ließ die Scheibe herunter und hielt ihm seine Dienstmarke vor die Nase. „Egal, wie Sie es ermöglichen, wir müssen hier durch. Es geht um Leben und Tod!“, erklärte er.Der Kollege schnaubte und erwiderte mit einer Handbewegung Richtung Unfallstelle: „Was denken Sie, worum es hier geht?“Rico beugte sich etwas herüber. „Wir haben keine Zeit, um mit Ihnen die Frage auszudiskutieren, wer die dringendere Arbeit hat!“, fauchte er. „Wir alle erledigen nur unseren Job.“Der Polizist holte tief Luft. „OK, fahren Sie ganz links und passieren Sie die Unfallselle langsam“, sagte er.Sonny nickte nur und tat wie ihm geheißen. Er hätte ohnehin nicht schnell fahren können, denn an vielen Stellen bedeckten Glasscherben die Straße oder Retter eilten herum.Rico und Sonny atmeten auf, als sie endlich freie Fahrt hatten. Sofort drückte Sonny das Gaspedal durch. Aufheulend schoss der Wagen vorwärts.Sieben Uhr!Das Wasser stieg unaufhörlich. Jetzt drang es bereits in Trudys Ohren. Wie viel Zeit mochte noch bleiben, bis sie komplett unter Wasser war und ertrank? Sie glaubte bereits zu spüren, wie die Stricke aufzuquellen begannen. Keine Chance mehr die Hände durchzuziehen und frei zu kommen.Rico würde nicht kommen. Wahrscheinlich hatte sie nicht mal ihn angerufen, sondern tatsächlich seinen Nachmieter, der ihren Anruf für einen blöden Witz hielt. Vielleicht hatte er sich nur fürchterlich darüber geärgert, dass jemand ihn am Sonntagmorgen aus dem Bett klingelte. Er hatte geflucht, sich wieder hingelegt, den Anruf vergessen und somit, natürlich vollkommen unbewusst, Trudys einzige Chance auf Rettung verschenkt.Rico blicke auf die Uhr. Kurz nach sieben!Wenn er sich nicht täuschte, dann dauerte es etwa zwanzig Minuten bis sie die angegebene Adresse erreichten. Stimmte die Information, die der unbekannte Schreiber ihnen gegeben hatte, dann blieben ihnen vierzig Minuten, um Trudy zu retten. Das müsste reichen. – Eigentlich!Eine Weile fuhren sie schweigend dahin. Beide Männer hingen ihren Gedanken nach, die sich vor allem darum drehten, ob es ihnen tatsächlich gelingen konnte Trudy zu retten und ob sie ausreichend Beweise fanden, um Mc Kinley festnageln zu können.Das Telefon klingelte, als sie sich dem Ziel bereits näherten. Rico ging ran und meldete sich mit einem knappen: „Ja?“Dann lauschte er einen Moment, ehe er sich bedankte und auflegte. „Das war Castillo.“ Er holte tief Luft. „Fernando ist gestorben, noch ehe der Rettungswagen vor Ort war. Mc Kinley wurde bereits verhaftet, denn Gina und Stan, die ebenfalls zu Avera gefahren sind, fanden fast auf Anhieb in Bens Zimmer Papiere, die Mc Kinley belasteten.“Sonny raste um eine Kurve herum. „Gut, dass er ihn verhaften konnte“, sagte er nur.Die Gegend, in der sie sich nun befanden, war vorwiegend eine Ferienhaussiedlung, in der nur einige Häuser permanent bewohnt wurden. Alles wirkte gepflegt. Vor einigen Häusern parkten Autos, aber alles war ruhig. Kein Fahrzeug kam ihnen entgegen, in keinem Haus brannte Licht.Rico und Sonny musterten die Namen der Straßen, bis sie endlich jene fanden, die Avera genannt hatte. „Nummer Zwei – Eis - Zwei“, murmelte Rico. Mit einem Fingerzeig nach rechts meinte er: „Hier sind die ungeraden Hausnummern. Es muss also auf deiner Seite sein.“Sonnys Blick richtete sich fast unverwandt aus dem Seitenfenster. „Zwei – Null – Acht, Zwei – Eins – Null... Da ist es! Zwei – Eins -Zwei!“ Sonny trat auf die Bremse. Er lenkte den Testarossa an den Straßenrand und beide Männer sprangen aus dem Fahrzeug.Im Laufen riss Sonny seine Waffe aus dem Holster und entsicherte sie. An der Haustür probierte Rico erst aus, ob es möglich war die Tür normal zu öffnen. Es ging nicht. Er schüttelte den Kopf.Sonny bedeutete ihm zur Seite zu treten. Rico presste seinen Rücken gegen die Wand neben der Tür und kniff die Augen zusammen, während Sonny auf das Türschloss zielte.Der Schuss zerriss die Stille. Etliche Vögel flogen laut schimpfend auf. Die Tür flog auf und knallte gegen die Wand.Trudy hörte den Lärm. Das Wasser, das inzwischen ihr Gesicht überschwemmte und die Nase nur deswegen noch nicht überflutet hatte, weil Trudy den Kopf weit in den Nacken legte, dämpfte die Geräusche. Dennoch glaubte sie, dass es sich um einen Schuss gehandelt hatte. Oder gaukelte ihr die Fantasie etwas vor, das nicht da war?Sie lauschte, hörte aber kein weiteres Geräusch, das ihr gesagt hätte, dass sie sich nicht irrte. Die Angst nahm mittlerweile überhand. Es gab kaum noch etwas, dass sie tun konnte, um die Nase über Wasser zu halten. Sich zu bewegen wagte sie nicht mehr, denn dann schwappte es hoch und drang in ihre Nase ein.Wie viel Zeit blieb ihr? Fünf Minuten? Zehn? Eine Viertelstunde? Sie wusste es nicht.Sich nach allen Seiten sichernd huschten Rico und Sonny von Zimmer zu Zimmer. Im Hausarbeitsraum entdeckte Sonny die aufgebrochene Tür, wenig später fanden sie in der Küche, in der sich auch der Zugang zum Keller befand, eine Leiche.Der junge Mann lag halb auf der Seite, in seinem Bauch klaffte eine große Wunde, in der ein Messer steckte.Die beiden Detectives sahen sofort was geschehen war. Jemand hatte hier eine Falle installiert. Eine mit einer Feder verbundene Vorrichtung, in der das Messer gesteckt hatte, war über einen dünnen, weißen Faden mit dem Türknauf verbunden. Als der Einbrecher – etwas anderes konnte er nicht sein – am Türknauf drehte, löste er die Falle aus. Die Feder katapultierte das Messer aus der Halterung.„Raffiniert“, murmelte Sonny.„Ja, wir sollten vorsichtig sein. Niemand installiert grundlos solche Fallen“, stimmte Rico zu. „Aber was mich ebenso interessiert ist, wieso besitzt dieses Haus einen Keller?“„Finden wir es heraus“, schlug Sonny vor.Sie suchten vorsichtig die Umgebung nach weiteren Fallen ab, faden jedoch keine. Deshalb drehte auch Sonny schließlich am Knauf, fand die Tür jedoch verschlossen vor.Erneut kam seine Waffe zum Einsatz. Einen Moment später schalteten sie die Beleuchtung ein. Dann eilten Rico und Sonny die Treppe hinunter, an deren Fuß sie sich teilten.Es gab drei Türen, von denen sich die ersten beiden problemlos öffnen ließen, aber nichts besonderes enthielten. Die dritte Tür aber war zwar eindeutig unverschlossen, aber etwas Schweres schien von innen dagegen zu drücken. Nicht einmal zu zwei schafften sie es, die Tür zu öffnen.Trudy hörte es nun deutlich. Jemand war an der Tür und versuchte hinein zu gelangen, doch er hatte keine Chance gegen die Kraft des Wassers.Sie sammelte ihre ganze Kraft und schrie in dieses verdammte Klebeband hinein, wieder und wieder.„Hast du das gehört?“, fragte Rico und legte das Ohr gegen die Tür. „Ja, aber was ist das?“, wollte Sonny wissen.„Es scheint, als ob jemand da drinnen ist!“, meinte Rico. „Wir müssen irgendwie von außen in den Raum!“Er wartete nicht darauf, dass Sonny reagierte, obwohl dieser nur den Bruchteil einer Sekunde nach Rico reagierte und hinter dem Freund die Treppe hinauf sprintete.Sie rannten aus dem Haus, umrundeten es und suchten nach einem Zugang zum Keller. Das einzige, was sie entdeckten, war jedoch ein mit einem Gitter gesicherter Schacht, der sich hinter Sträuchern verbarg.Das Gitter ließ sich leicht herausheben. Sonny rutschte mit den Füßen voran in den Schacht und trat die Fensterscheibe ein. Nachdem er die letzten Scherben weggetreten hatte, um die Verletzungsgefahr so weit wie möglich zu minimieren, ließ er sich in den dahinterliegenden Raum gleiten ... und versank sofort bis zu den Oberschenkeln im Wasser.„Verdammt!“, fluchte er.Rico folgte ihm, ehe Sonny ihm den Grund für seine Flucherei nennen konnte.„Trudy!“, schrie Rico, als er die Gestalt bemerkte, von der nur noch die Nase aus dem Wasser ragte.Er bahnte sich einen Weg durch das Wasser, griff unter Trudys Nacken und hob den Kopf an, so weit die Fesseln es zuließen.„Dreh das Wasser ab, Sonny!“, rief er, doch das hätte er eigentlich nicht sagen brauchen, denn Sonny hantierte bereits am Wasserhahn der Dusche herum. Der Wasserstrahl versiegte.„Keine Angst, Trudy, wir sind da“, versuchte Rico die Kollegin zu beruhigen, während er sich mit einer Hand darum bemühte das Klebeband zu lösen. Es hing in den Haaren fest und er würde zwei Hände brauchen, um es los zu bekommen.Eine halbe Stunde später beobachteten Rico, Sonny und Castillo, wie Trudy in einen Krankenwagen geschoben wurde.„Wir kamen wirklich in allerletzter Minute“, meinte Rico. „Was ist mit Mc Kinley?“Castillos Blick richtete sich auf einen fernen Punkt. „Er leugnet trotz aller Beweise, die Gina und Stan bei Avera fanden, aber es wird ihm nichts nutzen.“Endlich wandte er den Kopf, um die beiden Detectives anzusehen. „Kann ich weiterhin auf Ihre Dienste zählen?“Ohne zu zögern und fast gleichzeitig zogen Rico und Sonny ihre Dienstmarken aus der Tasche und hielten sie Castillo hin.„Nein“, sagte Sonny. „Meine Entscheidung ist gefallen.“„Dem kann ich nur zustimmen“, fügte Rico hinzu. „Man sollte immer wissen, wann es Zeit ist die Party zu verlassen.“Castillo nahm die beiden Ausweise. Er nickte. „Ganz, wie Sie wollen“, erwiderte er.

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