Schneesturm über Miami - (Abgeschlossene Geschichte)


Christine

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1. BEI MARTIN CASTILLO ZU HAUSE IN MIAMISonntag, 31. März 2008, 9:30 hMartin Castillo parkte seinen schwarzen Ford Kombi vor dem Haus. Er blieb einen Moment sitzen, den Blick auf den Rückspiegel gerichtet. Seit er vom Parkplatz des Präsidiums auf die Straße bog glaubte er, dass jemand ihm folgte. Nicht ständig, aber immer wieder sah er einen Explorer auftauchen und er war davon überzeugt, dass es immer das gleiche Fahrzeug war. Seit Castillo in die Straße einbog, in der sein Haus stand, hatte er den Wagen jedoch nicht mehr gesehen.Vielleicht werde ich langsam alt und sehe Gespenster, dachte er und seufzte, ehe er ausstieg. Die Nacht war lang gewesen. Obwohl er vor vier Jahren pensioniert wurde, nahmen die Kollegen verschiedenster Abteilungen gern seine Hilfe in Anspruch, wenn thailändische Kriminelle oder auch Zeugen im Spiel waren. Die Kriminlellen taten gern, als verstünden sie nichts, um Zeit zu schinden und bei Zeugen war meistens die Aufregung Schuld daran, dass sie die Sprachen durcheinander warfen. Der Kerl, der ihm die letzte Nacht und den halben Morgen stahl, war ein Zuhälter gewesen, der Kinder an Männer mit kranken HIrnen verkaufte, und vermutlich drei Mädchen im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren tötete, weil sie zu entkommen versuchten. Castillo ging den Plattenweg entlang zu seinem im thailändischen Stil eingerichteten Haus, dessen Südseite fast nur aus Glas bestand. Von den Bäumen und Sträuchern tropfte es, denn bis vor eta einer halben Stunde hatte es geregnet. Die Luft war schwer vor Feuchtigkeit. Seit er hier eingezogen war, hatte sich kaum etwas verändert, denn Castillo tauschte keine Dinge aus, nur weil gerade etwas anderes modern war. Und da er nie wieder geheiratet hatte, gab es auch keine Frau, die es nach irgendwelchen Veränderungen verlangte. Wenn man, wie er, drei Jahre im Untergrund zwischen Thailand und Burma gearbeitet hatte, lernte man genügsam zu sein und das, was man besaß, viel mehr zu schätzen. Castillo stieg die Treppe hinauf, um sich umzuziehen. Gegen das Meer zu kämpfen würde ihm jetzt gut tun, um seinen Zorn auf den arroganten Mistkerl herunterzukühlen. Er dachte an den Thai, während er sich umzog. "Glaubst du, ich habe Angst vor dir, alter Mann?," hate der Zuhälter von oben herab auf thailändisch gefragt und gestutzt, als Castillo in seiner Sprache antwortete: "Sag´s mir, wenn wir hier fertig sind!" Castillo sprang die Treppe hinab und verließ das Haus durch die große Glasschiebetür auf der Südseite. Von hier aus hatte man einen atemberaubenden Blick über das Meer, aber Martin Castillo sah kaum hin. Die Aussicht stellte nach all den Jahren nichts besonderes mehr dar. Mit dem großen, dunkelblauen Handtuch in der Hand und mit einer schwarzen Badehose bekleidet ging Castillo über den Strand. Der Wind war heftig an diesem Morgen und er riss an Martins Haaren, als wollte er ihn davon abhalten ins Meer zu gehen. Martin ließ das Handtuch achtlos fallen und watete ins Meer. Er ahnte nicht, dass ihm tatsächlich jemand vom Präsidium aus gefolgt war. Jemand, der ihn seit einigen Tagen beobachtete, um sicher gehen zu können, dass der Plan nicht schief ging. Es wäre übel gewesen, wenn Castillo ausgerechnet an diesem Wochenende die Reiselust gepackt hätte. Verborgen hinter einem Strauch beobachtete der junge Mann, wie Castillo kraftvoll gegen die Wellen ankämpfte.Das muss man dem alten Mann lassen, er ist immer noch erstaunlich gut in Form, dachte der junge Mann bewundernd. Ein nicht zu unterschätzender Gegner. Der junge Mann blickte zum Himmel hinauf, wo der Wind die Wolken schnell vorantrieb. Er zerrte an den Blättern der Bäume und wirbelte alles vor sich her, was nicht befestigt war. Der Wind spielte. Der Mann ließ den Blick herumschweifen, denn der Wind könnte seinen Auftrag behindern, aber dann entdeckte er den Stein. Er war handtellergroß, hellgrau und schwer genug für seine Zwecke. Castillo kämpfte fast eine Stunde lang gegen die heftigen, hoch aufschäumenden Wellen, die ihn sehr beanspruchten. Er spürte seine Muskeln, die immer noch fest waren, wie das Blut durch seine Adern schoss und der Sauerstoff in seine Lungen hinengepumpt wurde und wieder entwich. Das salzige Wasser schlug ihm ins Gesicht, hob ihn hoch und ließ ihn fallen wie einen Ball. Das Meer tobte.Er dachte nicht an den Thai, dem er das provokante Grinsen am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. Aber Martin Castillo war - meistens - ein sehr beherrschter Mann, der nach der Devise lebte: Nicht der Wolf, der am lautesten knurrt, ist das Leittier, sondern der, der alle anderen durch seinen bloßen Blick kontrolliert.Darin war Martin gut. Schließlich schwamm er zurück an den Strand und stapfte durch den Sand zu seinem dunkelblauen Handtuch. Er frottierte seine fast ergrauten Haare, ehe er sich das Handtuch lässig um die Schultern hängte. Castillo fühlte sich ausgepowert und auf eine angenehme Art müde, als er zum Haus zurückkehrte. Doch schon von weitem sah er, dass etwas auf dem gußeisernen Tisch lag. Etwas, das zuvor ganz bestimmt nicht dort gewesen war und von einem Stein aus seinem Garten beschwert wurde. Castillo ging näher und ließ gleichzeitig den Blick schweifen. Jemand war hier gewesen, beobachtete ihn möglicherweise immer noch. Vielleicht war dies eine Falle. Eine Bombe, die explodierte, sobald er den Stein wegnahm. Neben dem Tisch blieb Castillo stehen. Er blickte sich erneut um. Der Polizist in ihm mahnte zur Vorsicht. Jemand, der es nötig hatte, heimlich einen Brief irgendwo zu deponieren, führte nichts Gutes im Schilde. Als das Telefon läutete, war er versucht, es zu ignorieren, aber dann ging er doch ins Haus. Während er den Hörer abnahm, behielt er den Tisch im Auge. "Ja?""Haben Sie die Nachricht schon gelesen?," fragte eine heisere Stimme."Wer ist da?," wollte Castillo wissen."Lesen Sie die Nachricht. Sie wird Sie sehr interessieren." Dann war die Leitung tot. Castillo legte den Hörer auf. Anonyme Anrufer führten auch nichts Gutes im Schilde. Deshalb zog er Einmalhndschuhe an, hob vorsichtig den Stein hoch und öffnete den Umschlag. Als er den Briefbogen auseinanderfaltete, fiel etwas heraus, aber er achtete nicht sofort darauf, sondern starrte auf die Worte. Seine Müdigkeit schien mit einem Mal verflogen zu sein. IM NÄCHSTEN KAPITEL: TRUDY JOPLIN UNTERWEGS IN MIAMI

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2. TRUDY JOPLIN UNTERWEGS IN MIAMISonntag, 31. März 2008 8:40 hTrudy verließ ihr Appartement und schloss die Tür ab. Sie war etwas spät dran und würde versuchen müssen die Zeit auf dem Expressway wieder reinzuholen. Aber mit ihrem Wagen war das kein großes Problem. Trudy spannte den zitronengelben Regenschirm auf und eilte zu ihrem gebrauchten BMW Cabrio, das in eine auffallenden pink lackiert war. Die Farbe gefiel ihr nicht unbedingt. Dafür war der Preis akzeptabel gewesen. Man konnte eben nicht alles haben.Zu ihrem eng geschnittenen, weinroten Kleid passte die Farbe des Autos allerdings überhaupt nicht. Trudy hatte an diesem Sonntag Dienst und sie und Gina hatten für zehn Uhr eine Verabredung, für die es noch ein paar Dinge vorzubereiten galt. Hoffentlich ließ bis dahin wenigstens der Regen nach. Sie war Vice immer treu geblieben, hatte nur einmal - 1992 - geschwankt, ob sie Miami verlassen oder bleiben sollte. Damals war sie mit Staatsanwalt Greg Dorman zusammen gewesen. Als Greg die Chance auf einen tollen Posten in Washington DC bekam wollte er, dass Trudy ihn begleitete. Er malte ihr das Leben in der Hauptstadt in den allerschönsten Farben aus. Er beschrieb das tolle Haus, in dem sie leben, die berühmten Leute, die sie kennen lernen und die Partys, die sie besuchen würden Trudy dachte tagelang darüber nach, was sie tun sollte, abr schließlich entschied sie sich für Miami und gegen Greg. Die Entscheidung war gut gewesen, denn inzwischen war Greg zum vierten Mal geschieden. Gerade, als Trudy den Motor startete, klingelte ihr Handy. Trudy wühlte in der Handtasche herum und war froh, dass das leuchtende Display ihr bei der Suche half. Sie dachte - und hoffte - es wäre Damiam, der Mann, mit dem sie seit vielen Jahren zusammenlebte, und mit dem sie sich vor drei Tagen fürchterlich gestritten hatte. Damian hatte ein paar Sachen gepackt, war gegangen und mied sie auch im Büro.Vielleicht ist er zur Vernunft gekommen und will sich entschuldigen, dachte sie.Die Nummer gehörte jedoch nicht Damian. "Joplin." - "Guten Morgen." - "Natürlich kenne ich das alte Lagerhaus am Rosario Drive..." - "Nein, kein Problem. Ich fahre vorbei und..." - "In Ordnung." Sie legte auf. "Was für ein schreckliches Benehmen," knurrte sie, als sie den Scheibenwischer einschaltete und losfuhr. Während sie sich in den Verkehr einfädelte, dachte sie an das, was sie gerade erfahren hatte. Es ging um die Schauspielerin Melanie Wilson. Jemand hatte gemeldet, sie läge leblos an dem alten, baufälligen Lagerhaus Rosario Drive 1045. Vielleicht war sie tot, vielleicht auch nur durch Drogen weggetreten. Melanie Wilson war gerade Anfang zwanzig, in atemberaubender Geschwindigkeit die Karriereleiter hinaufgeklettert und kam mit dem Ruhm anscheinend nicht klar. Ihre Exzesse aller Art sorgten jedenfalls für hohe Auflagenzahlen bei zahlreichen Boulevardblättern und seit sie in Miami drehte, hielt sie hier alle in Atem. Vor gut einer Woche erst tauchte Melanie im Drogenrausch uneingeladen auf einer Strandparty auf, entledigte sich ihrer Kleidung und warf sich dem Gastgeber an den Hals. Ihm gefiel es, aber seine Frau rief erbost die Polizei. Die Presse hatte eine neue Schlagzeile und Melanie am nächsten Tag keine Ahnung, was passiert war. Trudy hatte die Geschichte hautnah miterlebt, weil sie in der Nacht Dienst hatte und zusammen mit Gina zum Strand beordert wurde, um Melanie einzusammeln. Melanie hatte während der Fahrt zum Präsidium ständig herumgekichert, laut und falsch "Blleding Love" gesungen und zusammenhangloses Zeug geredet. Seitdem war es ruhig geworden um Melanie Wilson. Sie müsste sich erholen und könnte auch ihre Arbeit erst in einigen Wochen fortsetzen, hatte ihre Mutter und gleichzeitig ihre Managerin erzählt. Trudy fragte sich, was Melanie an dem alten Lagerhaus gewollt hatte. Es wurde seit Jahren nicht mehr benutzt und seit ein Sturm das halbe Dach wegriss, mehrten sich die Stimmen, die für einen Abbruch plädierten. Die Einzigen, die sich zum Rosario Drive 1045 verirrten, waren Junkies, denen ein kaputtes Dach über dem Kopf lieber war als gar keins, und irgendwelche Nutten mit ihren Freiern. Trudy erreichte das Lagerhaus, als es gerade aufhörte zu regnen. Drum herum sah es trostlos aus. Irgendwelche Leute hatten ihren Schrott abgeladen, der nun fröhlich vor sich hinrostete. In allen Ritzen wuchsen Gras und Moos. Einige HInterlassenschaften, die ihr ins Auge fielen, deuteten darauf hin, dass es hier auch pelzige Bewohner gab, und irgendwo bewegte sich etwas quietschend im Wind. Die schillernden Oberflächen der Pfützen ließen darauf schließen, dass irgendwo Öl ausgelaufen sein musste. Sie entdeckte die leblose Gestalt sofort, die halb in der offenen Tür des Lagerhauses lag. Sie war weiß, trug einen weißen, sehr schmutzigen Minirock und dunkelblaue Pumps mit sehr gewagten Absätzen. Der Wind wirbelte den Rock hoch und gab den Blick frei auf das kordeldünne, weiße Verbindungsstück eines String - Tanga und die wohlgeformte linke Seite eines Hinterns. Mehr konnte Trudy aus dieser Entfernung nicht erkennen. Sie hängte sich die Handtasche über die Schulter und ging näher heran."Hallo?," rief sie.Vielleicht war die Frau ja ansprechbar. Aber sie reagierte ncht. Trudy erreichte die Frau. Sie zog die Tür etwas weiter auf und verzog das Gesicht, als ihr von drinnen ein scharfer, ekelhafter Geruch entgegenschlug. Sie beugte sich herunter. Im gleichen Moment kam Bewegung in die Frau. Ihre rechte Hand fuhr in die Höhe und obwohl Trudy instinktiv gegen die Hand schlug, gelangte etwas von dem Pfefferspray in ihre Augen. Sie fingen sofort an zu brennen und zu tränen. Trudy öffnete ihre Handtasche, um ihre Waffe herauszuholen. Die Frau zog die Beine an und versuchte mit ihren gefährlichen Absätzen nach Trudy zu treten, aber Trudy taumelte zwei Schritte rückwärts und entging dem Tritt. Allerdings verlor sie ihren linken Schuh, der in einem Riss im Boden hängen blieb, und die Tasche flog davon. Plötzlich hörte Trudy das metallische Klicken einer Waffe, die entsichert wurde. Sie erstarrte und wischte sich mit der Hand über die Augen, aber sie sah alles verschwommen."Das war´s dann wohl, Bulle!," sagte eine Männerstimme. Dann fiel ein Schuss. IM NÄCHSTEN KAPITEL: BEI RICARDO TUBBS IN NEW YORK
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3. BEI RICARDO TUBBS IN NEW YORK 11:00Ricardo Tubbs, Lieutenant beim Morddezernat, stieg vor dem Appartement - Komplex, in dem er wohnte, aus seinem Wagen, einem silbernen Audi TT. Er verschloss ihn mit der Fernbedienung und ging zur Eingangstür. Rico trug anthrazitfarbene Sportkleidung und schwarze Turnschuhe, weil er diesen schönen Morgen genutzt hatte, um durch den Central Park zu joggen. Nach wie vor liebte er es sich sportlich zu betätigen, vor allem, seit er die meiste Zeit im Büro verbrachte. Rico stieß die Eingangstür auf. In dem sauberen Flur roch es nach Chlor und ein Schild an der Wand wies darauf hi, dass das Abladen und Abstellen von Gegenständen verboten war. Er dachte darüber nach, was er mit dem freien Sonntag anfangen sollte. Freddy Johnson hatte ihn schon am Freitag gefragt, ob er Lust hätte mit zum Bowling zu kommen und abends essen zu gehen. Rico hatte sich die Option offen gehalten und erklärt, er wolle das davon abhängig machen, ob seine Kinder Lust hatten ihn zu besuchen oder nicht. Alaina und Dylan Raphael stammten aus seiner Ehe mit Suzy Porter. Er lernte Suzy im Oktober 1990 kennen. Sie verliebten sich heftig, heirateten bereits vollkommen überstürzt im Januar und wurden, fast auf den Tag genau, drei Jahre und sieben Monate später geschieden. Am Anfang war es nicht leicht gewesen, aber inzwischen verstanden er und Suzy sich richtig gut. Deshalb würde er sie gleich anrufen und fragen, was Alaina und Dylan heue so vorhatten. Rico sprang die Treppe hinauf. Wenn man nur in der 4. Etage wohnte, war der Aufzug seiner Meinung nach überflüssig. Seine Schritte hallten, aber er hörte, dass noch jemand anders unterwegs war.Die hübsche, schwarzhaarige Frau, die seit einer Woche in dem Appartement gegenüber wohnte, kam ihm entgegen. Sie hatte eine Sporttasche dabei. Deshalb vermutete Rico, dass sie auf dem Weg ins Fitness - Studio war. Wie sie hießt, wusste er nicht. Er grüßte und sie erwiderte den Gruß. Mehr nicht. Rico dachte an Alaina. Sie war fast siebzehn und verspürte sicher keine große Lust den Sonntag mit ihrem Vater zu verbringen. Sie unternahm lieber etwas mit ihren Freudinnen, weil es sich viel leichter flirtete, wenn der Vater nicht daneben stand. Aber vielleicht hatte Dylan Lust mit ihm ins Kino zu gehen. Dylan kam gern zu seinem Vater, zumal Rico nichts dagegen hatte, wenn Dylans bester Freund Jordan ihnen Gesellschaft leistete. Rico hörte das Telefon klingeln, noch ehe er die Tür zu seinem Appartement erreichte. Er beeilte sich sie aufzuschließen und hechtete an den Apparat, der aus dem Schränkchen aus Eichenhoz gleich neben der Tür stand."Hallo?""Oh, Dad, du bist ja doch da," erklärte Alaina fröhlich. Sie vergaß ständig ihren Namen am Telefon zu nennen. "Ich wollte gerade wieder auflegen.""Du könntest mich auf dem Handy anrufen," schlug Rico vor, während er versuchte mit einer Hand die Jacke auszuziehen."Das habe ich versucht, aber ich glaube, dein Akku ist leer," sagte Alaina. Rico fischte das Handy aus der Innentasche seiner Jacke. Ein Blick auf das Display bestätigte Alainas Vermutung. "Ja, du hast Recht," gestand er, legte es auf den Schrank und ging zu der ellgrünen Ledercouch, um sich dort niederzulassen. "Hör mal, Dad, wir müssen ganz dringend über eine lebenswichtige Angelegenheit reden," sagte Alaina."Du bekommst kein eigenes Auto," erklärte Rico, der genau wusste, worauf Alaina anspielte."Ich fahre, seit ich sechzehn bin und Mama sagt, ich mache es wirklich gut." Rico seufzte. "Ich weiß.""Du kannst es gar nicht wissen, denn dein tolles Auto lässt du mich ja nie fahren," beschwerte sich Alaina. "Es genügt ja, wenn ich es zum Geburtstag bekomme, und es reicht, wenn es ein kleines ist..." "Alaina, jetzt vergiss nicht zu atmen!," warf Rico ein. Er seufzte, weil er keine Lust mehr auf diese ständig wiederkehrende Diskussion hatte, die zu nichts führte. "Wir haben darüber geredet. Zehn Mal? Zwanzig Mal? Die Antwort ist nein! Darin sind deine Mutter und ich uns absolut einig!" "Dad, das ist verdammt unfair!," fauchte Alaina. Die Ungeduld hatte sie eindeutig von Suzy geerbt. "Ich rauche nicht, ich trinke nicht...""Du bist erst sechzehn und darfst noch gar nicht trinken," sagte Rico. Alaina schnaubte. "Was man darf und was man tut sind zwei verschiedene Dinge, Dad. Sagst du ja?""Nein! Wie ich schon sagte, darin sind deine Mutter und ich uns absolut einig!""Das ist unfair! Gemein! Ich hasse dich!" Alaina knallte den Hörer auf."Jetzt gehst du aber eindeutig zu weit, Schätzchen," murmelte Rico. Kopfschüttelnd drückte Rico auf "Aus", stöpselte das Handy an das Ladegerät und ging ins Bad. Alaina musste ganz dringend lernen ihr Temperament zu zügeln. So übrredete sie ihn auf jeden Fall nicht. Rico hörte das Telefon klingeln, als er unter der Dusche stand. Er grinste. Sollte Alaina ruhig ein bisschen zappeln. Das schadete ihr bestimmt nicht, aber es machte ihr deutlich, dass er so nicht mit sich reden ließ. Als er das Bad verließ, begann es zum vierten Mal zu läuten. Rico grinste. Die Hartnäckigket hatte sie eindeutig von ihm geerbt. Er fand allerdings, dass er sie jetzt lange genug hatte zappeln lassen. "Hallo?," meldete er sich immer noch breit grinsend."Lieutenant Ricardo Tubbs, ehemaliger Detective bei Vice in Miami?", fragte eine ihm unbekannte, männliche Stimme."Wer sind Sie?," wollte Rico wissen. Das Grinsen verschwand. Stattdessen breitete sich ein mulmiges Gefühl in seinem Magen aus. "Woher haben Sie diese Nummer?"Seine Privatnummer stand nicht im Telefonbuch und war nur guten Freunden bekannt. "Das ist unwichtig," antwortete der Mann. "Hören Sie mir nur ganz genau zu und befolgen Sie meine Anweisungen, wenn Sie Tote verhindern wollen."Rico lauschte, aber er konnte nicht glauben, was er da hörte. IM NÄCHSTEN KAPITEL: BEI SONNY CROCKETT IN WEST PALM BEACH
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4. BEI SONNY CROCKETT IN WEST PALM BEACH 11:40Sonny Crockett, Lieutenant im Dezernat für Bandenkriminalität in West Palm Beach, stieß die Tür zu JIMMY JOHN´S GOURMET SANDWICH SHOP auf und trat ein. Er blieb eine Sekunde lang stehen, nahm die Sonnenbrille ab und sah sich um. Etwa zehn TIsche standen in dem Raum. Auf jedem lag eine Decke, darauf standen eine kleine Vase mit roten Nelken, Salz - und Pfefferstreuer und eine Speisekarte. Etwa die Hälfte der TIsche war besetzt. Es roch nach Kaffee, Rührei, frischen Brötchen und frisch gebratenem Schinken.Dann entdeckte er den Mann, mit dem er hier verabredet war: Angelo Crispi, 26 Jahre alt und seit drei Jahren im Untergrund tätig. Sonny war Angelos Boss. Sonny bestellte bei der hübschen, glutäugigen Kellnerin einen Kaffee, während er zu Angelo hinüber ging."Möchten Sie auch etwas essen?," fragte die Kellnerin. "Hier gibt es die besten Sandwiches in ganz West Palm Beach." Sonny kannte den hervorragenden Ruf von JIMMY JOHN´S GOURMET SANDWICH SHOP durchaus, aber er war nicht hungrig und lehnte dankend ab. Angelo ließ sich sein Schinken - Sandwich schmecken. "Hallo, Lieutenant," mampfte er, aber seine dunkelbraunen Augen blickten an Sonny vorbei auf die ansehnlichen Rundungen der Kellnerin in dem kurzen schwarzen Rock und der weißen Bluse. "Hallo, Angelo." Sonny ließ sich Angelo gegenüber nieder. "Was gibt es denn so dringendes am Sonntagmittag?" Die Kellnerin brachte Sonnys Kaffee, aber ihr Blick hing an Angelo. Viele Frauen drehten sich nach Angelo um. Er war fast eins - neunzig groß und unter seiner Lederweste zeichneten sich eine Menge Muskeln ab. Lackschwarzes, welliges Haar rahmte das kantige Gesicht mit den dunklen Augen ein. Angelo lächelte die Kellnerin gewinnend an, als diese sich daran machte ein paar Krümel zusammenzufegen. "Hör mal, Schätzchen, mein Freund und ich haben eine wichtige geschäftliche Besprechung. Wir beide können uns nachher unterhalten, ja?" Als sie fort war, beugte Angelo sich etwas vor und fragte leise: "Haben Sie schon mal den Namen EL GRANDE MAGO gehört?" Sonny dachte nach und schüttelte dann den Kopf. "EL GRANDE MAGO? Der große Zauberer? - Nein. Wer soll das sein? Ein neuer Copperfield?" "Ich gehe nicht davon aus, dass er die Pyramiden oder die Freiheitsstatue verschwinden lassen will," meinte Angelo, biss in sein Sandwich und kaute erst mal. "Was dann?," wollte Sonny wissen und begann leicht ungeduldig auf der Tischplatte herumzutrommeln. "Komm schon, Angelo, du kannst gleich weiter essen. Hast du wichtige Informationen, oder willst du mich nur neugierig machen und dann dumm sterben lassen?" "Ramon Gracciano und Kevin Bailey, zwei Jungs, die ich kenne, erzählten mir, dass Domenico Franco ihnen gut bezahlte Jobs bei einem Kerl besorgt hätte, der sich EL GRANDE MAGO nennt. Sie wissen wohl, wer das ist, mussten sich aber verpflicheten, nicht darüber zu reden..." "Ich wusste gar nicht, dass Domenico Franco sich nach der Entlassung aus dem Knast bei der Jobvermittlung beworben hat," staunte Sonny mit Ironie in der Stimme. Er pustete über den heißen Kaffee, probierte einen Schluck und verbrannte sich promt die Zunge. Er verzog kurz das Gesicht, dann fragte er: "Was für Jobs?" Angelo zuckte die Achseln. "Eine gigantische Sache, Lieutenant. Etwas, das so vorher noch nie da war. Mehr wussten die Jungs auch nicht, aber wenn ein großer Zauberer über einen Knastbruder wie Domenico Franco Kleinkriminelle anheuern lässt, kann nichts legales dabei rauskommen, oder?" Sonny ließ sich Angelos Worte durch den Kopf gehen, während er vorsichtig den Kaffee trank. "Hattest du vor ´ne Bewerbung abzugeben?"Angelo zuckte erneut die Achseln. "Es wäre interessant herauszufinden, welchen Zaubertrick EL GRANDE MAGO plant, oder?" "Warte noch ein paar Tage," bat Sonny. "Hör dich unauffällig um, während ich den Computer mit diesem Namen füttere. Mal sehen, was dabei herauskommt. Wir sprechen uns." Sonny trank die Tasse leer, bezahlte an der Theke und verließ den Sandwich Shop. Er schob die Sonnenbrille auf seine Nase. Sein Blick schweifte über die Frauen in ihrer mehr oder weniger knappen Kleidung. Er sah eine alte Frau, die eine Einkaufstasche trug, und Sammy, den Obdachlosen, der auf ein Geschäft für Spirituosen zusteuerte.Sonny eilte zu seiner Corvette und einen Moment später befand er sich auf dem Weg zum Präsidium. Mit halbem Ohr lauschte er "Blame it" von Jamie Foxx featuring T.Pain. Unterwegs entdeckte er eine langbeinige Frau mit langen, schwarzen Locken, die in sofort an seine Freundin Georgina Fowler denken ließ. - Wohl eher Ex- Freundin, denn nach einem Riesenstreit packte sie gestern Abend ihre Sachen und verließ Türen knallend sein Appartement. Worüber hatten sie eigentlich gestritten? Dass er zu viel arbeitete? Zu wenig Zeit für sie hatte? Dass er es hasste auf langweiligen Cocktail - Partys freundliche Konversation mit Leuten zu betreiben, die er nicht leiden konnte? Daran - und an einigen anderen Dingen - war schon seine Ehe mit Emily gescheitert. Es war seine dritte und, wie er Georgy gegenüber betont hatte, seine letzte Ehe gewesen. Die erste Ehe mit Caroline wurde 1984 geschieden. Sohn Billy, der aus dieser Ehe stammte, war seit August 2007 Polizist bei Vice in Miami und der Partner von seinem alten Kollegen Stan Switek. Caitlinn, seine zweite Ehefrau, war nach nur wenigen Monaten erschossen worden. Ob die Ehe Bestand gehabt hätte wusste er nicht, aber aus heutiger Sicht war er nicht davon überzeugt. Er war ständig auf Miamis Straßen unterwegs gewesen, Caitlinn, die eine bekannte Sängerin gewesen war, tourte durch das ganze Land. Die, die am meisten von dieser Beziehung profitiert hatte, war die Telefongesellschaft gewesen. Emily lernte er 1992 in Atlanta kennen, wo er für die Detektei Anderson gearbeitet hatte. Aus dieser Beziehung stammten Jamie, der knapp fünfzehn war, und die jetzt dreizehnjährige Helen. Geschieden waren er und Emily seit 1995. Sonny parkte die Corvette auf dem Parkplatz und eilte ins Präsidium. Er grüßte mehrere Kollegen, denen er begegnete, und rauschte mit einem freundlichen "Hallo, Jenny" an seiner Kollegin Jenny Billings vorbei, die er kannte, seit er ´95 nach West Palm Beach gekommen war. "Hallo, Sonny," entgegnete Jenny, die allein in dem Großraumbüro saß, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Ihre randlose Brille thronte in ihren dunkelbraunen, schulterlangen Haaren, in denen sich die ersten grauen Strähnen zeigten.Sonny vermutete, dass die anderen gerade Mittagspause machten. Drei der Computer waren auf jeden Fall eingeschaltet. Das ließ darauf schließen, dass die Leute, die daran arbeiteten, gleich zurückkamen. Sonny eilte in sein Büro mit den dunklen Holzmöbeln. Auf dem Schreibtisch standen drei Fotos. Das erste zeigte Billy, der haargenau aussah wie Sonny in jungen Jahren, an einem Grill stehend. Das Foto war letztes Jahr auf Sonnys Grillparty anläslich seines 58. Geburtstages geschossen worden. Auf dem zweiten Foto war Jamie zu sehen, der dunkelhaarig und braunäugig war wie Emily. Auch dieses Foto war auf Sonnys Geburtstagsparty geschossen worden. Jamie lachte gerade herzhaft über irgendetwas, das Billy zu ihm gesagt hatte. Helen hingegen hatte er an ihrem Schreibtisch sitzend fotografiert. Sie sah wieder Sonny sehr ähnlich, wirkte auf dem Foto jedoch sehr empört, weil er sie überrascht hatte. Mitten auf dem Schreibtisch aber lag ein Umschlag. Darauf stand: JAMES RICKLETT. Jemand hatte Ricklett durchgestrichen und CRICKETT daruntergesetzt. Eine dritte Person hatte schließlich alles durchgestrichen und SONNY CROCKETT auf den Umschlag geschrieben. Sonny nahm den Umschlag und drehte ihn um. Er war zugeklebt. Er ging damit zu Jenny. "Kannst du mir hierzu irgendwas sagen?," fragte er. Jenny sah auf. Sie schob die Brille auf ihre Nase und antwortete: "Ich weiß nur, was June Wilde mir erzählt hat. Angela Stark brachte ihr den Umschlag, den sie von Rita Connolly bekommen hatte. Wer ihn Rita gab weiß ich nicht." "Danke." Sonny kehrte in sein Büro zurück. Er fühlte, dass nicht nur Papier in dem Umschlag war. Er öffnete ihn, blickte hinein und sog tief die Luft ein. Dann griff er zum Telefon. IM NÄCHSTEN KAPITEL: IM VICE - BÜRO
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5. IM VICE - BÜRO MITTAGSGina Calabresi war beunruhigt, als sie den Hörer auflegte. Sie sah auf die Uhr, obwohl sie das erst vor einer Minute getan hatte. Sie wusste, dass etwas passiert war. Angela Billings, die weiße, etwas pummelige Sekretärin mit den kurzen, dunkelblonden Haaren, legte Gina eine Akte auf den Schreibtisch. "Das gehört noch zum Fall Donovan.""Ja, danke," sagte Gina, war aber nicht bei der Sache. Stan Switek kam mit mehreren Akten unter dem Arm ins Büro. "Immer noch nichts?," fragte er. Gina, die sich in den vergangenen Jahren kaum verändert hatte, schüttelte den Kopf. "Das passt überhaupt nicht zu Trudy. Wir hatten um zehn eine wichtige Verabredung. So etwas würde Trudy nie vergessen. Da muss irgendwas passiert sein, Stan." Stan legte die Ordner auf seinen Schreibtisch. "Billy ist auch noch nicht da," sagte er. "Das ist schon ziemlich merkwürdig. Ich erkundige mich mal, welche Notrufe eingegangen sind. Da war ein Unfall mit mehreren Fahrzeugen auf dem Don Shula Expressway. Da fahren beide entlang. Vielleicht waren sie darin verwickelt.""Das wäre toll, Stan.""Auf der Collins hatte es auch geknallt," sagte Ramona Allen, eine der Sekretärinnen. "Ich kann mich ja mal erkundigen, ob sie wegen des anderen Unfalls dort lang gefahren sind." Dorian Knight, seit September des vergangenen Jahres Lieutenant bei Vice, kam ins Büro. Wie immer wirkte er äußerst missmutig und war in Eile. Um ein Haar hätte er Sharon Evans, eine andere Sekretärin, über den Haufen gerannt. Sharon wich aus, aber ihre dunkelbraunen Augen blitzten empört, denn Knight entschuldigte sich nicht mal. Knight war eins - zweiundachtzig groß und sportlich durchtrainiert. Er war fünfundvierzig und in seinem dichten, dunkelbraunen Haar zeigten sich bereits etliche graue Strähnen. Die dunkelbraunen Augen kniff er meistens zusammen, als könnte er schlecht sehen, wäre aber zu eitel eine Brille zu tragen. "Lieutenant!," rief Gina.Knight blieb stehen und wandte sich um. "Ja?""Haben Sie Trudy heute Morgen schon gesehen oder mit ihr gesprochen?"Knight zögerte einen Moment. "Nein, warum?"Gina seufzte. "Ich kann Trudy nicht erreichen und dachte, Sie hätten vielleicht mit ihr...""Nein, habe ich nicht," fiel Knight ihr ins Wort. Das war einer seiner Fehler. Er ließ andere nicht ausreden, hörte oft nicht richtig zu und ging dann einfach davon, so wie jetzt auch. "Höflich ist wirklich anders," brummte Stan und fuhr sich durch die ergrauten Haare."Wir sind anderes von Castillo und Josh Hagen gewöhnt," seufzte Gina."Allerdings," mischte sich die Sekretärin Sarah Tobias ein und die hellbraunen Augen in ihrem dunklen Gesicht blitzten empört. Damian Parson und sein Partner Ben Bradford schneiten herein, um ihre Jacketts zu holen, ehe sie was essen gingen.Damian war über eins - neunzig groß, schwarz, zweiundfünfzig Jahre alt und der Nachfolger von Alan Miles, der seinerzeit für Ricardo Tubbs zu Vice kam. Er blickte amüsiert auf seinen wesentlich kleineren Partner hinunter."Ben, das gibt es nicht! Wer auch immer dir das erzählt hat, wollte dich verarschen und du bist darauf reingefallen." Ben blickte aus haselnussfarbenen Augen zu Damian auf. Er war ein weißer Mann, vierunddreißig Jahre alt und schlank. "Wieso sollte es nicht stimmen? Es gibt die verrücktesten Dinge." Damian grinste von einem Ohr zum anderen. "Ich bin seit dreißig Jahren Polizist, Ben, und ich habe schon eine Menge verrückte und unmögliche Dinge erlebt, aber so was...?" "Ich unterbreche eure kleine Plauderei nur ungern," mischte sich Gina ein, "aber kannst du mir sagen, ob Trudy heute Morgen noch irgendwohin fahren wollte, Damian?" Damian war seit vierzehn Jahren Trudys Freund, aber jetzt wirkte er leicht verlegen. "Nein, keine Ahnung, warum?" "Sie geht nicht ans Telefon und hier war sie auch noch nicht. Dienstbeginn war um neun und wir hatten für zehn eine Verabredung. Jetzt ist es fast halb zwölf. Ich mache mir wirklich Sorgen, Damian," gestand Gina. Damian wandte sich seinem Schreibtisch zu. Er dachte an den letzten Streit mit Trudy und kam sich ziemlich dämlich vor."Ich wohne seit drei Tagen in einem Motel," gestand er, drehte sich um und blickte Gina herausfordernd an. Gina ahnte, was passiert war. Trudy hatte nie den Kontakt zu Rico verloren und die beiden telefonierten ab und zu miteinander. - Wohl etwas häufiger, seit Ricos Lebensgefährtin Donna Edwards im Dezember starb. Damian war schon immer eifersüchtig auf Rico gewesen, auch wenn Trudy ihm nie einen Grund gab. Vor allem waren Damian und Rico sich noch nie begegnet.Dennoch hatten Trudy und Damian sich in den vergangenen Wochen häufiger wegen Rico gestritten. "Rico war immer ein sehr guter Kollege und er ist ein sehr guter Freund, der nach Donnas Tod jemanden zum reden braucht. Ich werde Rico nicht hängen lassen, nur weil Damian Gespenster sieht," hatte Trudy vor kurzem gesagt. Ben hieb Damian gegen die rechte Schulter. "Wir fahren mal zu ihr. Vielleicht gibt es ja eine harmlose Erklärung, warum du sie nicht erreichst, Gina. Komm, Damian!" Die beiden Männer verließen das Büro. Obwohl Gina wusste, dass es vergeblich war, versuchte sie Trudy auf dem Festnetz und auf dem Handy anzurufen. Als sie nach dem letzten Versuch auflegte, wandte sich Stan seufzend um. "Trudys pinkes Cabrio war nicht in den Unfall verwickelt und ebenso wenig Billys Porsche.""Auf der Collins waren sie auch nicht in den Unfall verwickelt," fügte Ramona hinzu. "Irgendwas ist passiert, Stan," orakelte Gina, abr sie hatte keine andere Wahl als zu warten, bis Damian sich meldete. Das tat er zwanzig Minuten später. "Sie ist nicht zu Hause," sagte er. "Ihr Wagen ist auch weg. Könnte sie in den Unfall auf dem Don Shula Expressway verwickelt gewesen sein?" Gina seufzte. "Das hat Stan bereits überprüft. - Negativ. Außerdem ist Billy ebenfalls unerreichbar.""Trudy und Billy?," fragte Damian."Unsinn!," fuhr Gina ihn an. Knight kam aus seinem Büro und Gina bat Damian kurz zu warten. Knight blickte zwischen Gina und Stan hin und her. Dann sagte er: "Man hat an dem alten Lagerhaus Rosario Drive 1045 eine Frauenleiche gefunden. Sie ist schwarz. Am Tatort steht Trudy Joplins Wagen. Außerdem fand man ihre Handtasche mit ihren Papieren und ihrem Dienstausweis. Fahren Sie hin." Knight kehrte in sein Büro zurück. Gina saß einen Augenblick wie erstarrt da. Sie dachte nicht mehr daran, dass sie immer noch den Telefonhörer umklammerte, bis Stan ihn ihr aus der Hand nahm. "Damian?," fragte er mit rauer Stime."Ich hab´s gehört, Stan. Rosario Drive 1045. Ben und ich fahren hin." Dann war die Leitung tot. Stan legte den Hörer auf. "Ich fahre," bestimmte er, als er Ginas bleiches Gesicht sah.Gina nickte. Sie folgte Stan durch die Gänge ds Gebäudes nach draußen, aber sie hatte nur einen Gedanken: Trudy war tot und sie hatte ncht die geringste Ahnung, was die Freundin am Sonntagmorgen an dem alten Lagerhaus gewollt hatte. IM NÄCHSTEN KAPITEL: RICOS ERINNERUNGEN
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6. RICOS ERINNERUNGENDer Mann hatte gesagt, was er ihm mitteilen wollte, ehe er einfach auflegte. Rico hörte ihm zu. Er konnte kaum glauben, was er hörte und dennoch klang alles logisch. Am Schluss wies der Mann ihn an, den Flug um vier nach Miami zu nehmen und das für ihn reservierte Zimmer im MERCURY SOUTH BEACH RESORT zu beziehen. Rico rief am Flughafen an und eine Frau bestätigte ihm die Reservierung auf den Namen R. Tubbs. Im Motel in Miami geschah das gleiche. Rico ging in die Küche, um sich einen Kaffee aufzubrühen. Ihm war klar, dass er nur eine Möglichkeit hatte herauszufinden, ob der Mann die Wahrheit gesagt hatte, oder ob er log: Er musste nach Miami fliegen. Während der Kaffee durchlief, ging er ins Schlafzimmer und packte eine Tasche. Es war die gleiche Tasche, die er 1984 mitnahm, als er nach Miami flog, um Calderone zu erwischen, und die er 1994 packte, um eine Rettungsaktion zu starten. Vielleicht wurde diese Geschichte hier etwas ähnliches. Als nächstes nahm er sich Urlaub. Eine Woche, so dachte er, genügte vermutlich. Gerade, als er den Hörer aufgelegt hatte, klingelte es erneut."Ja?", bellte Rico ins Telefon. "Jetzt schrei mir nicht ins Ohr, Dad!," beschwerte sich Alaina, um kleinlaut hinzuzufügen: "Ich verstehe ja, dass du sauer bist. Es war blöd von mir den Hörer aufzulegen, aber ich war auch wütend." "Könnten wir ein anderes Mal über dein schlechtes Benehmen reden, Alaina?," fragte Rico. "Ich bin gerade in Eile, weil ich in einer drinenden Angelegenheit weg muss." "Wohin denn?," wollte Alaina wissen und klang sofort wieder schnippisch."Du darfst alles essen, aber du musst nicht alles wissen," entgegnete Rico. Er hielt es für besser nicht über das Ziel seiner Reise zu reden. Zuerst brauchte er unbedingt weitere Informationen. "Eine blöde Antwort," murrte Alaina. "Wann kommst du wieder?""Das weiß ich nicht. Es kommt darauf an, wann ich alles erledigt habe.""Reden wir nach deiner Rückkehr über mein Auto?," fragte Alaina. Rico seufzte. "Nein, das tun wir nicht, denn darüber gibt es nichts zu reden. Im Übrigen muss ich noch einiges vorbereiten, denn mein Flug geht um vier. Ich rufe dich an, sobald ich zurück bin. Mach´s gut!" Rico ging in die Küche hinüber und füllte eine Kaffeetasse. Alaina war schon immer anstrengend gewesen. Sie bekam lautstarke Trotzanfälle, bis sie richtig sprechen konnte. Danach diskutierte und argumentierte sie endlos, aber dafür fehlten ihm im Moment die Nerven. Rico gab Zucker in die Tasse und während er umrührte, wanderten seine Gedanken zurück zu jenem Tag im Mai 1985. Er war wahnsinnig glücklich gewesen, denn er hatte Angelina wiedergetroffen und sie hatte ihm den gemeinsamen, fünf Monate alten Sohn Ricardo gezeigt. Das Glück dauerte keine 24 Stunden. Ein korrupter Polizist verriet Angelinas Halbbruder, wo sie zu finden war und als Rico zum Haus zurückkehrte, hatte Orlando Calderone seine Schwester und das Baby entführt. Als Rico Angelina das nächste Mal sah, war sie gefesselt, geknebelt und mit einer Bombe verbunden, die auf Bewegung reagierte. Ricardo lag neben ihr, eingehüllt in eine weiße Decke. Rico hatte sich kurz darüber gewundert, dass das Baby so ruhig schlief. Aber im Grunde genommen war er froh darüber gewesen, denn der Kleine war sehr kräftig und sein Strampeln hätte die Bombe vielleicht schon zünden können. Rico zweifelte damals nicht eine Sekunde daran, dass Ricardo bei seiner Mutter im Wagen war. Dennoch behauptete der Anrufer etwas anderes. "Maria Montoya," murmelte Rico, legte den Löffel ins Spülbecken und trank langsam seinen Kaffee. Er musste dringend mehr über die Frau herausfinden und ein paar andere Fragen klären. Rico schnappte sich das Telefon und wählte Trudys Privatnummer. - Nichts! Er rief sie auf dem Handy an. - Sie ging nicht ran. Deshalb versuchte er es unter der Büronummer. "Vice Squad, Ramona Allen, guten Tag," meldete sich eine freundliche Frauenstimme."Guten Tag, hier ist Lieutenant Tubbs aus New York. Ist Trudy Joplin nicht im Büro?""Nein, Sir," antwortete Ramona."Dann geben Sie mir bitte Stan Switek," bat Rico."Die Detectives sind alle auf dem Weg zu einem Tatort, Sir. Soll ich Detective Switek eine Nachricht übermitteln?," fragte Ramona hilfsbereit."Das ist nicht nötig, danke. Ich habe Detective Switeks Handynummer." Rico wählte Stans Mobilfunknummer und hörte das Jaulen von Martinshörnern, als Stan das Gespräch annahm."Stan, hier ist Rico. Schwer was los bei euch, was?""Das kann man so sagen. Du, hör mal, Rico, du weißt, ich freue mich über deinen Anruf, aber du hast dir den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ausgesucht und ich will ehrlich sein. An einem Lagerhaus wurde eine tote Frau gefunden und alles deutet darauf hin, dass es Trudy ist." "Ach, du meine Güte!," entfuhr es Rico."Es ist noch nicht amtlich, dass es sich um Trudy handelt," versuchte Stan ihn zu beruhigen."Ruf mich an, sobald du etwas weißt. Ich komme mit dem Vier - Uhr - Flug nach Miami und wohne im MERCURY SOUTH BEACH RESORT.""Bis dann," sagte Stan. Dann war die Leitung tot. Rico sah auf die Uhr. Es war Mittag und er hatte noch jede Menge Zeit. Zu viel Zeit! IM NÄCHSTEN KAPITEL: IN WEST PALM BEACH
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7. IN WEST PALM BEACHSonny wählte Billys Festnetznummer drei Mal hintereinander an und während er nervös darauf wartete, dass Billy ranging, ließ er den Inhalt des Umschlags auf seinen Schreibtisch gleiten. Es handelte sich um Billys Dienstausweis. Billy nahm den Hörer nicht ab. Während Sonny die Mobilfunknummer wählte, schossen ihm Erklärung durch den Kopf, warum jemand in den Besitz des Dienstausweises gelangt sein konnte. Billy könnte ihn verloren haben! - Sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Jemand hatte ihn gestohlen, während Billy in einer Bar saß. - Das klang wahrscheinlicher. Taschendiebe besaßen schnelle Finger. Ein versehentliches Anrempeln, der Griff in die Tasche... Aber warum schickte man ihm den Ausweis? Die dritte Möglichkeit war, dass es sich um eine gut gemachte Fälschung handelte. Billy nahm nicht ab. Auch im Büro war er nicht gewesen, wie eine Frau namens Ramona Allen ihm erklärte. "Sie können versuchen Detective Switek auf dem Handy anzurufen, Lieutenant Crockett," bot sie an. "Die Detectives sind nämlich eben alle zu einem Tatort gefahren. Vielleicht ist ihr Sohn dorthin gefahren und hat nicht gemerkt, dass der Akku seines Handys leer ist. Möchten Sie Detective Switeks Nummer haben?" "Die habe ich. Danke," antwortete Sonny und rief Stan an, aber der Freund war noch unterwegs. Sonny hörte das Jaulen der Martinshörner ud Stan klang irgendwie hektisch. "Nein, Sonny, ich habe Billy heute noch nicht gesehen, obwohl er Dienst hat. Du, ganz ehrlich, ich freue mich, dass du mich anrufst, aber es ist gerade absolut unpassend. Das habe ich Rico gerade auch schon gesagt. Hier geht im Moment alles drunter und drüber," sagte Stan. "Ich mache mir Sorgen, Stan," gestand Sonny und hörte selbst, dass er wie einer dieser überbesorgten Eltern klang, die ihre Kinder nicht loslassen können, obwohl sie längst erwachsen sind. Allerdings kannte Stan ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht so war. "Billy und ich waren gestern Abend noch auf ein Bier weg. In der Bar riss Billy eine heiße Schwarzhaarige auf. Vielleicht gingen sie zu ihr und weil sie sich so prächtig amüsiert haben, hat er verschlafen," versuchte Stan ihn zu beruhigen. "Jemand hat mir Billys Dienstmarke geschickt, Stan," gestand Sonny."Was?" Stan hielt einen Moment die Luft an. Dann sagte er: "Wir telefonieren nachher noch mal, ja? Wir sind gerade unterwegs zu einem Tatort und ... wahrscheinlich ist es Trudy. Bis später." Stan legte einfach auf, während Sonnys Blick nach wie vor auf dem Dienstausweis klebte. Billy war anscheinend entführt worden und Trudy war tot? Was zum Teufel war hier los? Sonny rief Rita Connolly an, auf deren Schreibtisch der Umschlag zuerst landete, und fragte, wer ihn gebracht hatte."Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Lieutenant," bedauerte Rita. "Ich kam aus dem Waschraum und fand den Umschlag." Sonny besorgte sich den Film aus der Überwachungskamera in der Eingangshalle. Er sah ein Mädchen von vierzehn, vielleicht fünfzehn Jahren. Sie war schlank, trug einen orangefarbenen Minirock und ein zitronengelbes Shirt. Schwarze, glatte Haare fielen bis über ihren Rücken. Ihre Lippen waren etwas zu voll, die Nase leicht gebogen und ihr Blick übernervös. Sonny wusste sofort, dass er von ihr, falls er sie fand, keine Hilfe zu erwarten hatte. Er vermutete, dass jemand, den sie garantiert nicht beschreiben konnte, ihr einen hübschen Geldschein zugesteckt hatte. Das Mädchen wusste mit Sicherheit nicht einmal, was in dem Umschlag gewesen war. Als das Telefon klingelte, zuckte Sonny zusammen. Der erste Gedanke war: Billy hat meine Nummer auf seinem Display gesehen und ruft zurück!Der nächste Gedanke war: Stan will mir sagen, dass Trudy tot ist! Aber es war weder Billy noch Stan. Eine verzerrt klingende Stimme sagte: "Fahren Sie nach Miami. Im MERCURY SOUTH BEACH RESORT ist ein Zimmer für Sie reserviert."Dann legte der Anrufer einfach auf. IM NÄCHSTEN KAPITEL: AM TATORT
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8. AM TATORTGina saß neben Stan im Wagen und ihre Gedanken wirbelten im Kreis. War die Tote wirklich Trudy? - Ihr Wagen stand jedenfalls dort, wo man die tote, schwarze Frau gefunden hatte.Was aber hatte Trudy am Rosario Drive gewollt? - Vielleicht erfuhren sie es nie. Trudy war immer eine tolle Freundin gewesen. Als Gina ihr 1990 sagte, dass sie Vice verlassen und dorthin reisen wollte, wo ihre Wurzeln waren, fragte Trudy: "Der Grund für deine Flucht heißt nicht zufällig Sonny Crockett, oder?" Trudy hatte es irgendwie schon richtig erkannt. Gina hoffte immer, dass aus Sonny und ihr etwas werden könnte. Stattdessen verließ er Vice und Miami und arbeitete nun auf den Bahamas. Gina reiste nach Kuba, verliebte sich in Havanna Hals über Kopf in den spanischen Geschäftsmann Juan Navarro Sanchez und folgte ihm nach Madrid. Der Rest war schnell erzählt. Gina bekam 1992 ihre Tochter Elena, aber zwischen ihr und Juan wurde es immer schlechter. Er entwickelte sich zunehmend zum Tyrann. Irgendwann erzählte Gina Trudy bei einem der immer seltener werdenden Telefonate davon. Seltener, weil Juan sie kontrollierte. Trudy sagte ihr, sie sei immer da, wenn Gina Hilfe brauchte, aber erst 2004 wagte Gina die Flucht. Sie kehrte zurück nach Miami, wo Trudy und Damian sie und Elena auffingen und Castillo ihr den Job zurückgab. Gina mochte nicht darüber nachdenken, dass Trudy tot war. Sie hörte Stans Handy klingeln. Als riediger Elvis - Presley - Fan hatte er sich "JAILHOUSE ROCK" als Klingelton heruntergeladen. Stan telefonierte mit Rico, wenig später auch mit Sonny, aber ina hörte nicht zu, bis Stan sagte: "Jemand hat Sonny Billys Dienstmarke geschickt.""Was?," fragte Gina verwirrt."Jemand hat Sonny Billys Dienstmarke geschickt und Billy ist unerreichbar. Irgendwas seltsames läuft hier, Gina." Sie erreichten den Tatort. Gina sah Truys Cabrio, die Kollegen in den weißen Schutzanzügen, den Wagen von der Pathologie und sie stellte fest, dass man die Leiche bereits verpackt hatte. Stans Wagen stand kaum, als sie bereits hinaussprang ud losrannte. "Warten Sie!," rief Gina, als sie das Absperrband erreichte. Sie stieg darüber weg, registierte am Rande, dass ein Polizist einen weinroten Damenschuh verpackte. Gina erkannte den Schuh. Trudy hatte die Schuhe beim letzten gemeinsamen Einkaufsbummel erstanden, weil sie haargnau zu dem Kleid und den Creolen passten, die Trudy am gleichen Tag gekauft hatte. Ein anderer Polizist fischte ein Handy aus einer Pfütze. Es gehörte ebenfalls Trudy, aber Gina bezweifelte, dass es noch funktionierte.Sie lief zu dem schwarzen Sack, zeigte ihre Dienstmarke und verlangte, dass er geöffnet wurde. "Machen Sie sich aber auf einen schlimmen Anblick gefasst," sagte der korpulente Weiße, als er den Reißverschluss des Leichensacks aufzog. "Sie sieht übel aus. Jemand hat der armen Frau das halbe Gesicht weggeschossen.""Danke, aber ich habe schon üble Dinge gesehen," entgegnete Gina. "Ich mache den Job nämlich schon eine Weile." Dann war der Sack offen. Gina starrte auf die intakte Gesichtshälfte der Frau und Tränen rannen plötzlich über ihre Wangen.Stan eilte herbei, sah es und erbleichte. "Ist sie es? Ist es Trudy?"Gina schüttelte den Kopf. "Nein, Stan! Es ist nicht Trudy!" Stan seuzte erleichtert auf, ehe er Gina seine Schulter auslieh, damit sie sich ausweinen konnte. Als Damian und Ben herbei eilten, hob Stan beruhigend die Hand. "Es ist nicht Trudy!," sagte er. Gina fischte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und schnäuzte sich. Dann erklärte sie: "Sie nannte sich Noella. Ihren richtigen Namen kenne ich nicht. Sie arbeitete auf der Straße. Ich weiß, das sie manchmal mit Freiern her kam und hin und wieder sogar hier übernachtete, wenn sie sich kein Motel leisten konnte." Ein schlanker, dunkelblonder Beamter kam auf sie zu. "Ethan Beck, Mordkommission," stellte er sich vor. "Sie sind von Vice?""Ja," sagte Ben und stellte sich und die anderen vor."Konnten Sie die Tote identifizieren?," wollte Beck wissen. Gina wiederholte, was sie wusste, und fügte hinzu: "Das Cabrio, das Handy und der Schuh gehören allerdings Detective Trudy Joplin." Beck nickte. "Das war uns, zum Teil, bekannt, aber da Detective Joplin nicht tot ist frage ich mich: Wo ist sie jetzt?" Stan nickte. "Das fragen wir uns auch. Vielleicht kann man über das Handy herausfinden, wer sie zuletzt angerufen hat. Irgendjemand muss Trudy hergelockt haben." "Versprechen Sie sich nicht zu viel von dem Handy," meinte Beck. "Es lag in einer öligen Pfütze. Möglicherweise wollte Detective Joplin ihre Waffe aus der Handtasche ziehen... - Tja, was dann geschah wissen wir nicht, aber wir fanden den Tascheninhalt überall verstreut." Gina, Stan und Damian kehrten zu ihren Fahrzeugen zurück, während Ben mit dem Pathologen sprach."Wir fahren zu Billy," entschied Stan. "Sein Vater rief mich an und sagte, jemand hätte ihm Billys Dienstausweis geschickt."Damian zog die Augenbrauen hoch. "Wie seltsam! Sollen wir mitkommen?""Fahrt ihr ins Büro und kümmert euch darum, dass das Handy untersucht wird," antwortete Stan. "Es ist im Moment unsere einzige Hoffnung." Ben gesellte sich zu ihnen. "Die Frau starb vermutlich zwischen sieben und neun.""Trudy verlässt das Appartement immer gegen halb neun," meinte Damian."Jemand tötete die Nutte und rief dann Trudy an," überlegte Gina."Wir überprüfen auch den Festnetz - Anschluss. Vielleicht erhielt sie den Anruf ja schon bevor sie das Appartement verließ," sagte Damian. "Fahrt ihr zu Billy." IM NÄCHSTEN KAPITEL: IM STRANDHAUS VON BILLY CROCKETT
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9. IM STRANDHAUS VON BILLY CROCKETTBilly Crockett bewohnte ein kleines, eingeschossiges Strandhaus mit einer überdachten Terrasse vorn und einer weiteren Terrasse auf der Rückseite. Daran grenzte ein kleiner, mit einer Hecke eingezäunter Garten. Das Haus war hellblau getüncht und besaß weiße Fenster. "Der Porsche ist da," stellte Gina fst und heftete den Blick auf das silberne Fahrzeug, das neben dem Haus unter einem Unterstand parkte.Stan parkte seinen Wagen vor dem Haus und ging gemeinsam mit Gina zur Haustür. Sie stand offen und beide sahen, dass das Türschloss unbeschädigt war. Gina und Stan zogen ihre Waffen. Sie postierten sich rechts und links neben der Tür, sahen sich an und nickten sich zu. Dann stieß Stan die Tür auf. Er riskierte einen schnellen Blick und zog sich zurück. Nichts geschah! Sie huschten in das Wohnzimmer mit den hellen Schränken und der caramelfarbenen Ledergarnitur. Die Couch stand nicht mehr an ihrem Platz, wie sie an den Abdrücken im eierschalenfarbenen Teppich deutlich erkannten. Außerdem war jemand gegen den Holztisch gestoßen. Dadurch waren die Kerzen in den gläsernen Kerzenhaltern umgefallen und zerbrochen. In der langen Wand rechts vom Eingang gab es zwei Türen. Stan wies auf die am weitesten entfernte Tür und Gina nickte, ehe sie zu der Tür eilte. Dahinter verbarg sich eine riesige Küche mit einer Kochinsel und einer Esstheke. Davor standen drei Barhocker aus hellem Holz mit bunten Sitzbezügen. Gina sah sich um. Auf der Esstheke stand eine zur Hälfte gefüllte Kaffeetasse. Daneben lag Billys Schlüsselbund. Sie prüfte die Tür, die nach draußen führte, aber sie war verschlossen. Stan war durch die andere Tür gegangen. Sie führte in einen kleinen Flur, an den das Bad und das Schlafzimmer grenzten. Stan öffnete die Schlafzimmertür. Die Möbel waren schwarz, aber die Bettwäsche war zitronengelb. Das Bett war ungemacht und Stan entdeckte mehrere lange, schwarze Haare. Auf dem Nachttisch lag Billys Handy. Stan dachte sofort an die Frau, die sich gestern Abend an Billy herangemacht hatte. Die Dame hatte wirklich alles gegeben und obwohl Stan mit seiner Gianna sehr glücklich war, dachte er, wie schön es wäre jetzt zwanzig Jahre jünger zu sein. Er warf noch einen Blick ins Bad, aber auch dieser Raum war leer. Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück, wo Gina bereits auf ihn wartete. "Er hat sich einen Kaffee gemacht, ihn aber nur halb getrunken," berichtete Gina. "Anscheinend war er allein.""Nein, war er nicht," widersprach Stan. "Er hatte Besuch von einer Dame mit langen, schwarzen Haaren, die ihn gestern Abend anbaggerte, als Billy und ich auf ein Bier in einer Bar saßen." "Billy reißt eine Frau auf...," begann Gina."Also, in dem Fall war wohl eher Billy der Aufgerissene," unterbrach Stan sie."Wie auch immer. Er nahm sie mit hierher, verbrachte eine heiße Nacht mit ihr...und dann? Er hat nur einen Kaffee gemacht. Warum?," fragte Gina."Vielleicht mochte sie keinen Kaffee," meinte Stan. "Aber du hast Recht. Irgendwie passt nichts zusammen. Billy ist verschwunden, aber die Tür wurde nicht aufgebrochen. Was ist mit der Frau? Wurde sie auch entführt? Wieso?" Gina seufzte. "Ich verstehe überhaupt nichts mehr.""Ruf du im Büro an. Die sollen die Spurensicherung herschicken. Ich rufe Sonny an und Rico soll ich auch Bescheid sagen. Er kommt übrigens heute. Wenn jetzt Trudy wieder auftaucht, Sonny noch vorbei kommt und sich Castillo meldet, ist das alte Team wieder vereint. Wäre doch toll, oder?" Gina schüttelte den Kopf. "Manchmal hast du wirklich ´ne merkwürdige Art von Humor, Stan," rügte Gina."Weißt du, wer etwas ähnliches früher häufiger zu mir gesagt hat?," fragte Stan grinsend."Nein. Wer?"Stan lächelte kurz. "Lou Rodriguez." Dann wählte er Sonnys Handynummer. IM NÄCHSTEN KAPITEL: ABHISIT MARTIN
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10. ABHISIT MARTINAbhisit hatte keine Ahnung, wie lange er schon in der Holzhütte eingesperrt war, denn es gab nur in den beiden Giebeln winzige, runde Fenster, durch die etwas Licht hereinfiel. Wahrscheinlich stand die Hütte in irgendeinem Wald, denn er hörte den Gesang der Vögel und hörte das Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume. Alles, was Abhisit wusste, war, dass er an einem Donnerstag in Miami gelandet war, voller freudiger Erwartung, aber auch Skepsis. War es wirklich eine gute Idee jemanden zu überfallen und zu verkünden: "Ich bin dein Sohn!"? Aber sein neuer Freund hatte all seine Bedenken zerstreut. "Er wird begeistert sein, Sit," hatte er erklärt. "Glaub mir, er wird alles tun, um dich kennen zu lernen." Abhisits Mutter, eine schlanke Frau mit langen, inzwischen grau - gesträhnten schwarzen Haaren und einem sanften Gesicht, in dem sich die ersten Fältchen zeigten, hatte ebenfalls Bedenken geäußert. Abhisit warf ihr jedoch nur vor, dass sie ihn sein ganzes Leben lang im Unklaren gelassen hatte und auch weiterhin nichts gesagt hätte, wäre Ross nicht aufgetaucht. Abhisit joggte drei Mal pro Woche durch den Park unweit der Wohnung, in der er allein mit seiner Mutter lebte.Ross hatte sonntags plötzlich neben ihm gestanden, als Abhisit am Ende seiner Joggingrunde einen Moment auf der Bank am Teich ausruhte. Er mochte es, dort zu sitzen, die Enten zu beobachten und die anderen Vögel, die herbeikamen, um nach Insekten und Regenwürmern zu suchen. "Du bist Abhisit Martin Wang," hatte Ross gesagt und ehe Abhisit ihn fragen konnte woher er das wusste, hate Ross seinen Vornamen genannt und erklärt: "Ich bin ein sehr guter Freund deines Vaters und würde dich gern zu ihm bringen." Abhisit musterte den Mann, der etwas größer war als er selbst. Er schätzte ihn auf etwa 50 Jahre. Sein Haar war braun, ebenso die Augen. Seine Nase war etwas zu lang und eine etwa vier Zentimeter lange Narbe zog sich links vom Kinn zur Wange hinauf.Ross hatte einen kleinen Bauch, der sich unter dem himmelblauen Hemd hervorwölbte. Er war Amerikaner, so viel glaubte Abhisit aus seiner Sprache herauszuhören. Abhisit glaubte, Ross wollte ihm einen Bären aufbinden und antwortete: "Mein Vater ist tot. Er war Polizist und starb im Hinterland beim Kampf gegen einen Drogenändler namens Lao Li." Ross lachte, während er neben Abhisit her den Weg entlang ging. Zu dieser frühen Stunde war im Park noch nichts los. Nur zwei Frauen kamen ihnen entgegen gejoggt und redeten kichernd in schnellem Thai miteinander, als sie vorbei waren. "Nun, mein Junge, dein Vater ist - war - tatsächlich Polizist. Inzwischen ist er pensioniert und er kämpfte gegen viele Drogenhändler, aber ich versichere dir, dass Martin Castillo sich bester Gesundheit erfreut. Er lebt in einem Strandhaus in Miami. Frag deine Mutter nach Martin Castillo." Ross gab Abhisit einen Zettel mit einer Telefonnummer darauf, als sie die Straße erreichten. Dort trennten sich ihre Wege. Ross hatte seinen Mietwagen am Park abgestellt, Abhisit würde die wenigen Schritte nach Hause laufen.Dann nannte Ross ihm den Namen des Hotels, in dem er abgestiegen war."Frag deine Mutter nach Martin Castillo," wiederholte er. "Und wenn du willst, kannst du mich bis Mittwochabend anrufen. Mein Flug geht Donnerstagmorgen um sieben. Solltes du mich begleiten wollen,lässt sich das bestimmt arrangieren." Ross ging und ließ Abhisit vollkommen verwirrt zurück. Warum hatte seine Mutter ihn belogen? Was hatte sein Vater getan, dass sie ihm lieber einredete, er wäre tot, als Gefahr zu laufen, dass Abhisit seinen Vater kennen lernen wollte? Abhisit lief nach Hause, den Kopf voller Fragen, auf die er unbedingt eine Antwort haben wollte. Er stellte seine Mutter zur Rede. Mai Ying reagierte erschrocken, weil sie anscheinend nie damit gerechnet hatte, dass so etwas passieren könnte. Dann aber begriff sie, dass Abhisit, der die Hartnäckigkeit seines Vaters geerbt hatte, nicht aufgab, ehe er die Wahrheit kannte. Sie betrachtete ihn, wie er da vor ihr stand und sie mit Martins Augen ansah und den Mund ebenso zusammenkniff, wie sein Vater es immer getan hatte, wenn er unzufrieden war. "Was ich dir über den Kampf im Hinterland erzählt habe, ist wahr, Abhisit. Es gab ihn und ich glaubte damals dein Vater wäre tot. Jahre später traf ich ihn in Miami wieder. Ich hatte erneut geheiratet und deinen Halbbruder bekommen, der viel zu früh starb. Ma Sek und ich flogen nach Miami, weil man ihm dort einen Job angeboten hatte, aber eigentlich ging es um Martin." Sie hielt inne und seufzte, den Blick auf die Teetasse mit dem zarten Blumenmuster gerichtet. "Es würde zu weit führen jetzt alles zu erzählen. Martin stand jedenfalls plötzlich vor meiner Tür. Wir hatten einander wiedergefunden, um uns erneut zu verlieren." Mai Ying stand auf und trat ans Fenster, von dem aus man einen Blick auf den Park hatte, in dem Abhisit Ross getroffen hatte. "Dann trafen wir uns noch einmal in Miami. Dein Bruder war schon tot und Ma Sek...- Er war nicht der Mann gewesen für den ich ihn lange gehalten hatte. Ich blieb einige Tage bei Martin, aber der Stom der Zeit hatte uns zu sehr auseinandergetrieben. Wir waren nicht mehr die gleichen Menschen, wie damals, als wir uns kennen lernten." "Deshalb bist du nach Thailand zurückgekehrt," sagte Abhisit. Er saß immer noch an dem niedrigen TIsch, sein Tee war unberührt. "Aber warum hast du ihm nicht gesagt, dass er Vater wird? Ist er ein Mann, der nicht zu seiner Verantwortung steht?" Mai Ying schoss herum. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten empört. "Martin Castillo ist der verantwortungsvollste, großartigste und zuverlässigste Mann, den ich je kennen gelernt habe. Er hätte mich sofort geheiratet, aber es hätte nicht funktioniert. Es hätte in einer Enttäuschung geendet. Deshalb sagte ich ihm nichts." "Ich will ihn kennen lernen," sagte Abhisit. "Ross ist ein Freund meines Vaters. Er bot mir an mich mitzunehmen und ich will sein Angebt annehmen." Mai Ying hielt das nicht für eine gute Idee. Martin, so erklärte sie, hatte auch immer viele Feinde besessen, wie ihre eigene Geschichte ihm eigentlich verdeutlichen müsste. Sie bat ihn Martin wenigstens anzurufen. Abhisit schaltete auf stur. Seine Mutter mochte bitten, argumentieren und schimpfen wie sie wollte, Abhisit rief Ross an und begleitete ihn am Donnerstagmorgen nach Miami. Ross sagte, sein Sohn würde sie abholen. Vor dem Flughafengebäude fotografierte Ross Abhisit mit dem Herald in der Hand. "Als Andenken," sagte er. "Damit du immer weißt, wann du nach Miami gekommen bist."Abhisit lachte. "Als ob ich das je veressen würde! Ich treffe gleich zum ersten Mal in meinem Leben meinen Vater!" Ross´ Sohn Alex kam. Er war ein drahtiger Typ mit dunkelbraunen Haaren, einer schiefen Nase und einer Narbe auf der rechten Wange. Er hatte Kaffee dabei, den Abhisit eigentlich nicht mochte, aber er war zu höflich, um ihn abzulehnen. Er gab viel Zucker hinein, der den bitteren Gechmack milderte. Dann wusste er nichts mehr. Jetzt saß er auf den Matratzen in der Hütte, ohne jegliches Zeitgefühl. Er wusste nicht, ob es noch Donnerstag oder schon Freitag gewesen war, als er zu sich kam. Neben ihm hatte eine 1,5 l Flasche Mineralwasser gestanden und eine Tüte mit vier Brötchen darin gelegen. Abhisit hatte aber keinen Hunger, nur Durst.Dann war es dunkel geworden. Die Dunkelheit kam ziemlich schnell und Abhisit vermutete, dass es am Wald lag, der das Licht verschluckte. Irgendwann tauchte Ross auf, um eine neue Wasserflasche und frische Brötchen zu bringen. "Teil´ es dir gut ein, denn ich weiß nicht genau, wann ich wiederkomme.""Du hast mich belogen, Ross," schrie Abhsit wütend und enttäuscht und trommelte gegen die Tür, die Ross nicht öffnete, um ihm das Wasser und das Essen zu geben. Stattdessen schob er es durch eine Katzenklappe unten in der Tür. "Du kennst meinen Vater überhaupt nicht!" "Oh, doch, Jungchen, ich kenne deinen Vater. Er sorgte dafür, dass ich im Gefängns landete. Hast du eine Ahnung, wie es im Gefängnis ist? - Was die dreckigen Schweine dort mit einem neuen Mithäftling machen?- Nein, das weißt du nicht! Nichts weißt du!," knurrte Ross. "Warum hast du mich entführt? Was hast du mit mir vor?," tobte Abhisit und hämmerte weiter gegen das Holz."Alles, was mit dir passiert, hängt von deinem Vater ab," antwortete Ross. "Wenn der arrogante, überhebliche Ex - Lieutenant sich dazu herablässt unsere Forderungen zu erfüllen, kommst du frei!" "Und du kommst wieder ins Gefängnis!," rief Abhisit."Nein," sagte Ross mit Bestimmtheit. "Dahin gehe ich nie mehr!"Abhisit hörte eine Autotür zuschlagen. Ein Motor wurde gestartet, dann fuhr ein Auto weg. Abhisit suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Der Boden bestand aus festgestampfter Erde, die Hütte schien neu zu sein und wirkte sehr stabil. Hin und wieder schlief er auf dem Matratzenlager ein. Wenn er aufwachte aß er ein bisschen, trank zwei Schlücke Wasser und untersuchte die Hütte. Irgendwann kam ein Auto und dann hörte Abhisit Ross´ Stimme: "Geh weg von der Tür, Junge! Du kriegst Gesellschaft!" IM NÄCHSTEN KAPITEL: INFORMATIONEN FÜR CASTILLO
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11. CASTILLOS VERGANGENHEIT UND INFO IN DER GEGENWARTCastillo brühte Kaffee auf. Einen von der Sorte, von der man behauptet, dass der Löffel darin stehen bleibt. Während der Kaffee gluckernd und röchelnd durch die Maschine lief und sich der Duft in der Küche ausbreitete, blickte Castillo für einen Moment hinaus aufs Meer. Der Wind peitschte das Wasser auf und ließ die Schaumkronen auf den Wellen tanzen. Einige Möwen versuchten sich mühsam in der Luft zu halten und die Wolken zogen so rasch dahin, als wären sie auf der Flucht. Castillo nahm die Thermoskanne mit dem Kaffee und ging ins Wohnzimmer hinüber. Es war spartanisch eingerichtet. Eine Sitzgarnitur aus Korbgeflecht, bestehend aus einem zweisitzigen Sofa und zwei Sesseln, stand um einen Glastisch herum. Es gab eine kleine Glasvitrine mit zart wirkendem Porzellan und zwei verschieden großen Buddha - Figuren darin. Mehrere Palmen waren im Raum verteilt und an einer Wand hing ein Foto von Mai Ying. Es handelte sich um jenes, das Lao Li ihm damals zukommen ließ. Castillo hatte es allerdings auf eine Größe von 30 x 40 cm vergrößern lassen. Er goss Kaffee in einen hohen, weißen Becher und blickte auf das Foto auf seinem Tisch. Es zeigte einen jungen Mann von vielleicht achtzehn bis zwanzig Jahren, der, laut der Mitteilung Abhisit hieß. Er war sehr schlank, hatte nachtschwarzes Haar, das über seine Ohren reichte, und eindeutig thailändische Züge, aber auch westliche Merkmale. Die Form seiner Augen wich zum Beispiel von den typisch thailändischen, mandelförmigen Augen ab. Abhisit trug Jeans, Turnschuhe und ein smaragdgrünes Shirt. Neben ihm stand eine schwarze Reisetasche mit korallenroten Reißverschlüssen. Wie damals Mai Ying hielt auch er einen Herald in der Hand und hinter ihm ragte das Gebäude des Flughafens auf. Abhisit lachte fröhlich in die Kamera. Ein Tourist, vielleicht auch ein Student, der sich darüber freute auf amerikanischem Boden zu sein. Castillo trank langsam den heißen Kaffee, während er die Gesichtszüge des jungen Thai studierte. Er kannte ihn nicht, aber etwas an ihm erschien Castillo dennoch vertraut.Vielleicht ist es nur die Tatsache, dass er genau so da steht wie damals Mai Ying, dachte er, hob den Blick und sah das Foto der einzigen Frau an, die er wirklich geliebt hatte. Er leerte die Tasse, die noch dampfte, als er den letzten Schluck daraus getrunken hatte. Dann füllte er sie erneut und wandte sich der Mitteilung zu.WIR HABEN ABHISIT IN UNSERER GEWALT. WENN SIE NICHT WOLLEN, DASS ER STIRBT, WARTEN SIE AUF UNSERE ANWEISUNGEN. Castillo hatte nachgedacht. Er wusste zwar nicht, was sie von ihm wollten, aber er war Polizist. Er hatte vor langer Zeit geschworen für das Gesetz zu arbeiten und daran hatte er sich sein ganzes Leben lang gehalten. Er würde sich auch jetzt nicht den Befehlen irgendwelcher zwielichtigen Individuen unterwerfen. Ebnso wenig wollte er jedoch Schuld an Abhisits Tod sein. Abhisit bedeutete so viel wie "der Privilegierte". Er war für seine Eltern also ein ganz besonderes Kind, vielleicht eins, auf das sie lange warteten, an dessen Geburt sie schon nicht mehr glaubten.Castillo würde versuchen ihren Sohn am Leben zu erhalten. Er fing mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an eventuell vorhandene Spuren zu sichern. Es war natürlich sehr lange her, dass er so sehr improvisieren musste, aber er wusste immer noch genau, was er tun musste. Er nahm einen Bleistift und "operierte" die Mine heraus, die er in einem Mörser zerstampfte. Dann holte Castillo Tesafilm, Frischhaltebeutel, eine Schere, einen kleinen, weichen Malpinsel und neue Einmal - Handschuhe. Er hoffte, dass die Kidnapper vielleicht einmal nicht vorsichtig gewesen waren und ihm irgendetwas hinterlassen hatten, was ihn auf ihre Spur führte. Castillo arbeitete konzentriert und suchte akribisch den Umschlag, die Mitteilung und das Foto ab. - Und dann wurde er tatsächlich fündig. Auf der Rückseite des Fotos prangte, durch das Graphitpulver deutlich sichtbar geworden, der hübsche Abdruck eines Zeigefingers. Ein seltenes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Abdruck mit allergrößter Vorsicht sicherte. "Rattenpack!," knurrte er. "Ich werde euch lehren, was es heißt, sich mit Martin Castillo anzulegen!" Der Kaffee war längst kalt geworden. Castillo trug die Tasse in die Küche und kippte den Inhalt in den Ausguss. Er blickte hinaus auf den Ozean, der sich beruhigt hatte. Die Wellen waren weniger hoch und da der Wind nachgelassen hate, segelten auch die Möwen problemloser über den Himmel. Er sah seinen Nachbarn, der mit seinem Golden Retriever am Strand entlang ging. Carl warf ein buntes Knotenseil und Kennedy raste begeistert hinterher, um es zurückzubringen. Carl gab seinen Hunden immer Präsidentennamen. Der Hund vor Kennedy hieß Lincoln und der Hund vor Lincoln hieß Roosevelt. Castillo wandte sich ab. Es gab wichtigere Dinge, als Carl und Kennedy zu beobachten. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, füllte seine Tasse mit dem Rest, der noch in der Kanne war, setzte sich aufs Sofa und dachte nach. Warum hatte man ihm Abhisits Foto geschickt? Er besaß keine Geschwister, also auch keine Neffen. Außerdem sah man deutlich, dass asiatisches Blut in Abhisits Adern floss. Castillo hatte Cousins und Cousinen, aber er kannte sie nicht, weil die ganze Familie nichts mit seinem Vater zu tun haben wollte. Dennoch wanderten Castillos Gedanken zum ersten Mal seit 44 Jahren zurück in die Vergangenheit.Er stammte aus einem winzigen Dorf auf Kuba. Dort gab es, wie man so schön sagt, drei Bauernhöfe, fünf Misthaufen und sieben Spitzbuben. - Und im Nachbarort leider auch eine Kneipe, in der Ramon Castillo Stammgast war. Bis nach Jovellanos, wo Martin zur Schule ging, waren es fünf Kilometer, die Martin mit den anderen Dorfkindern täglich zwei Mal laufen musste.Wenn er aus der Schule kam, war sein Vater meistens schon betrunken und brüllte so laut, dass man es bereits am Anang der befestigten Dorfstraße hörte. Das Federvieh, das frei herumlief, floh ebenso vor Ramons Gebrüll wie die Dorfhunde.Die Kinder sahen Martin nur komisch an, die Nachbarn sahen weg. Martins Elternhaus besaß ein Stockwerk mehr als die anderen Häuser. Sein Großvater hatte es aufgestockt, weil eine Etage mit drei Räumen zu klein war für fünf Personen. Aber die Großeltern waren bereits tot und Martin glaubte, dass zumindest der Kummer um seinen Vater mit Schuld daran war. Ramon Castillo soff jeden Tag, brüllte jeden Tag und prügelte jeden Tag. Das meiste bekam, Maria, Martins Mutter, ab, weil sie sich vor den Sohn stellte. Als Martin dreizehn war, starb sie. Martin kam aus der Schule, als die Nachbarin ihn abfing. Sie war eine netteFrau, die jedoch immer nach Schweinekoben roch und, wie viele ältere Leute im Dorf, kaum noch Zähne besaß. "Deine Mutter ist heute Morgen gestolpert und unglücklich die Treppe hinuntergefallen, Martin," sagte sie mit tränenüberströmtem Gesicht. "Sie ist tot."Die anderen Kinder hatten drum herum gestanden, zugehört und die Lüge ebenso wenig geglaubt wie Martin. Sie wurde, wie es üblich war, zu Haue aufgebahrt. Um sie herum wurden Kerzen aufgestellt, deren Flammen leicht tanzten und den Raum auf ihre Weise wärmten. Blumenduft sollte den Geruch des Todes überdecken. Man stellte Heiligenbildchen auf, der Pfarrer kam und sie beteten den Rosenkranz. Man hatte seine Mutter hübsch hergerichtet und die Haare frisiert, die schon fast grau gewesen waren, obwohl sie erst 34 war. Ihr bestes Kleid hatte man ihr auch angezogen, aber nichts konnte die vielen blauen Flecken verstecken, das zugeschwollene, rechte Auge, die Platzwunde an der rechten Augenbraue und die aufgeplatzte Lippe.Ramon jammerte: "Was mache ich nur ohne sie?" Jeder im Dorf, auch der Pastor, der Doktor, der "Genickbruch durch Treppensturz" auf den Totenschein schrieb, und auch die Polizisten wussten, dass Ramon Schuld war an Marias Tod. Aber der Doktor und die Polizisten tranken selbst gern einen mit Ramon. Marias Todestag war der Tag, an dem Martin beschloss Polizist zu werden. Er würde gerechter sein, gesetzestreuer, gradliniger und er würde niemals irgendjemanden so zusammenbrüllen, wie er selbst es tagtäglich erlebt hatte. Seine Onkel und Tanten hatten ihm damals nicht geholfen und deshalb glaubte Martin nicht, dass Abhisit der Sohn eines Cousins oder einer Cousine war. Was seinen Vater anbelangte, so wusste Martin, dass er tot war. Einige Monate, nachdem er sein Elternhaus verlassen hatte und zur Polizei Akademie gegangen war, erfuhr er, dass sein Vater sich wohl mit den Falschen angelegt hatte. Man hatte irgendwann (den genauen Tag kannte Martin nicht) seine übel zugerichtete Leiche im Straßengraben gefunden. Castillo stellte seine leere Tasse auf den Tisch und wandte seine Gedanken erfreulicheren Erinnerungen zu: Mai Ying. Er hatte sie auf einem Frühlingsfest kennen gelernt. Es war angenehm warm gewesen, die Luft erfüllt von typisch thailändischer Musik und dem Duft von Speisen, Blumen und Räucherstäbchen. Die jungen, unverheirateten Frauen setzten an diesem Abend nach Einbruch der Dunkelheit ihre blütengeschmückten Papierschiffchen, auf denen eine kleine Kerze brannte, auf den Fluss und ließen sie davontreiben. Mit jedem Papierschiffchen fuhren der Wunsch und die Hoffnung auf eine schöne Zukunft hinaus. Mai Ying hate ebenfalls ein Papierschiffchen in der Hand gehalten, geschmückt mit Hibiscusblüten. Kurz bevor sie mit den anderen Frauen in den Fluss watete, um es auszusetzen, hatte sie sich umgedreht und Martin angesehen. In diesem Moment hatte er gewusst, dass sie die Frau seines Lebens war. Er dachte an ihre Hochzeit ein Jahr später in einem buddhistischen Tempel und an die glücklichen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, aber auch an jenen furchtbaren Tag, der ihn beinah vernichtete. Er war aus dem Hinterland zurückgekehrt, wo er und seine Leute Lao Li bekämpfen wollten und in eine Falle geraten waren. Viele seiner Leute waren gestorben, er selbst war verwundet worden. Er kam nach Hause, voller Hoffnung darauf Ruhe und Erholung zu finden. Stattdessen lag das Haus in Trümmern und der Nachbar sagte ihm Mai Ying wäre umgekommen. Zwei Tage lang hatte er sich verkrochen, seinem Schmerz freien Lauf gelassen und sich sogar gefragt, ob das Ende für ihn nicht auch besser wäre. Aber dann stand er auf, packte seine wenigen Habseligkeiten und kehrte nach Amerika zurück. Er war niemand, der sich unterkriegen ließ! Als er dann erfuhr, dass Mai Ying lebte, hatte er es nicht glauben können. Er war zu ihr gefahren, hatte gedacht, nun könnte doch noch alles gut werden, aber das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Mai Ying war wieder verheiratet und hatte einen kleinen Sohn... Das Telefon riss ihn in die Höhe und Castillo merkte, dass er eingeschlafen war. Er richtete sich auf, rieb sich über die Augen und während er mit der rechten Hand den Hörer abnahm, massierte er mit der linken Hand seinen verspannten, schmerzenden Nacken. "Ja?," fragte er."Ich nehme an, Sie haben unsere Nachricht inzwischen gelesen," sagte die heisere Stimme, die schon einmal zu ihm gesprochen hatte."Ja," antwortete Castillo. "Wer ist Abhisit und was wollen Sie von mir?""Was wir von Ihnen wollen, erfahren Sie in den nächsten Tagen," erklärte der Mann. "Und Abhisit ist Ihr Sohn, Lieutenant. Eigentlich wollten wir Sie mit einem Wiedersehen mit Ihrer Frau überraschen..." Der Mann lachte. Es klang wie das Bellen eines Seehundes. Castillo vergaß seinen Nacken zu massieren, nur die Hand ließ er erstaunt dort liegen."... aber dann fanden wir Ihren Sohn. Die Ähnlichkeit ist enorm, finden Sie nicht? Er heißt Abhisit Martin und er freute sich so sehr darauf seinen Vater kennen zu lernen. Vermasseln Sie es also nicht!" Der Mann legte auf und Castillo merkte, dass er die Luft angehalten hatte. Langsam legte er den Hörer auf. Sein Sohn! Er hatte einen Sohn! Deshalb kamen ihm die Züge so vertraut vor! Was aber wollten die Kidnapper von ihm? Er besaß ein Haus, aber er war nicht reich.Nun, er würde herausfinden, was hier gespielt wurde und dann würde er ihnen klar machen, dass es keine gute Idee war sich mit Martin Castillo anzulegen! IM NÄCHSTEN KAPITEL: IRGENDWO IM NIRGENDWO TEIL 1
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12. IRGENDWO IM NIRGENDWO Teil 1Abhisit hörte das Klicken einer Waffe, die entsichert wurde. Automatisch wich er zurück. Ein Moskito summte dicht an seinem rechten Ohr und er schlug nach dem lästigen Blutsauger, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Er erwischte das kleine Biest aber nicht. Während der Zeit, die er nun schon in der Hütte festsaß, hatte er immer wieder darüber nachgedacht, was er tun würde, falls Ross irgendwann die Tür öffnete. Er war kein Feigling und er hatte einige Jahre lang Kampfsport betrieben, auch wenn es inzwischen eine Weile her war. In der unerträglich heißen Hütte sitzend und gegen die ausgehungerten Moskitos kämpfend, die überall einen Eingang fanden, hatte er sich ausgemalt wie er seine ganze Wut über Ross - oder wie immer er auch heißen mochte - auslud. Er würde ihm einige gezielte Hiebe und Tritte verpassen und ihn dann zwingen ihm die ganze Wahrheit zu sagen, während Ross ihn von hier wegbrachte. Abhisit würde ihn seinem Vater übergeben, der dann ungeheuer stolz auf ihn war. In seiner Fantasie verpasste er Ross eine gewaltige Tracht Prügel und wurde später zum Held, aber jetzt wich er zurück, denn Ross war nicht allein gekommen und sie waren bewaffnet. Abhisit wischte mit der Hand den Schweiß weg. Er stank garantiert wie eine ganze Herde Ziegenböcke. Vielleicht würden Ross und seine Kumpane ja an dem Gestank ersticken, wenn er ihnen zu nahe kam! Die Tür wurde aufgeschlossen. Sonnenlicht flutete herein. Es war so grell, dass Abhisit erst mal die Augen schließen musste. Dann blinzelte er, aber er erkannte nur zwei schwarze Schatten, die etwas oder jemanden hereintrugen. "Mann, hier stinkt´s wie in ´ner Jauchegrube. Du könntest auch mal lüften," mokierte sich eine ironisch klingende Stimme.Der andere lachte. "Vielleicht ist das bei den Schlitzaugen nicht üblich, Ramon," sagte er. Es war Alex. Abhisit spürte, wie es in seinem Bauch zu brodeln begann. Er hasste es, wenn Menschen auf andere herabsahen, nur weil sie anders aussahen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten, aber er unternahm nichts, denn in der Tür stand Ross und seine Waffe richtete sich auf Abhisit. Abhisit schielte zum Matratzenlager, wo Alex und Ramon jemanden abgelegt hatten, der nun einen Seufzer ausstieß. Die Stimme klang weiblich. "Warum brachte mein Vater dich ins Gefängnis, Ross?," fragte Abhisit."Ich hatte den falschen Boss," knurt Ross."Man kommt nicht ins Gefängnis, weil..."Alex versetzte ihm einen Stoß. "Halt´s Maul!," fauchte er.Ohne nachzudenken schlug Abhisit ihm die Handkante gegen das Kinn. Alex taumelte rückwärts, stolperte über die Kante einer Matratze und knallte auf den Rücken."Verdammtes Schlitzauge!," tobte er und sprang auf. Abhisit hatte bereits eine Abwehrstellung eingenommen. Die Beine leicht gespreizt, die Ellbogen angewinkelt und die offenen Hände mit den Handkanten nach außen gerichtet. "Schluss!," brüllte Ross. "Wir haben keine Zeit für solchen Mist! Holt die anderen! Und du bleibst ruhig, Sit. Ansonsten blase ich dir ein Loch ins Hirn!" Abhisit holte langsam und tief Luft. Beherrschung war auch ein Teil des Trainings gewesen. Er musste sich beherrschen, wenn er lebend hier rauskommen wollte. "Warum warst du im Gefängnis?," wiederholte er, während Alex und Ramon jemanden hereinschleppten. Der Größe nach ein Mann."Mann, der Schwarze ist verdammt schwer!," ächzte Alex."Ich hatte den falschen Boss," wiederholte Ross nur. Alex und Ramon ließen den Mann einfach auf die Matratzen fallen. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich der Brust des Mannes. Es klang wie das Grollen eines Bären.Alex und Ramon liefen noch einmal hinaus. "Was willst du von meinem Vater? Wie hast du mich überhaupt gefunden?," wollte Abhisit wissen, den Blick auf die Mündung der Waffe gerichtet, die genau auf seine Brust zeigte. Er wusste, dass Ross abdrücken würde. Nur deshalb blieb er stehen, wo er war. "Ein guter Freund, der Dank deines Vaters ebenfals eine Weile im Gefängnis saß, wusste einiges über deine Mutter," antwortete Ross."Warum erzählst du ihm das alles?," ächzte Alex, als er und Ramon mit einer weiteren Geisel, einem weißen Mann, zurückkehrten."Was hat er schon davon?," meinte Ross achselzuckend. "Er kommt sowieso nicht hier raus." Nachdem Alex und Ramon die letzte Geisel abgelegt hatten, holte Ramon mehrere Wasserflaschen und Kekstüten."Und nicht alles auf einmal aufessen," meinte Ross ironisch. Es klang, als spräche er zu einem Kind, dem er eine Handvoll Süßigkeiten geschenkt hatte.Dann fiel die Tür zu und wurde abgeschlossen. Autotüren klappten, ein Motor wurde angelassen und dann fuhr der Wagen mit quietschenden Reifen davon. Zurück blieben das nervtötende Summen der Moskitos, drei neue Geiseln und die Erkenntnis, dass die Kidnapper nicht planten sie freizulassen, wenn alles vorbei war. Abhisits Augen gewöhnten sich wieder an das eher dämmrige Licht. Er trat näher an das Matratzenlager, um sich seine Leidengenossen anzusehen. Die Frau lag ihm am nächsten. Sie war schwarz und hatte kurzes, geglättetes Haar, in dem ein paar graue Strähnen glitzerten. Sie hatte eine gute Figur, trug ein enges, weinrotes Kleid und nur einen hochhakigen Schuh.Sie bewegte sich, seufzte und hob die Hand zu ihrem rechten Ohr. Der Mann, der neben ihr lag, war ziemlich groß, sicherlich eins - neunzig und wirkte sehr durchtrainiert. Er trug Turnschuhe, Shorts und ein einstmals weißes T - Shirt, unter dem sich die Muskeln auftürmten. Als Gegner war er sicher nicht zu unterschätzen.Er blinzelte, drehte sich auf die Seite und griff mit der linken Hand an seinen Hinterkopf, während der andere Mann sich stöhnend aufsetzte. Er war ein Weißer mit hellen Haaren, der ebenfalls sportlich wirkte. Er trug Jeans und ein hellblaues, bis oberhalb des Bauchnabels offenstehendes Hemd. Er hatte eine Schnittwunde an der linken Hand, die aber schon aufgehört hatte zu bluten. "Was ist passiert?," fragte der weiße Mann."Sie wurden entführt," antwortete Abhisit. "Genau wie ich, wie die Lady und wie der Herr neben Ihnen. Ich bin Abhisit Martin Wang.""Billy Crockett. Und sag du. Förmlichkeiten haben hier keinen Platz." Der zweite Mann setzte sich nun ebenfalls auf. "Entführt?," knurrte er und fasste sich erneut an den Hinterkopf. Dann entfuhr ihm ein kleiner Schmerzenslaut. "Wenn ich den Dreckskerl erwische, der mir eins übergebraten hat, verarbeite ich ihn zu Salami!""Dann lade mich bloß nicht zum Essen ein," meinte Billy. "Wie heißt du?""Alessio Montoya, und wenn das hier eine Lösegeldgeschichte ist, dann haben diese Typen sich den Falschen gekrallt. Ich hab nur ´ne Oma und die ist nicht reich!" Abhisit setzte sich auf die Matratzen. "Meine Mutter ist auch nicht reich und mein Vater...? Nein, ich denke nicht." Trudy kam zu sich. Sie fühlte sich fast wie nach einer Vollnarkose. Ihr Hirn schien wie in Watte gepackt und wollte nicht sofort funktionieren. Auch die Augen fielen ihr wieder zu, während sich die rechte Kopfseite anfühlte, als hätte ihr jemand das Ohr abgerissen. Prüfend fuhr ihre Hand dorthin, wo das Ohr sein musste. Es war noch da, aber sie stellte fest, dass die Creole herausgerissen war. "Ein Albtraum!," stöhnte sie."Trudy?," fragte Billy erstaunt. "Trudy Joplin?""Oh, ihr kennt euch," stellte Abhisit fest."Wir sind Kollegen, arbeiten beide für Miami Vice.""Großartig," murmelte Alessio ironisch. "Die Polizei, dein Freund und Helfer. Immer da, wenn man sie braucht.""Gibt es hier etwas zu trinken?," stöhnte Trudy. "Ich habe einen Brand, ich könnte den Miami River leer trinken!" Abhisit sprang auf, holte die Wasserflaschen und verteilte sie. "Teilt es euch gut ein," riet er.Es zischte, als alle die Deckel aufschraubten. Sie tranken, dann fragte Billy: "Wie lange bist du schon hier, Abhisit?""Ich weiß nicht genau wie lange ich hier bin. Was ist heute für ein Tag?," fragte Abhisit."Sonntag," antwortete Trudy."Ich bin seit Donnerstag hier." Abhisit öffnete eine Kekspackung, die er herumreichte. "Ein Mann, Ross, hat mich zu Hause in Thailand angesprochen und behauptet, mein Vater wäre nicht im Kampf gegen General Lao Li getötet worden, sondern wäre ein, inzwischen pensionierter, Polizist in Miami. Meine Mutter warnte mich davor Ross zu begleiten, ohne meinen Vater vorher anzurufen..." Abhisit schnaubte, biss in den Keks und kaute. "Castillo," sagte Trudy. "Heißt dein Vater Martin Castillo?"Abhisit stutzte. "Ja, kennst du ihn?""Und ob! Er war zwanzig Jahre lang mein Boss und der Boss von Billys Vater Sonny. - Warum wurden wir entführt?" Abhisit hob abwehrend beide Hände. "Fragt nicht mich! Ross sagte nur, mein Vater bekäme irgendwelche Anweisungen und wenn er sie befolgt, wäre ich frei. Aber ich glaube das nicht.""Wieso?," wollte BIlly wissen."Ross hat so was gesagt." Abhisit seufzte. "Außerdem gibt es keinen Weg hier raus. Seit ich zu mir gekommen bin, suche ich nach einem Fluchtweg. Der oBden ist sehr festgestampft. Ohne irgendein Werkzeug kann man nicht graben. Die Hütte ist neu und stabil. Die beiden Giebelfenster sind so klein, dass nicht mal ein Kind durchpasst und die Tür öffnet sich nach innen. Im unteren Teil gibt es eine kleine Klappe, durch die Ross mir immer das Essen und die Wasserflaschen geschoben hat. Ach ja...ehe ich es vergesse... hinten rechts ist eine Grube für...ihr wisst schon. Daneben liegt ein Erdhaufen um - ähm - es zu bedecken.""Trotzdem sollten wir weiter nach einem Ausweg suchen," meinte Alessio und erhob sich. "Wenn ich nämlich eins nicht will, dann ist es ein Grab irgendwo im Dschungel." IM NÄCHSTEN KAPITEL: ÜBERRASCHUNGEN IN MIAMI
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13. ÜBERRASCHUNGEN IN MIAMISonny brauchte nur einen Moment, um eine Entscheidung zu treffen, nachdem der Unbekannte aufgelegt hatte. Ihm war längst klar geworden, warum auf dem Umschlag der falsche Name stand: Er sollte durch so viele Hände wie möglich gehen, um Abdrücke zu verwischen. Ein schlauer Zug. Aber irgendjemand hatte Billys Dienstmarke angefasst und den Briefbogen. Vielleicht hatte er ja Glück. Sonny rief Pam Snider vom CSI an und bat sie zu einer Beweissicherung in sein Büro zu kommen."Es ist wichtig, es ist dringend und du musst mir versprechen, die Sache asolut vertraulich zu behandeln, Pam," bat Sonny."Das klingt ernst," antwortete Pam. "Ich bin in fünf Minuten da." Während er auf Pam wartete, lief Sonny ungeduldig im Büro herum. Er hörte nebenan die Telefone klingeln, Aktenschränke wurden geschlossen und Jenny fluchte ziemlich undamenhaft, als irgendetwas mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Warum sollte er nach Miami kommen? Wieso hatte man Billy entführt? Und was war mit Trudy passiert?EL GRANDE MAGO fiel ihm ein. Sonny eilte zu Jenny, die gerade den Telefonhörer auflegte, um sich wieder dem Bildschirm zuzuwenden. Er fragte: "Kannst du mir ein paar Informationen beschaffen? Er nennt sich EL GRANDE MAGO."Jenny sah Sonny an. "Und?"Achselzuckend entgegnete Sonny: "Mehr weiß ich nicht... oder doch. Unser alter Kunde Domenico Franco scheint sein Freund zu sein. Wenn du irgendwas findest, dann ruf mich auf dem Handy an. Ich muss für ein paar Tage nach Miami.""OK," sagte Jenny. Die Tür wurde geöffnet und ein Mann eilte herein, Luke Sanders. "Oh, Lieutenant, gut, dass ich Sie erwische," meinte Luke. "Dachte ich mir doch, dass es Ihre Corvette ist..."Sonny seufzte leise. Luke war ein Schleimer, der redete wie ein Wasserfall, ohne wirklich etwas wichtiges zu sagen."Ich glaube, ich habe da etwas..." In diesem Moment kam zum Glück Pam Snider ins Büro. Sie war fast so groß wie Sonny, Anfang vierzig und schlank. Ihr kurzes, hellblond gefärbtes Haar war gewollt wirr gestylt und vom Gel so hart, dass Sonny sich mal gefragt hatte, ob Pam dafür nicht einen Waffenschein beantragen müsste. "Tut mir leid, Sanders, aber wir reden ein anders Mal, ja?" Sonny unterdrückte ein Grinsen, als er sich abwandte. Entkommen!, dachte er.Luke wandte sich ebenfalls ab und murmelte: "Und ich dachte, alles, was mit der Fowler zu tun hat würde ihn interessieren." Pam begrüßte Jenny und folgte Sonny mit ihrem Köfferchen in der Hand ins Büro. Sie betrachtete sich die Beweisstücke auf dem Schreibtisch und verpackte sie, während Sonny ihr erzählte, was alles geschehen war."Ich rufe dich an, sobald ich etwas weiß," versprach sie. Sonny machte sich auf den Heimweg. Er war so in Gedanken versunken, dass er um ein Haar den stadtbekannten Obdachlosen Sammy über den Haufen gefahren hätte. Der Mann torkelte einfach zwischen den Autos durch. Sonny sah ihn plötzlich und stieg in die Eisen. Das Herz rutschte ihm bis in die Kniekehlen. Genau vor Sammy kam er zum Stehen. Sammy stützte sich an der Motorhaube entlang und schenkte Sonny ein zahnloses Lächeln. Sonny fuhr zu seinem Appartement, das mit hellen freundlichen Möbeln eingerichtet war. Nur Pflanzen gab es nicht. Sonny vergaß ständig sie zu gießen und das nahmen einem selbst Palmen irgendwann übel. Er packte eine Tasche und hoffte, dass eine Woche ausreichte, um diesem Albtraum ein Ende zu bereiten. Gerade, als er seine Kulturtasche verstaute, rief Stan an, um ihm zu berichten, was bisher geschehen war. "In Billys Haus gab es eindeutig einen Kampf," sagte Stan. "Und die Dame, von der ich dir erzählt habe, war auch hier. Wer sie ist und was mit ihr passiert ist, wissen wir noch nicht, aber auf Billys Kopfkissen liegen ein paar Haare von ihr. Vielleicht erfahren wir so schon mal wer sie ist." "Gut, dass wir wenigstens wissen, dass Trudy am Leben ist. Ich bin auf dem Weg nach Miami. Jemand hat für mich im MERCURY SOUTH BEACH RESORT ein Zimmer reservieren lassen," erklärte Sonny."Was für ein Zufall," meinte Stan. "Rico kommt mit dem Vier - Uhr - Flug und wohnt im gleichen Motel. Warum treffen wir uns nicht heute Abend? Vielleicht in Ricos alter Lieblingsbar.""In Ordnung," stimmte Sonny zu. "Aber an Zufälle glaube ich im Zusammenhang mit dieser Sache nicht mehr." Er verließ die Wohnung und stieg in seinen Wagen. Ein junger Asiate, der in einem unauffälligen Kleinwagen saß, wählte eine Handynummer. "Crockett ist auf dem Weg nach Miami," meldete er und legte auf. Rico war ebenso unruhig wie Sonny. Auch er packte, aber mit mehr Sorgfalt, und er steckte die wenigen Fotos ein, die er von Ricardo besaß. Dann gab er im Büro Bescheid, dass er eine Woche lang weg sein würde, ehe er im Appartement hin und her lief. Die Liste der Fragen, die er sich stellte, wurde immer länger und es machte ihn verrückt, dass er im Moment auf keine FRage eine Antwort erhielt. Schließlich ertrug er die Untätigkeit nicht länger. Er bestellte ein Taxi und ließ sich zum Flughafen fahren. Vielleicht lenkte esihn ab dort die Leute zu beobachten. Es half aber nicht. Seine Gedanken wirbelten weiterhin herum. Sein Sohn lebte und an hatte ihn entführt! Warum? Weshalb erst jetzt? Handelte es sich wirklich um seinen Sohn? Und was hatte Trudy damit zu tun? Als seine Maschine aufgerufen wurde kam die Nachricht von Stan, das Trudy lebte, aber sie und Billy entführt worden waren. Rico bat Stan um Informationen über eine Frau namens Maria Montoya, ehe er erklärte, er müsste sich beeilen.Rico war froh, als er im Flugzeug saß. Es bedeutete, dass er der Sache näher kam.Dem älteren Asiaten, der auf der anderen Seite des Ganges auf gleicher Höhe saß, schenkte Rico keine Beachtung. Der Mann sah zu ihm herüber. Dann lächelte er. Castillo hatte alles gut verpackt und verließ nun sein Haus. Wenn er herausfinden wollte, von wem der gesichert Fingerabdruck stammte, brauchte er die Hilfe der alten Kollegen. Er war sich sicher, dass sein ehemaliges Team ihn unterstützte. Nicht sicher war er sich im Bezug auf Dorian Knight. Der Mann war undurchsichtig, unhöflich und oftmals unmöglich. Castillo stieg in seinen Wagen und machte sich auf den Weg. Nachdem der Wind sich gelegt hatte, wirkte die feuchte Luft wie eine Wand. Er sah die Katze von Mrs. Clark, die mit einer Maus im Maul nach Hause eilte, und er winkte Carl zu, der mit einem nassen, aber zufrieden aussehenden Kennedy an der Leine die Straße entlang kam. Als er auf die Hauptstraße abbog, gewahrte er im Rückspiegel den Ford Explorer. "Dachte ich es mir doch," murmelte Castillo.Sollten sie ihm ruhig folgen. SIe wussten garantiert, dass er immer noch viel Zeit im OCB verbrachte. Die gesicherten Beweise konnten sie nciht sehen. Er trug sie in der Innentasche seines Jacketts. Immer wieder blickte er prüfend in den Rückspiegel. Der Explorer hielt Abstand aber er war hinter ihm. Vor dem Präsidium, in das sie vor zehn Jahren umgezogen waren, parkte Castillo den Wagen und ging zum Eingang. In der Glastür spiegelte sich der Explorer, aber den Fahrer konnte er nicht erkennen. Er ging in das große, moderne Büro seines alten Teams, wo auch am Sonntag Hektik herrschte. Die Teleone läuteten, die Sekretärinnen, die heute Dienst hatten, wuselten herum und die Computer liefen."Ich weiß, dass das eigentlich Sache der Mordkommission ist," sagte Damian gerade ungehalten ins Telefon. "Aber hier geht es auch um eine Kollegin. Deshalb brauche ich den ballistischen Bericht." Stan überholte Castillo an der Tür zum Büro, sagte: "Tag, Lieutenant," ehe er sich erst mal Gina zuwande. "Die Haare werden untersucht und wir bekommen Bescheid. Wie sieht es bei dir aus?" "Jones kümmert sich um Trudys Handy," antwortete Gina. "Er ist sehr zuversichtlich. Er meint, die Dinger würden mehr aushalten, als man sich vorstellt. Sobald er Trudys Anrufliste hat schickt er sie mir auf den PC." Ben seufzte. "Auf ihrem Festnetz - Anschluss hat heute Morgen jedenfall niemand angerufen." Dann gewahrte er Castillo, der abwartend in der Tür stand. "Hallo, Lieutenant," sagte er. Ein kleines Lächeln huschte über Castillos Gesicht. "Viel los heute?""Kann man so sagen," meinte Stan. "Trudy wurde entführt, Billy wurde verschleppt, Tubbs´ totgeglaubter Sohn wurde auch entführt und Rico und Sonny sind auf dem Weg nach Miami." Stan grinste. "Und was können wir für Sie tun?" Castillo legt das in Plastik verpackte Foto auf Ginas Schreibtisch, den gesicherten, verpackten Fingerabdruck daneben. Alle beugten sich darüber, auch Damian, der inzwischen sein Telefonat beendet hatte."Wer ist das?," fragte Gina.Castillo holte tief Luft. "Mein Sohn Abhisit. Er wurde ebenfalls entführt." "Was ist hier los?," ertönte plötzlich Knights frostige Stimme. "Haben Sie nichts zu tun?""Doch, wir...," begann Stan, aber Knight schnitt ihm das Wort ab. "Oh, Castillo, ein Freundschaftsbesuch kurz vor Feierabend?""Nein, eine Bitte um Unterstützung. Ich dachte...," sagte Castillo."Da es nichts mit Drogen und Nutten zu tun hat, sollten Sie sich an die entsprechende Dienststelle wenden. Für Entführungsfälle sind wir nicht zuständig. - Switek, Sie, Bradford und Parson kümmern sich um die Überwachung im Fall Cruz. Calabresi, für Sie habe ich Schreibarbeiten." Knight rauschte zurück in sein Büro, verfolgt von insgesamt neun Augenpaaren."Unhöflich," knurrte Ramona und knallte eine Schublade zu."Unmöglich," fügte Gina hinzu."Wenn der denkt, wir lassen Sie hängen, dann ist er schief gewickelt," sagte Stan und Damian fügte inzu: "Meine Schwester Carla arbeitet beim CSI. Ich bringe ihr die Beweise." Und er verließ das Büro."Erstaunlich," sagte Castillo und sah zu Knights Büro hinüber. "Woher weiß er, dass ich wegen einer Entführungsgeschichte hier bin?" Sonny betrat die Lobby des MERCURY SOUTH BEACH RESORT und ging über den blank polierten, grau gefliesten Boden zur Rezeption. Er sah einige Leute in der Sitzecke rechts vom Eingang sitzen. Ein Paar mit mehreren Koffern, eine ältere grauhaarige Frau mit einem Pudel und eine weitere Frau, langbeinig und langhaarig, die in einem Magazin las. Ihr Gesicht konnte Sonny icht sehen, aber sie hatte tolle Beine.Sie verließ die Lobby, als Sonny mit dem Rücken zu ihr an der Rezeption stand. Er bekam seinen Schüssel - 1402 - und fragte nach Nachrichten, aber es waren keine da. "Ein Freund von mir, Ricardo Tubbs, kommt heute ebenfalls an. Würden Sie mir Bescheid geben, wenn er eingecheckt hat?"Die Rezeptionistin, auf ihrem Schildchen stand Louisa Winter, lächelte. "Natürlich, Mr. Crockett." Sonny benutzte den Aufzug. Dann ging er den Flur entlang zu seinem Motelzimmer. Dort packte er seine Sachen aus und blickte aus dem Fenster. Er sah das Meer und den leicht wolkenverhngenen Himmel, der es überspannte. Er tigerte im Zimmer herum, dachte darüber nach Caroline in Atlanta anzurufen. Er hielt das Handy bereits in der Hand, hatte die Option "Suchen" schon angeklickt, aber dann ließ er es. Er würde ihr nur Angst machen, ohne echte Informationen zu haben. Nein, er würde warten, bis er etwas konkretes wusste. Die Dunkelheit hatte sich bereits herabgesenkt, als Rico am Miami International Airport in ein Taxi stieg, das ihn zum Motel brachte. Er war in seine Gedanken versunken, die sich immer wieder um jenen Tag im Mai 1985 drehten. Auf der anderen Straßenseite stieg der Asiate in einen schwarzen Porsche. Er grinste den jungen Mann am Steuer an. "Alles klar hier?"Der junge Mann nickte und sagte mit heiserer Stimme: "Bestens, Mann. Crockett ist schon da und Castillo sehr beunruhigt."Der ältere Asiate wählte eine Nummer und gab durch, dass Ricardo Tubbs in Miami angekommen war. Rico ging zur Rezeption des Motels und nannte seinen Namen. Er bekam den Schlüssel für 1403 und die Nachricht, dass ein Freund von ihm, ein Mr. Crockett, in 1402 wohnte. Rico bedankte sich. Er fuhr mit dem Aufzug nach oben, entschied aber, erst seine Sachen auszupacken, ehe er an Sonnys Tür klopfte. Doch noch bevor er die Tasche geleert hatte, klopfte es. DRaußen stand Sonny. Die Freunde musterten sich, grinsten sich an und umarmten sich."Lang ist´s her, Rico," sagte Sonny. Dann schloss er die Tür hinter sich. "Was treibt dich nach Süden?" Rico holte tief Luft. "Mein Sohn, Ricardo. Angeblich lebt er noch und wurde entführt, genau wie dein Sohn und Trudy."Er lief hin und her, erzählte Sonny, was er wusste, aber das war nicht besonders viel. Sonny lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, und hörte zu. "Es klingt logisch und trotzdem verrückt. Fahren wir zu Tom´s Bar. Stan und Gina kommen dorthin. Vielleicht wissen sie ja etwas Neues." Auf Miamis Straßen war noch genau so viel los wie damals. Einige Leuchtreklamen waren ausgetauscht worden, andere verschwunden. Ein paar Gebäude hatte man abgerissen und durch schönere, modernere Bauten ersetzt. Die Prostituierten warteten jedoch immer noch an den bekannten Orten auf Freier und die jungen Leute hingen an anderen Ecken in Gruppen zusammen.Rico saß neben Sonny und es war fast wie damals. Schließlich hielten sie vor Tom´s Bar. Der Name war der gleiche und auch drinnen hatte sich nur wenig verändert. Die Lampen über der Theke waren neu und auch an die Discokugeln über der Tanzfläche konnte Rico sich nicht erinnern. Hinter der Theke standen hübsche, dunkelhaarige Zwillinge. Die Eine trug einen schwarzen Rock und ein korallenrotes Top, die Andere hatte die Farben umgekehrt gewählt. Es war eine Menge los. Aus den Lautsprechern drang "It´s my life", Rauch und Stimmengewirr hingen in der Luft.Rico und Sonny brauchten einen Moment, um sich an das dämmrige Licht zu gewöhnen und Stan und Gina zu entdecken. Sie hatten den Tisch gewählt, der am weitesten von den Lautsprechern entfernt stand. Gina sah die beiden ehemaligen Kollegen zuerst und bei Sonnys Anblick spürte sie wieder das gleiche Kribbeln im Bauch wie damals. Jetzt reiß dich mal zusammen, Calabresi, dachte sie. Du bist nicht mehr 25... aber er sieht immer noch verdammt gut aus! Sonny umarmte Gina zur Begrüßung und sie dachte erstaunt: Er benutzt sogar noch das gleiche Rasierwasser wie damals! Rico bgrüßte zuerst Stan, tauschte dann mit Sonny, um Gina hallo zu sagen. Sie bestellten Getränke bei dem Zwilling im schwarzen Rock, dann fragte Stan: "Was hat dich zu uns verschlagen, Rico?"Rico erzählte erneut seine Geschichte. Dann berichtete Stan von Castillos Besuch im Büro. Rico schüttelte den Kopf. "Das wird immer verrückter." Als Duffy ihr "Mercy" anstimmte kam der Zwilling im korallenroten Rock. "Heißt einer von Ihnen... - ähm..." - Sie blickte auf den Umschlag, den sie in der Hand hielt. "...Tubbs?""Ja, ich," sagte Rico.Sie gab ihm den Umschlag und erklärte: "Das soll ich Ihnen von dem Mann dort..." Sie drehte sich um und blickte zur Theke, ehe sie die Achseln zuckte. "Er ist schon weg. Er saß jedenfalls eben dort an der Ecke der Theke.""Wie sah er aus?," wollte Rico wissen.Die Frau zuckte die Achseln. "Schon älter. Vielleicht zwischen vierzig und fünfzig, braune Haare. Er hatte eine Narbe." Sie wies links neben ihr Kinn."Danke," antwortete Rico und lächelte. Rico ließ den Blick schweifen, obwohl er sicher war, dass der Mann die Bar längst verlassen hatte. Einen Moment zögerte er, aber dann steckte er den Umschlag in die Innentasche seines sandfarbenen Jacketts. Er würde ihn später öffnen. "Maria Montoya," sagte er dann. "Konntest du etwas über sie herausfinden, Stan?"Viel ist es nicht," gestand Stan. "Sie ist nicht im Polizeicomputer. Ihre Weste ist so weiß, dass es dich sogar mit Sonnenbrille erblinden lassen würde. Sie bewohnt mit ihrem Enkel Alessio ein nettes Haus in Coral Gables. Woher sie das Geld für den Unterhalt und die Ausbildung des Enkels, er studiert Jura, hat, kann ih dir nicht sagen. Geerbt? Gewonnen?" Rico und Sonny blickten beide umher in der Hoffnung, den Mann mit der Narbe am Kinn zu entdecken, aber es wurde immer schwieriger überhaupt etwas zu sehen. - Auch die Unterhaltung gestaltete sich nicht einfacher, weil der Geräuschpegel stieg, je voller die Bar wurde. "Das ist wirklich wenig," brüllte Rico über den Tisch."Maria ist vierundsechzig, Alessio dreiundzwanzig," berichtete Stan. "Maria arbeitet drei Mal wöchentlich ehrenamtlich für MONTANA´S SUPPENKÜCHE...""Die gibt´s noch?," staunte Rico.STan nickte. "Inzwischen gibt es fünf Fahrzeuge." Sonny stand auf. "Ich besorge noch was zu trinken," sagte er und bahnte sich einen Weg zur Theke. Er sah sich um. Das "Gemüse", das hier herumlief, war gerade alt genug, um in eine Bar gehen zu dürfen. Dennoch stellte er fest, dass eine junge Frau mit langen, schwarzen Haaren, die an der Theke stand, ihn lächelnd und interessiert musterte. Sie sah gut as, hatte die Rundungen genau an der richtigen Stelle. Sonny lächelte ebenfalls, aber im Moment stand ihm nicht der Sinn nach einer Affäre. Vielleicht kam sie ja häufiger her und er konnte sie wiedersehen, wenn diese Entführungssache vorbei war. Als er mit den Getränken zum Tisch zurückkehrte, reichte Stan Rico gerade einen Zettel. "Das ist ihre Adresse und ihre Telefonnummer.""Danke, Stan, ich rufe sie morgen an. Sie muss mir einige Fragen beantworten," antwortete Rico und steckte den Zettel ein.Sonny vertelte die Getränke. "Wenn du zu ihr fahren willst, bringe ich dich hin," bot er an und Rico nickte. "Ja, das wäre toll.""Was ist mit dem Umschlag?," wollte Gina wissen. "Sollten wir den Inhalt nicht auf Fingerabdrücke untersuchen lassen?" Sonny prostete allen zu und sie tranken. Er ließ den Blick auf der Suche nach der attraktiven Schwarzhaarigen herumschweifen, aber es war zu voll. Er fand sie nicht. Rico sagte: "Ich würde mir den Inhalt nur erst gern bei Licht ansehen.""Dann fahren wir gleich am besten ins Büro. Du siehst es dir dort an und ich bringe es anschließend ins Labor," schlug Gina vor.Rico nickte. "Eine gute Idee." Wenig später verließen sie gemeinsam die Bar. Vor der Tür klingelte Ginas Handy. Sie blickte auf das Display und erklärte seufzend: "Meine TOcher Elena. Entschuldigt mich einen Moment."Sie entfernte sich ein paar Schritte, um zu telefonieren. Rico sah sich um. Die Gegend war ihm immer noch vertraut, aber zugleich doch fremd. Schon als er ´94 in Miami gewesen war, hatte er bemerkt, dass er die Stadt, das wesentlich lockerere Leben, ja, sogar die manchmal unerträgliche Hitze vermisst hatte. Dennoch war er sicher alles richtig gemacht zu haben. Er hate bei Vice eine tolle Zeit erlebt und viele Erfahrungen gesammelt, die er wahrscheinlich nirgendwo anders hätte sammeln können. "Da bin ich wieder," sagte ina und schnaubte. "Kinder!," fügte sie hinzu."Wie alt?," fragte Rico."Sechzehn," antwortete Gina und Rico vertand augenblicklich, was sie meinte. Gina fuhr wieder mit Stan, Rico stieg zu Sonny in die Corvette. Sonnys Blick schweifte herum und da sah er die Schwarzhaarige, die nur wenige Meter entfernt an seinem Wagen vorbei ging. Sie sah ihn an, lächelte und winkte mit zappelnden Fingern. Sonny winkte ebenfalls.Rico sah es, blickte hinaus und meinte schmunzelnd: "Immer noch der gleiche Casanova, was?"Sonny grinste ihn an und startete den Wagen. "Willst du mir etwa erzählen, dass du unter die Mönche gegangen bist?"Er reihte sich in den Verkehr ein und verlor die Frau aus den Augen."Ich war acht Jahre lang mit einer großartigen Frau zusammen, Sonny," seufzte er. "Donna starb im Dezember. Lymphdrüsenkrebs.""Das tut mir leid," sagte Sonny aufrichtig. Sie fuhren ins Präsidium, einem asymethrisch wirkenden Bau mit einem orangefarbenen Anstrich. Als Rico zuletzt in Miami gewesen war, hatte es das alte OCB - Gebäude noch gegeben. DIe Büros von Vice lagen in der dritten Etage und obwohl es spät war, waren etliche Räume hell erleuchtet. Sie gingen in das Großraumbüro, in dem auch Gina und Stan ihre Schreibtische hatten. Rico holte den Umschlag aus der Tasche. Er öffnete ihn vorsichtig und schüttelte den Inhalt heraus, während Gina ihren PC einschaltete, denn der Kriminaltechniker Mark Jones hatte ihr eine SMS geschickt: "T´s Handyliste ist auf deinem PC." Rico starrte die Fotos an, die aus dem Umschlag geglitten waren. Sie zeigten Ricardo - er wollte wohl besser Alessio sagen - in verschiedenen Altersstufen. Alessio bei seinem ersten Weihnachtsfest mit strahlenden Augen vor dem Weihnachtsbaum, mit etwa drei Jahren beim Muscheln sammeln am Strand, bei der Einschulung, bei irgendeiner Party lachend mit einem Mädchen herumalbernd, beim Schulabschluss und eine Blondine vor der Juristischen Fakultät in Coral Gables küssend. Rico betrachtete sich die Stationen im Leben seines Sohnes. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass es sein Sohn war. Dennoch holte er das Babyfoto aus seinem Portmonnee und hielt es neben das des Jungen vor dem Weihnachtsbaum.In diesem Moment sagte Gina: "Das müsst ihr euch unbedingt ansehen! Das glaube ich einfach nicht! Warum sollte er Trudy in eine Falle locken?" IM NÄCHSTEN KAPITEL: BEI MARIA MONTOYA
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14. BEI MARIA MONTOYA Montag, 1.AprilSie hatten ungläubig, ja regelrecht fassungslos um den PC herumgestanden und auf den Bildschirm gestarrt, aber die Buchstaben und Zahlen blieben die gleichen."Ich bringe das gleich morgen früh zu Commissioner Henderson," sagte Stan mit ernster Miene. Gina druckte ihm die Liste aus, während Rico erneut die Fotos ansah. Als er sie dann vorsichtig mit der Pinzette wieder in den Umschlag stecken wollte stellte er fest, dass er etwas übersehen hatte. Es handelte sich um eine Postkarte mit der Skyline von Miami darauf. Hintendrauf stand: "WIR HOFFEN, DIE FOTOS GENÜGEN ALS BEWEIS DAFÜR, DASS IHR SOHN LEBT. ALS ZUSÄTZLICHES PFAND HABEN WIR AUCH IHR SCHÄTZCHEN TRUDY IN UNSERE GEWALT GEBRACHT. ERFÜLLEN SIE UNSERE FORDERUNGEN NICHT, WÜRFELN WIR DARUM WER ZUERST STIRBT." "Wie kommen die darauf, dass zwischen Trudy und mir was läuft?," wunderte sich Rico. "Wir waren immer nur Freunde. Davon abgesehen liegen Miami und New York für eine heiße Affäre ein bisschen zu weit auseinander." Gina reichte Stan die Liste. Dann gestand sie: "Damian war schon immer sehr eifersüchtig. Trudy sagte mal, er wüsste, dass das sein Problem ist. Seine Ehe scheiterte daran. Du und Trudy, ihr habt oft telefoniert, vor allem im letzten halben Jahr..." Rico öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Gina meinte: "Das ist kein Vorwurf, Rico, nur eine Feststellung. Donna ging es sehr schlecht und Trudy war als gute Freundin für dich da. Das ist völlig OK, aber Damian regte sich sehr darüber auf. Es gab häufig Streit, auch öffentlich. Irgendjemand hat´s gehört und falsche Schlüsse daraus gezogen." Gina hielt Rico den Umschlag hin und er steckte vorsichtig die Karte hinein. Dann sagte sie: "Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich muss morgen früh raus. Ich bringe das hier eben zum CSI...""...und ich fahre dich dann nach Hause," fügte Stan hinzu. Sie verabredeten, mittags miteinander zu telefonieren und sich eventuell zu treffen, ehe sie sich trennten.Phil Collins sang "I can´t stop loving you", als Rico und Sonny zum Motel fuhren. Da die Bars fast alle geschlossen hatten, war es nun wesentlich ruhiger. Die Leuchtreklamen waren ausgeschaltet und die Straßen relativ frei. Auch im Motel war das Licht gedämpft. Louisa Winter war nach Hause gegangen. An ihrer Stelle verrichtete ein schlanker, junger Mann mit einem Kinnbart hinter dem Tresen seinen Dienst. Sein Namensschild wies ihn als Aaron Caden aus. "Alles OK?," fragte Sonny im Aufzug, weil Rico während der ganzen Fahrt still gewesen war."Nein, Mann," knurrte Rico. "Nichts ist OK. Das wird es erst wieder sein, wenn die Geiseln befreit sind und die Gangster hinter Gittern sitzen. Ich muss andauernd daran denken, dass Trudy sich nur in dieser Lage befindet, weil sie eine großartige Freundin ist. Donna ging es wirklich schlecht, meine Ex hatte auch genug um die Ohren und Trudy... sie war da, verstehst du? Ich rief sie an, sie rief mich an...""So was konnte niemand vorausahnen, Rico," meinte Sonny. Der Aufzug öffnete sich und sie marschierten den Gang entlang. Das Licht war dämmrig, der dunkelblaue Teppich dämpfte ihre Schritte."Ich möchte morgen unangemeldet bei Maria Montoya erscheinen," sagte Rico kurz bevor sie sich trennten. "Wenn ich sie anrufe, kann sie mich abwimmeln, aber genau das will ich nicht.""Wann sollen wir fahren?," fragte Sonny. "Halb zehn?"Rico nickte. Beide verbrachten eine unruhige Nacht. Rico dachte an jenen Tag, als Angelina starb und an die Beerdigung. Er fragte sich, warum es immer wieder Kollegen gab, die für Geld alles taten, wo die Geiseln festgehalten wurden und ob es ihnen wenigstens einigermaßen gut ging. Auch Sonny schossen unzählige Dinge durch den Kopf. Da war, natürlich, die Sorge um Billy, die Frage, ob er Caroline vielleicht doch anrufen sollte, der Gedanke an den korrupten Polizisten und immer wieder die Frage: WAS WOLLTEN DIE KIDNAPPER? Beim gemeinsamen Frühstück in einem Café waren beide wortkarg."Du bist also immer noch Vegetarier?," meinte Sonny, als Rico sein Frühstück bestellte."Vegetarier ist man aus Überzeugung," antwortete Rico nur. Nach dem Frühstück fuhren sie nach Coral Gables. Sie fanden die Adresse auf Anhieb. Wie Stan gesagt hatte, bewohnte Maria ein hübsches, eingeschossiges Haus. Der Garten war mit einer Hecke eingefasst. Ein leicht gewundener, gepflasterter Weg führte zum Haus und verbreiterte sich vor der rechts an das Haus angrenzenden Doppelgarage. Blumenbeete säumten den Weg, Palmen und Rhododendren standen auf dem Rasen. Vor der Garage parkten ein schwarzer Hammer und ein silberner Mercedes Kombi. Dahinter stand ein feuerroter Ford Focus. Sonny parkte seinen Wagen hinter dem Focus und sie gingen zur Haustür, vor der es eine Terrasse gab, auf der eine Hängematte im leichten Wind schaukelte.Rico läutete. Nur einen Moment später öffnete eine Frau, die nur Maria Montoya sein konnte. Sie war mollig, schwarz und reichte Rico bis zur Schulter. Sie besaß kurzes, schwarzes Haar mit einigen feinen, grauen Fäden darin. Das Gesicht war rundlich, die kaffeebraunen Augen über der kleinen, breiten Nase waren vom Weinen verquollen. Sie trug Jeans und eine weite, geblümte Bluse. Höflich sagte Rico: "Entschuldigen Sie den Überfall, Mrs. Montoya. Das ist Sonny Crockett, ich bin Ricardo Tubbs und ich muss dringend mit Ihnen sprechen."Maria sah Rico an, dann nickte sie. "Die Ähnlichkeit ist unübersehbar. Ich habe auch bereits erwartet, dass Sie sich melden." Sie ging voran in ein Wohnzimmer mit Nussbaummöbeln und einer eierschalenfarbenen Sitzgruppe mit großem Rosenmuster. Darauf lagen rote und grüne Kissen. Überall standen oder hingen Pflanzen und es gab eine Menge Fotos von Alessio. Auf dem Holztisch standen zwei benutzte Jumbotassen, daneben lag ein Schreiben. Auf einem Sessel saß eine junge, blonde Frau mit verheulten Augen. Rico erkannte in ihr die Frau, die sein Sohn auf einem Foto vor der Juristischen Fakultät küsste. Rico reichte ihr die Hand. "Ricardo Tubbs," sagte er."Anna Marmann," antwortete sie und sah ihn aus veilchenblauen Augen an."Deutsche?," fragte Rico.Anna nickte und entgegnete: "Hamburg."Auch Sonny stellte sich vor, dann bot Maria ihnen ein Platz und Kaffee an. "Seit gestern Morgen läuft die Maschine. So lange warten wir schon darauf, dass Sie kommen," erklärte Maria und reichte Rico das Schreiben. "WIR HABEN ALESSIO. RUFEN SIE NICHT DIE POLIZEI, SONDERN WARTEN SIE AUF TUBBS," las Rico. "Ich bin zwar jetzt da, aber ich befürchte, dss ich Ihnen nicht helfen kann. Ich hoffe vielmehr Sie helfen mir. Ich habe einige Fragen." Anna erhob sich. "Ich hole den Kaffee," sagte sie und eilte in die Küche. Eine Fliege knallte gegen das Fenster, in der Küche beendete die Kaffeemaschine röchelnd ihre Arbeit. "Wo soll ich anfangen?," fragte Maria."An dem Tag, als Angelina starb," schlug Rico vor.Maria nickte. "Eins sollten Sie noch wissen. Ich war Orlandos Kindermädchen, seit er drei Wochen alt war. Ich war die Einzige, die sich wirklich um ihn kümmerte, und die Einzige, von der er sich etwas sagen ließ, aber von seinen Plänen in Miami hatte ich keine Ahnung. Orlando verreiste oft und ich reiste mit, um seinen Haushalt zu organisieren.Ich wusste, dass nicht alles, was er tat, legal war, und er wusste, dass mir seine Geschäfte ebenso missfielen wie die Leute, mit denen er sich umgab. Ein paar arbeiteten für Orlandos Vater, bis er getötet wurde." "Könnten Sie bitte zum 18.Mai kommen?," bat Rico, den Orlandos Lebensgeschichte herzlich wenig interessierte.Anna kam mit der Edelstahl- Thermoskanne, zwei weißen Jumbo - Tassen und zwei Teelöffeln zurück. Während Anna die Tassen füllte, erzählte Maria: "Dass Orlando eine Scheußlichkeit plante sah ich erst, als er seine Schwester in der Leuchtturmbucht in den Wagen tragen ließ. Ich konnte vom Fenster as alles sehen und nichts unternehmen.""Sie hätten die Polizei rufen können," sagte Rico, aber Maria schüttelte den Kopf. "Ich war nicht allein. Dann brachte Paolo mir das Baby..." "Paolo?," fragte Sonny."Paolo Sanchez. Er hatte schon für den alten Calderone gearbeitet und war nicht gut auf Sie zu sprechen, Mr. Tubbs. - Er brachte mir also den Jungen und sagte, ich solle auf den...- ihn aufpassen, bis der Boss zurückkäme." Maria trank einen Schluck Kaffee und lächelte. "Er war unheimlich süß und lachte mich an. Ich wusste sofort, dass ich Orlando das Baby nicht aushändigen würde." Das Lächeln verschwand. Sie blickte zu Anna hinüber, die aber die Augen gesenkt hielt, sah dann Rico an. "An jenem Tag im Mai ist mir klar geworden, was für ein Mensch Orlando war. Angelina war seine Schwester, der Kleine sein Neffe und trotzdem wollte er sie töten.Als der Schuppen explodierte, dachte ich, er wäre tot. In dem Moment tat es mit nicht mal leid. Ich dachte, wenn es einen Gott gibt, dann ließ er Orlando gerade die gerechte Strafe für seine Untaten zukommen, aber dann tauchte er auf. Durchnässt, verletzt und mit zerfetzter Kleidung. Ich sagte ihm sofort, dass ich das Kind behalten wollte." Rico stellte seine leere Tasse ab und fragte: "Und er sagte ja? Einfach so?""Möchten Sie noch Kaffee?," erkundigte sich Anna.Rico lächelte sie an. "Ja, danke." Sein Blick wanderte zu Maria hinüber. Sie schmunzelte. "Orlando sagte nicht einfach so ja. Er brüllte, er tobte und warf eine Menge Dinge an die Wand, aber er kannte mich gut. Er wusste, dass er mich nicht umstimmen konnte, wenn ich einmal eine Entscheidung getroffen hatte. Irgendwann rannte er brüllend und Türen knallend hinaus. Als er zurückkam, erklärte er sich einverstanden. Er wollte mir den Jungen lassen und mir für meine langjährigen Dienste eine Abfindung zahlen. Dafür musste ich sofort das Haus verlassen und schwören, dass das Kind, dem ich einen neuen Namen geben musste, nie erfuhr, wer seine Eltern waren. Auch zu Ihnen durfte ich natürlich keinen Kontakt aufnehmen." "Das war aber sehr großherzig von Ihnen Ihr ganzes Leben für ein fremdes Kind umzukrempeln," meinte Sonny mit leichter Ironie in der Stimme."Das hatte ich damals für Orlando auch getan," entgegnete Maria. "Außerdem wollte ich nach allem, was ich gesehen hatte, sowieso nicht mehr in orlandos Nähe bleiben." Rico saß da und hörte zu. Eine Fliege summte heran und ließ sich auf dem Tisch nieder, wo mehrere Zuckerkrümel lagen. Er beobachtete, wie sie, fast verzweifelt wirkend, herumlief, als wüsste sie nicht, für welchen Krümel sie sich entscheiden sollte. "Wer wusste, abgesehen von Calderone, davon, dass Sie hierher gezogen sind?," fragte er dann."Paolo wusste es auf jeden Fall. Er kam jedes Jahr an meinem Geburtstag, an Ostern und an Weihnachten, um mir eine Kleinigkeit zu bringen, bis Orlando starb. Danach kam er lange nicht mehr," erzählte Maria. Sonny leerte seine Tasse und als Anna sich erhob, um nachzuschenken, gab er ihr zu verstehen, das er keinen Kaffee mehr wollte. "Bedeutet das, dass Paolo kürzlich hier war?," wollte er wissen.Maria nickte. "Ja, das war...lassen Sie mich mal nachdenken... Ende Februar war das. Plötzlich stand er vor der Tür, hatte sogar einen Blumenstrauß für mich dabei." Rico nahm den Blick von der Fliege, die sich gerade putzte. "Was wollte er?""Höre, wie es mir und Alessio geht, was wir so machen, ein bisschen plaudern, alte Fotos ansehen...""Hat er Fotos mitgenommen?," erkundigte sich Rico.Erstaunt blickte Maria ihn an. "Warum sollte er das tun?""Jemand schickte mir verschiedene Fotos von Alessio," erklärte Rico. Zehn Minuten später stand fest, dass die Fotos tatsächlich aus Marias Alben stammten. Nur das Foto des küssenden Paares hatte wohl die Person geschossen, die Alessio beobachtet hatte.Paolo musste sie genommen haben, als Maria einmal den Raum verlassen hatte. Rico bat um eine Beschreibung des Mannes, die Maria ihm lieferte."Was werden Sie jetzt tun, Mr. Tubbs?," fragte Anna und er hörte aus jedem Wort ihre Verzweiflung heraus. Anna gab sich die Mitschuld daran, dass die Entführer zuschlagen konnten. Während sie die Alben durchblätterten, hatte sie erzählt, dass Les und sie jeden Sonntagmorgen zusammen joggten. Stets zur gleiche Zeit am gleichen Ort. Les war, wie immer pünktlich gewesen. Zumindest ging Anna davon aus, denn Alessio kam niemals zu spät. Sie selbst hatte allerdings ein kleines Problem mit der Pünktlichkeit. Egal, wie sie es anstellte, sie kam immer zehn Minuten zu spät. Gestern fand sie dann nur den Hammer vor. Die Fahrertür stand offen, an der Scheibe hinter der Fahrertür entdeckte sie Blutspritzer und auf dem Fahrersitz lag die Mitteilung. "Zuerst rufe ich jetzt meinen alten Kollegen von Vice an...," begann Rico."Keine Polizei!," fiel Maria ihm ins Wort."Mrs. Montoya," sagte Rico und sah die Frau fest an. "Ich verstehe, dass Sie Angst haben, aber ich will - wir wollen die Verantwortlichen hinter Gittern sehen. Sie haben nicht nur Alessio, sondern drei weitere Leute entführt..." Rico wies auf Sonny. "Seinen Sohn Billy, der ebenso bei Vice arbeitet wie Trudy Joplin, und einen jungen Thai. Vice ist deshalb ohnehin längst an dem Fall dran." "Sie töten die Geiseln!," prophezeite Maria, während Anna ihn nur entsetzt ansah."Mrs. Montoya, Rico Tubbs und ich sind Polizisten. Wir wissen, was wir tun," mischte sich Sonny ein.Rico zog sein Handy aus der Tasche. "Und zuallererst rufe ich jetzt Stan an." IM NÄCHSTEN KAPITEL: DER NEUE LIEUTENANT
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15. DER NEUE LIEUTENANTDorian Knight eilte, wie üblich, mit zusammengekniffenen Augen und aufeinander gepressten Lippen zu seinem Büro. Sein knapper Morgengruß klang militärisch und er schloss seine Tür hinter sich, ehe Gina, Sharon oder Ramona den Gruß erwidern konnten. Angela und Saah kamen zusammen mit Damian und Ben herein."Weg!," sagte Damian ungläubig. "Einfach weg!""Morgen erst mal," meinte Gina, um hinzuzufügen: "Wer oder was ist weg?" Damian eilte zur Kaffeemaschine und zog die Kanne hervor, um seine Tasse zu füllen, auf der SIMPLY THE BEST stand. "Emanuel Cruz," sagte er dann. "Er hat sein Haus bereits vorgestern verlassen. Das wissen wir aber erst seit heute Morgen. Wir waren mit dem Boot draußen, um das Haus zu beobachten, und wunderten uns, weil alles dunkel war..." Damian ging zu seinem Schreibtisch und sank auf seinen Stuhl. Er sah müde aus, aber wahrscheinlich fand er dennoch kaum Schlaf, wenn er sich hinlegte. Zu groß war die Sorge um Trudy. Er fuhr fort: "Wir dachten, dass er einen drauf macht. Deshalb suchten wir all seine Lieblingsbars auf, um heute Morgen zu hören, dass er weg ist." "EL GRANDE MAGO," sagte Ben. Auch er hatte sich einen Kaffee genommen und setzte sich nun halb auf Damians Schreibtisch."Was hast du bloß immer mit diesem Zauberer?," murmelte Damian."EL GRANDE MAGO?," fragte Gina. "Wer ist das?""Eine gute Frage. Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass er Kriminelle rekrutiert. - Zum Beispiel Victor Bonivar," erzählte Ben. "Aber mir glaubt niemand." "Ich habe auch Neuigkeiten," verkündete Gina und winkte die beiden Männer heran. Dann aber wartete sie, denn Knight schoss aus seinem Büro."Gina, was ist mit dem Bericht zum Fall Donovan?," fragte er auf seine übliche unfreundliche Art."Ich bin dran. Ich brauche nur...," begann Gina, wurde aber unterbrochen: "In einer Stunde will ich den Bericht haben."Mit langen Schritten verließ er das Büro. Gina sah ihm nach. "Hätte er mich ausreden lassen, dann wüsste er jetzt, dass ich in zehn Minuten fertig bin. In einer Stunde ist er vielleicht schon gar nicht mehr aktuell." Ben und Damian beugten sich vor und Gina erzählte ihnen leise, was sie letzte Nacht erfahren hatten. Ben musste Damian daraufhin erst mal eindringlich klar machen, dass es besser war jetzt Ruhe zu bewahren. Schließlich half es den Geiseln nicht, wenn er Knight jetzt an den Hals ging. Als Damians Handy klingelte, atmete er erst ein paar Mal tief durch, ehe er einen Blick auf das Display warf. Es war seine Schwester Carla.Gerade, als er den Anruf annahm, kehre Knight zurück. Gleichzeitig klingelte auch Ginas Telefon."Bradford, ich will Sie und Parson in einer halben Stunde in meinem Büro sehen wegen der Observierung von Cruz," ordnete er an."Tja, da gibt´s nicht viel...""In einer halben Stunde," fiel Knight Ben ins Wort. "Morgen, Carla," sagte Damian zu seiner Schwester. "Hattest du eine gute Nacht?""Morgen, Rico," sagte Gina. "Ja, Stan ist im Moment ziemlich beschäftigt." Sie schielte zu Knight hinüber, der sich aber bereits abwandte, um wieder in seinem Büro zu verschwinden. "Ach, wirklich?," fragte Damian und blickte zu Gina hinüber. "Davon hat Gina noch gar nichts erzählt. Na, macht ja nichts. Und was hast du noch?" Damian eilte zu seinem Schreibtisch, um sich eine Notiz zu machen. "Paolo Sanchez," murmelte Gina und schrieb den Namen auf. "ch gebe den Namen in den Computer ein." - "Mittagessen im Ocean Club klingt gut. Halb eins, okay. Ich sag´s Stan. Bis dann." "Wir haben möglicherweise den Namen eines der...," begann Gina, als Stan, Commissioner Henderson und zwei uniformierte Beamte hereinkamen. Sie grüßten, marschierten aber gleich durch zu Knights Büro. Hinter der kleinen Prozession kam Sharon mit einigen Akten herein. Erstaunt zog sie die Augenbrauen hoch. Sie blickte Ramona an, die an einem Aktenschrank stand. Ramona zog eine Grimasse und wackelte mit der rechten Hand. Ernste Sache!, hieß das. Alle starrten zum Büro des Lieutenants, aber wenn sie geglaubt hatten Knight würde laut werden, hatten sie sich getäuscht.Nach nur fünf Minuten verließ Knight mit Stan, dem Commissioner und den beiden Beamten sein Büro. Nur der Blick, mit dem er Gina, dann Ben und Damian bedachte, drückte seinen Zorn aus. "Er sagt, er ist unschuldig," erklärte Stan. "Angeblich verlor er sein Handy am Freitag. Er gab Commissioner Henderson sogar sein Jackett, damit er die Taschen durchsuchen sollte...""Das machte er doch nur, damit Henderson ihm glaubt und nicht alles durchsucht. Absolut durchsichtiger Zug. Als ob er´s dabei ghabt hätte!," knurrte Damian. "Der Mann ist kein kompletter Idiot!""Es wara aber in seiner Tasche," meinte Stan."Okay, dann streich den letzten Satz. Carla hat übrigens herausgefunden, dass die Creole vom Tatort wirklich Trudy gehört und wir haben jetzt einen Namen zu den Fingerabdrücken auf den Fotos von Castillos Sohn und den beiden Abdrücken auf den Fotos von Tubbs´ Sohn," sagte Damian. Wieder sah er Gina an. "Du hast mir gar nicht gesagt, dass er hier war.""Doch, hab ich," widersprach Gina. "Als ich erzählt habe was in Tom´s Bar passierte.""Was hast du?," fragte Stan und blickte seitlich um Damian herum auf den Zettel in dessen Hand. "Die Abdrücke gehören einem Paolo Sanchez," antwortete Damian. "Die Haare stammen von Rachel Anderson.""So ein Zufall!," entfuhr es Gina. "Den gleichen Nmen nannte Rico gerade am Telefon. Er sagte, Sanchez arbeitete früher für den alten Calderone und wurde nach dessen Tod vom Sohn übernommen." Sie gab den Namen in den Computer und einen Moment später spuckte er bereits die gewünschten Informationen aus. Sanchez hatte wegen schwerer Körperverletzung eine Gefängnistrafe in Bolton abgesessen und später eine wegen unerlaubten Waffenbesitzes. 2004 war er entlassen worden.Rachel hingegen hatte mehrere Anzeigen wegen Prostitution erhalten. Bekannt war, dass sie für Emanuel Cruz arbeitete. "Wir fahren mal zu der Adresse," schlug Damian vor."Nein, du und Ben, ihr fahrt erst mal ein paar Stunden nach Hause," ordnete Stan an."Bist du jetzt der neue Boss?," fragte Ben.Stan grinste. "Nein, nur ein besorgter Kollege, aber wenn wir diesen Fall lösen wollen, müssen wir ausgeschlafen sein." Ramona gesellte sich zu ihnen, in der Hand die mappe mit den Papieren, die sie Knight zum unterschreiben hätte vorlegen müssen."Wer übernimmt denn knights Job, bis alles geklärt ist?," wollte sie wissen."Ich habe Castilo vorgeschlagen," verriet Stan. Mittags trafen sich Rico, Sonny, Stan, Gina und Castillo im Ocean Club. Gina hatte Castillo dazu eingeladen, weil es ihn schließlich auch betraf. Sie schüttelten einander die Hand und Rico, Sonny und Castillo tauschten ein paar Höflichkeiten aus. Dann bestellte sie die Getränke und das Essen, ehe sie nacheinander berichteten, was es Neues gab."Es ehrt mich, dass Sie mich wieder als Ihren Boss haben wollen, Switek," sagte Castillo während des Essens. "Aber ich habe Sie vorgeschlagen." Stan sah ihn an. Die Gabel mit dem Stück Steak daran schwebte in der Luft und der Mund stand offen. Dann besann er sich. Er ließ die Gabel sinken, schloss den Mund und schluckte erst mal. Castillo aß ungerührt weiter. "Sie sind der richtige Mann für den Job, Switek. Das weiß ich," sagte er und damit war für ihn alles geklärt. "Fassen wir zusammen," sagte Rico. "Paolo Sanchez, der für beide Calderones arbeitete und weiß, wo mein Sohn lebt, sandte Ihnen und auch mir die Fotos und da Mrs. Montoya uns erzählte, dass seine Stimme sehr rau klingt wissen wir, dass er es auch ist, der uns angerufen hat." Er sah Stan an, der die Überraschung inzwischen einigermaßen verdaut hatte, es aber noch nicht wirklich glauben konnte. Er war jetzt Lieutenant! Vermutlich! Wenn Castillos Vorschlag akzeptiert wurde. Und auch nur kommissarisch, aber immerhin... "Die Haare stammen von einer Nutte, richtig, Stan?," fragte Rico."Rachel Anderson," bestätigte Stan. "Hatte mehrere Anzeigen wegen Prostitution. Ein Foto gab´s nicht, weil sie nicht festgenommen wurde." Sonny schob den leeren Teller fort. "Auf dem Weg zum Ocean Club rief mich Pam Snider an. Sie arbeitet bei uns im CSI. Ich hatte sie gebeten, die Nachricht und Billys Dienstmarke zu untersuchen. Sie fand einen Teilabdruck, der gut genug für eine Überprüfung war. Er gehört Rachel Anderson." "Merkwürdig ist, dass Rachel für einen Zuhälter und Dealer namens Emanuel Cruz arbeitet, der seit vorgestern wie vom Erdboden verschluckt ist," erklärte Stan. "Ben behauptet, er hätte sich der Organisation eines Kriminellen angeschlossen, der sich EL GRANDE MAGO nennt." Sonny horchte auf. Er dachte an sein Treffen mit Angelo. Auch dabei war es um EL GRANDE MAGO gegangen. Er erzählte den anderen davon, aber weder Gina, noch Stan oder Castillo hatten auch nur den Hauch einer Ahnung wer EL GRANDE MAGO war. Es wurde jedoch immer offensichtlicher, dass er hinter allem steckte. "Er wird sich melden," sagte Castillo, kurz bevor sie sich trennten. "Vielleicht heute, vielleicht morgen. Wir bleiben in Verbindung." Rico und Sonny machten sich auf den Rückweg zum Motel. Rico ließ den Blick schweifen, denn in Miami liefen die Leute schon sehr leicht bekleidet herum, während in New York noch alle in dicken Jacken und manchmal auch Schals herumliefen. "Die Aussicht vermisse ich wirklich in New York," gestand er."Ja, das Meer hat was besonderes," entgegnete Sonny."Nicht das Meer, mann, die hübschen Frauen in Bikinis. Die siehst du in New York nie!"Sonny lachte kurz. "Wenn du genug hast von den dick eingepackten New Yorkern, sag Bescheid. Hier unten gibt´s immer Arbeit für einen erfahrenen Polizisten." Als sie das Motel betraten, hatte Rico plötzlich das Gefühl beobachtet zu werden. Es kribbelte in seinem Bauch und in seinem Kopf schrillte eine kleine Alarmglocke.Er sah sich um. An der Rezeption lehnte ein Mann. Er mochte um die vierzig sein und war, abgesehen von der Narbe, die sich vom Kinn zur linken Wage zog, ein Allerweltstyp. Rico stutzte. Ihm fiel die Kellnerin in Tom´s Bar ein, die ihm den Umschlag mit den Fotos gegeben hatte. Sie erwähnte, dass der Mann, der sie darum bat ihm den Umschlag zu bringen, eine solche Narbe besessen hatte. Ross merkte durchaus, dass Rico stutzte und ihm wurde klar, dass es besser war zu verschwinden. Er setzte sich in Bewegung."Hey, Sie!," rief Rico und wies auf Ross, der nun schneller lief. Rico wirbelte herum und stieß plötzlich gegen eine Frau, die hinter ihm gewesen war. Sie schrie auf und stürzte. Sonny hatte den Mann an der Rezeption zwar nicht erkannt, aber wenn Rico hektisch wurde, gab es immer einen Grund. Er sah die gut aussehende Blondine stürzen, und Rico, der beinah über die Frau stolperte. Er dachte nicht weiter nach, sondern sprintete hinter dem Flüchtenden her zur Tür.Dort rannte er allerdings in einen Asiaten, der ungehalen in seiner Sprache schimpfte. - und Ross entkam. Rico fing sich gerade noch ab, bevor er ebenfalls stürzte. Die junge FRau mit den langen, blonden Locken, die vor ihm auf dem Boden lag, blickte ihn aus himmelblauen Augen an."Sie sind aber stürmisch!," sagte sie mit einer rauchigen, sehr erotisch klingenden Stimme. "Tut mir leid," entschuldigte sich Rico und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. "Ich habe gar nicht bemerkt, dass jemand hinter mir war.""Das ist mir aufgefallen," stellte die Frau fest. Sie lächelte. "Es ist ja nichts passiert."Sie strich das enge, amethystfarbene Kleid glatt und ging mit wiegenden Schritten zur Rezeption, um sich danach zu erkundigen, ob eine Mrs. Landon hier wohnte. Sonny kehrte zurück. Er wirkte missmutig und erklärte leise, dass dr mann entkommen wäre. Als die Blondine lächelnd an ihnen vorbeistöckelte, meinte Sonny: "Nicht übel." Sie holten ihre Schlüssel und Rico erhielt außerdem einen Umschlag."Von dem Herrn, der es plötzlich so eilig hatte," sagte Louisa Winter."Kannten Sie ihn?," fragte Rico, aber Louisa schüttelte den kopf. Im Zimmer öffnete Rico vorsichtig den Umschlag und holte ein Blatt Papier heraus.KOMMEN SIE HEUTE ABEND UM SIEBEN ZU DEN FLORIDA VILLAS. LETZTES HAUS RECHTS: SIEBEN UHR FÜNF UND DIE ERSTE GEISEL STIRBT. UND KEINE TRICKS, SONST VERFÜTTERN WIR DIE GEISELN AN EIN PAAR SEHR HUNGRIGE FREUNDE. Rico sah Sonny an. "Die Florida Villas gibt es noch?," staunte er. "Die standen doch schon damals leer, als wir Lombard dort verstecken wollten.""Und sie sind seitdem nicht gemütlicher geworden," entgegnete Sonny und wählte Castillos Telefonnummer. IM NÄCHSTEN KAPITEL: IRGENDWO IM NORGENDWO Teil 2
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16. IRGENDWO IM NIRGENDWO Teil 2Sie hatten gemeinsam die Hütte abgesucht, nur um am Ende herauszufinden, dass Abhisit Recht hatte. Es gab keinen Weg aus der Hütte. Es sei denn, sie versuchten sich durchzugraben. Das einzige Werkzeug war jedoch Trudys hochhakiger, spitz zulaufender Schuh. In der Hütte wurde es immer heißer, die Moskitos wurden aggressiver und auch die Stimmung war entsprechend angespannt.Billy hatte Trudys Schuh genommen, den Absatz abgebrochen und erklärt, er würde jetzt lieber etwas sinnloses tun als gar nichts, und wer ihm helfen wollte, könnte den Absatz benutzen. Er zog die Matratzen von der Wand weg. "Sollte dieser Ross oder sonstwer auftauchen und doch die Tür aufschließen, haben wir unseren Fluchtweg schnell versteckt," erklärte er. Dann fing er an den Boden mit der Spitze von Trudys Schuh zu bearbeiten. Alessio schnappte sich den Absatz, um Billy zu helfen. Der Boden war jedoch knochenhart und als es Abend wurde, war das Loch gerade so groß, dass eine Hand durchpasste. Die Wasserflaschen waren allerdings fast leer. "Bei der Geschwindigkeit, mit der wir vorankommen, brauchen wir ein paar Wochen, bis das Loch ausreicht, damit wenigstens Abhisit durchpasst," meinte Alessio, als die Dunkelheit kam.Sie hatten sich abgewechselt und fühlten sich alle ziemlich erledigt."Hast du einen besseren Vorschlag?," fragte Billy leicht aggressiv.Alessio seufzte. "Nein." Sie lagen da und lauschten den Geräuschen des Dschungels. Hier draußen kehrte niemals vollkommene Ruhe ein. Es zirpte, fiepte, piepste, knirschte, knackte und raschelte ständig. Ein paar Mal wachten sie auf, weil irgendwas an der Tür schnaufte und kratzte, sich dann aber wieder davonmachte. Als der Morgen heraufzog und die Sonne durch eins der Gibelfenster hereindrang, um goldene Muster auf den Bode zu malen, richtete sich Abhisit seufzend auf. Seine Zunge fühlte sich pelzig an. Er hatte großen Durst, aber in seiner Flasche war nur noch wenig drin. Er trank einen Schluck. Zwang sich ihn eine Weile im Mund zu behalten, ehe er ihn runterschluckte. Neben ihm regte sich Trudy. Auch sie war durstig. "Wann, sagst du, brint dieser Ross Nachschub?," fragte sie und griff nach ihrer Wasserflasche."Das ist unterschiedlich," gestand Abhisit. Trudy trank ebenfalls. Hunger hatte sie nicht, aber er wäre ihr sowieso vergangen, wie sie mit einem Blick auf die Tüte feststellte. Etliche Insekten hatten den Weg in die Tüte gefunden und ließen sich die Kekse schmecken. Wieder wechselten sie sich ab mit der Arbeit, während die onne höher und höher stieg. Seltsamerweise kamen sie viel besser voran, was ihnen Hoffnung gab. In der Hütte war es allerdings wie in einer Sauna und bis mittags lagen alle Wasserflaschen leer am Boden. Am frühen Nachmitta warf Billy sih erschöpft auf die Matratzen. Eine kleine Staubwolke stieg auf. "Wenn dieser Ross nicht bald kommt, werden wir hier verdursten," stöhnte er."Er muss kommen," meinte Trudy und bemühte sich zuversichtlich zu klingen. "Wer Geiseln nimmt, stellt Forderungen an jemanden und der, an den die Forderungen gestellt werden, besteht auf ein Lebenszeichen der Geiseln. Deshalb muss er herkommen und er muss uns mit irgendwem sprechen lassen." Billy seufzte. "Normalerweise ist das so, aber das hier ist nicht normal. Kidnapper wollen Geld, also entführen sie Leute aus vermögenden Familien, aber die dicke Kohle hat ja wohl keiner von uns. - Oder hat einer von euch einen reichen Erbonkel, von dem er uns erzählen könnte?" "Nein," brummte Alessio und starrte an die Decke. Er dachte darüber nach, ob es vielleicht irgendeine Möglichkeit geben könnte das Dach von innen zu beschädigen. Er hatte sich nie mit diesen Dingen beschäftigt. "Hat mein Vater reiche Geschwister?," fragte Abhisit."Ich weiß nicht mal, ob dein Vater überhaupt Verwandtschaft besitzt," gestand Tudy, ohne den Blick von der Kekstüte zu nehmen, die sich nun bewegte, weil so viele Insekten darin waren. Es hatte sich wohl rundgesprochen, dass es hier was Gutes gab. "Er hat nie darüber geredet. Martin Castillo ist sowieso kein Mann großer Worte." "Was ist mit dem Dach? Könnte man versuchen da rauszukommen?," fragte Alessio.Alle blickten nach oben. "Nein," antwortete Billy. "Es hat von innen eine Verschalung,die man nicht beschädigen kann." Alessio richtete sich seufzend auf, griff nach dem inzwischen str lädierten Absatz und setzte seine Arbeit fort. Er zweifelte allmählich daran, dass oss kam. Vielleicht war etwas schief gegangen und man wollte sie einfach hier lassen. Oder die, die das Versteck kannten, waren tot.Abhisit unterstützte ihn. Sie wechselten sich etwa im Stundentakt ab und lauschten immer wieder darauf, ob sich eventuell Motorengeräusche näherten. Als es wieder dunkel wurde und sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatten, erklang plötzlich das satte Brummen eines Jeeps.Trudy, Billy, Abhisit und Alessio setzen sich auf. Sie hielten den Atem an, weil jeder glaubte sich das Geräusch nur einzubilden. Der Motor wurde ausgeschaltet, eine Tür klappte. Dann wurde am Schloss für die Katzenklappe herumgefummelt."Die leeren Flaschen!," brummte Ross.Trudy sprang auf.Sie rannte zur Tür und hämmert dagegen. "Lassen Sie uns hier raus! Verdammt, was wollen Sie denn überhaupt?""De leeren Flaschen," wiederholte Ross nur. "Sonst fahre ich wieder und ihr kriegt nichts!" Trudy hatte einen Kloß im Hals. Eigentlich war sie nienamd, der schnell in Tränen ausbrach. Sie gehörte auch nicht zu denen, die schnell die Flinte ins Korn warfen, aber jetzt packte sie allmählich die Verzweiflung. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie die Ohnmacht hasste, dieses Ausgeliefertsein. Dazu kamen der Durst und die Erschöpfung. Sie stand da, die Fäuste gegen das Holz der Tür gepresst und sah zu wie Alessio im letzten Tageslicht die leeren Flaschen durch die Klappe hinausschob und die neuen im Empfang nahm. Die Klappe wurde geschlosssen. Einen Moment später fuhr Ross davon. Billy kam und legte Trudy die Hand auf die Schulter. "Wir kommen hier raus," versprach er. "Vielleicht schon morgen. Komm, trink erst mal einen Schluck Wasser. Ich wette, es geht dir dann gleich besser." Trudy nickte. Sie ließ sich auf den Matratzen nieder, öffnete die Wasserflasche und nahm einen langen Zug."Ja, vielleicht sind wir schon morgen frei," sagte sie. "Und wenn wir dann die Scheißkerle erwischt haben, die hierfür verantwortlich sind, wird alles gut." Es war gut, dass keiner der Vier wusste, dass am nächsten Tag alles nur noch schlimmer wurde. IM NÄCHSTEN KAPITEL: INFORMATIONEN ÜBER DEN DEAL
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17. INFORMATIONEN ÜBER DEN DEALCastillo sah den Zettel sofort, der, beschwert mit einem Stein, vor seiner Haustür lag. Er parkte den Wagen, ging, sich mehrfach umblickend, zur Tür und hob den Zettel auf. Den Stein legte er an den Rand des Beetes zurück, wohin er gehörte.Der Zettel beinhaltete die gleiche Nachricht, die auch Rico erhalten hatte, wie er erfuhr, als er Sonny anrief."Wir sehen uns heute Abend," sagte Castillo, ehe er auflegte. "Er hat die gleiche Nachricht erhalten," erklärte Sonny und wählte gleich die nächste Nummer, die von Angelo Crispi."Crockett. Kanst du frei sprechen?"Die Antwort machte ihm sofort klar, dass Angelo nicht alleine war."Oh, wow, Bruder! Was geht ab, Mann?," fragte Angelo.Sonny grinste. "Versuch in die Organisation des Zauberers zu kommen. Er hat vermutlich vier Leute, darunter meinen Sohn Billy, entführt," erklärte Sonny. Angelo lachte. "Du hängst also immer noch in Vegas ab. - Siegfried und Roy? Yeow, Mann, wer kennt die nicht?""Ich will dich bei der Entschleierung des Zauberkünstlers dabei haben," sagte Sonny eindringlich."He, Mann, das ist ´ne verdammt gute Idee!" Angelo klang total begeistert. Sonny konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen."Das machen wir," versprach Angelo. "Ich komme demnächst rüber und dann machen wir was los. Hey, Alter, pass auf, ich bin gerade schwer beschäftigt, aber wir quatschen die Tage noch mal. Mach´s gut!" Grinsend legte Sonny auf. Er hatte das Kichern im Hintergrund gehört und ihm war klar, wobei er Angelo gestört hatte. "Angelo," sagte er. "Ein verdammt guter Mann. Hat einen scharfen Verstand. Er wird versuchen in die Organisation zu kommen." Rico informierte Stan über die Nachricht, aber er lehnte polizeiliche Unterstützung ab. Er und Sonny vermuteten, dass es nur darum ging welche Forderungen die Kidnapper stellten. Die Polizei hätte die Kerle wahrscheinlich nur erschreckt. Am Ende konnte dies dann sogar das Leben einer, vielleicht aller Geiseln kosten. Das durften sie auf keinen Fall riskieren. Rico versprach aber sich nach der Rückkehr ins Motel sofort zu melden. Dann erklärte Stan stolz, Castillos Vorschlag wäre akzeptiert worden und er wäre nun, wenn auch nur kommissarisch, der neue Vice - Lieutenant. Rico gratulierte ihm, auch in Sonnys Namen. "Das sichert uns auf jeden Fall die volle Unterstützung des Vice - Teams." Erleichterung klang aus Sonnys Stimme. "Knight galt diesbezüglich ja als wenig kooperativ."Rico sank schnaubend auf die Kante des Schreibtischs, der unter dem Fenster stand. "Wundert dich das? Der Mann hängt tief in der Sache drin!" Rico schüttelte den Kopf und blickte hinaus. Einige Bikini - Schönheiten waren unterwegs, obwohl der Himmel wolkenverhangen war und der Wind wehte. Dem Motel gegenüber parkte ein Wagen, ein Freelander. Rico sah, dass jemand darin saß. Ein Beobachter. Ein Bewacher. "Weißt du, Sonny, mein ganzes Leben lang bin ich immer wieder über korrupte Polizisten gestolpert. Jedes Mal mussten andere für die Gier von Leuten bezahlen, die eigentlich für Recht und Ordnung sorgen sollten. - Und diese Calderones...!" Er spuckte den Namen angewidert aus. "Ich dachte, ich wäre sie los und plötzlich taucht der Name wieder auf." "Noch ist die einzige Verbindung zur Calderone - Familie Paolo Sanchez," meinte Sonny. "Mach dich also nicht verrückt." Als es Zeit wurde machten sie sich auf den Weg zu den Florida Villas. Beide waren angespannt. Im Radio lief Genesis "Land of confusion", aber weder Rico noch Sonny hörten wirklich hin. Sonny blickte immer wieder in den Rückspiegel. "Wir haben Gesellschaft.""Ein Freelander?," fragte Rico."Du sagst es." Die Zufahrt zu den Florida Villas war mit einem Explorer blockiert. Castillos Wagen stand bereits dort und er selbst wurde von drei vermummten, bewaffneten Männern in Schach gehalten. Sonny hielt an und sie stiegen aus. Sofort waren zwei weitere bewaffnete Männer da, die ihre Kanonen auf Rico und Sonny richteten. Ein dritter, scheinbar unbewaffneter Mann in einem Kampfanzug und Stiefeln und mit einer Skimütze über dem Kopf, stieß Rico gegen die Corvette. Er tastete ihn ab, fand aber nichts. Rico und Sonny hatten damit gerechnet abgetastet zu werden und sich deshalb gegen ein Wadenholster entschieden. Unter Sonnys Wagen gab es allerdings eine Halterung, die Platz für wenigstens eine Waffe bot. "Laufen!," kommandierte der Mann, der sie abgetastet hatte.Das hatten sie allerdings nicht erwartet. Es hieß, sie würden absolut wehrlos sein.Wortlos marschierten Rico, Sonny und Castillo los. Die Dunkelheit sank langam herab, der Wind wirbelte Blätter, Plastiktüten, Pappschachten und seltsame Gerüche herum. Sie schielten von rechts nach links, während sie die befestigte Straße entlang gingen. Sie spürten die Blicke der Männer hinter ihnen und in den Häusern wie Nadelstiche, hörten, wie Waffen mit einem scheinbar überlauten Geräusch entsichert wurden. Ihre Muskeln waren angespannt und alle Sinne geschärft. Rico gewahrte eine Ratte, die unter einem Strauch saß und sie anstarrte. Wo eine Ratte war, gab es auch noch mehr. Rico hasste Ratten. Sein Blick schweifte über die winzigen Häuser, die halb verfallen waren. Die Dächer waren beschädigt, die meisten Fensterscheiben kaputt und viele Türen fehlten komplett. In einigen Häusern machte er Bewegungen aus, aber auch die Ratte war, wie er schon vermutet hatte, nicht allein. Ihre Kumpane hockten überall, um zu beobachten, was passierte. Eine sauste genau vor Rico her von einer Straßenseite zur anderen. Fast hätte sie ihn berührt. "Ich zähle noch sechs," murmelte Castillo."Und sechs hinter uns. Macht zwölf gegen drei," antwortete Rico nur. Als sie das letzte Haus rechts erreichten, bellte eine heisere Stimme: "Stop!""Sanchez!," knurrte Rico. Sie blieben stehen, warteten darauf, dass Sanchez rauskam. Er war vermummt wie die anderen auch und richtete eine Mach 10 auf sie. Er kam auf sie zu wie jemand, der zu viele Action - Filme kosummierte.Er war um die eins - achtzig groß und drahtig. Mehr konnten sie nicht sehen. "Was ollen Sie von uns?," fragte Rico."Ihre Hilfe. Ihre professionelle Unterstützung," entgegnete Sanchez."Bevor wir irgendwas tun, wollen wir die Gewissheit haben, dass es den Geiseln gut geht. Wir wollen mit jeder einzelnen sprechen," verlangte Sonny."Sie haben keine Forderungen zu stellen, nur Bedingungen zu erfüllen!," bellte Sanchez und richtete seine Waffe auf Sonny. "Was - wollen - Sie?," hakte Castillo nach."Sie werden für uns ein paar Transporte übernehmen," erklärte Sanchez. Er ließ lässig die Waffe sinken, aber Rico, Sonny und Martin waren sicher, das seine Reaktionen hervorragend waren. Es war sicher nicht im Sinne seines Bosses, wenn er schoss, aber wenn es darauf ankam, würde er sie töten. Sonny schnaubte. "Sie meinen, wir sollen für Ihren Boss Drogen schmuggeln?"Sanchez stieß ein gekünzeltes Lachen aus. Es klang wie das Bellen eines Seehundes. "Was für ein böses Wort, Crockett! Wir nennen es "Unseren Beitrag aus Südamerikas Unterhaltungsindustrie". Das klingt viel netter, finden Sie nicht?" "Es sind Drogen, egal, wie Sie es nennen," knurrte Castillo. "Sie können die Hinterlassenschaft eines Hundes auch als "seinen Beitrag zur Ernährung von Kleinstlebewesen" bezeichnen, aber es bleibt ein Haufen Scheiße." Wieder stieß Sanchez sein seehundartiges Lachen aus. "Ich wusste gar nicht, dass Sie so viel Humor besitzen, Castillo." Dann wurde er ernst. "Kommen wir zum Geschäft!""Zuerst wollen wir Garantien haben," sagte Rico mit fester Stimme. "Die Gewissheit, dass die Geiseln..." Weiter kam er nicht, denn die Schüsse aus der Mach 10 ließen den Dreck unmittelbar vor seinen Füßen aufspritzen. Entsetzt sprang er zurück. "Verdammt, Mann, Sie wollen doch was von uns!," rief er."Und Sie wollen Ihren Sohn kennen lernen! Und jetzt hören Sie zu!" Sanchez richtete seine Waffe auf Rico. Sie hörten das metallische Klicken weiterer Waffen, die entsichert wurden und ihnen war klar, dass es besser war kein Risiko einzugehen. Sanchez erklärte: "Es geht um eine Tonne hübsches, weißes Pulver, die Sie für uns nach Florida bringen werden. Wir teilen Ihnen noch mit, wo Sie die Ware übernehmen, wann Sie sie in Empfang nehmen und wohin Sie die Ware bringen werden. Wenn die restlichen Vorbereitungen getrofen wurden, rufe ich Sie an, Crockett." Er wandte sich an Castillo. "Sie werden Ihre Beziehungen spielen lassen, Castillo. Sorgen Sie dafür, dass morgen früh im Herald ein Artikel über Ihre vier auf tragische Weise vor drei Tagen in Kolumbien ums Leben gekommene Brüder erscheint. Ihr Name muss darin vermerkt sein. Nachdem alles erledigt ist, erfahren Sie, wo die Geiseln sind." Sonny wagte einen weiteren Vorstoß. Er misstraute Sanchez und jedem anderen in dieser Organisation. Geiselnehmer verwehrten normalerweise nur dann ein Lebenszeichen von ihrer Geisel, wenn diese bereits tot war. "Bei einer solchen Menge verhandeln wir nicht mit einem Boten," sagte er und machte unbedacht einen Schritt nach vorne. Im gleichen Moment feuerte Sanchez. Dieses Mal spritzte vor Sonny der Dreck auf. Er sprang rückwärts, halb gezogen von Castillo, der seinen Arm gepackt hatte."Das war die falsche Antwort!," knurrte Sanchez. "Mal sehen, welche Geisel dafür bezahlen muss. - Und jetzt verschwinden Sie!" IM NÄCHSTEN KAPITEL: IRGENDWO IM NIRGENDWO TEIL 3
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18. IRGENDWO IM NIRGENDWO Teil 3 Dienstag, 2. April Sie hatten sich jeder mehrere Schlücke Wasser gegönnt und eine neue Kekspackung geöffnet, die sie herumgehen ließen, bis sie leer war. Von diesen Keksen würden die Krabbeltiere nichts abbekommen, aber die hatten ganz offensichtlich noch genug mit den Keksen in der anderen Tüte zu tun. Dann machten sie es sich, so weit das möglich war, auf den Matratzen bequem. Sehen konnten sie nichts mehr, denn die Dunkelheit war inzwischen komplett hereingebrochen. Sie unterhielten sich. Abhisit wollte, dass Trudy ihm alles über seinen Vater erzählte, was sie wusste. Nachdem er neunzehn Jahre lang geglaubt hatte, sein Vater wäre kurz vor seiner Geburt gestorben, saugte er jetzt jede Information über ihn auf wie ein ausgetrockneter Schwamm das Wasser. Trudy wusste viel zu erzählen, auch wenn eigentlich nichts persönliches dabei war. Castillo hatte stets sehr zurückgezogen gelebt und so gut wie nichts über sein privatleben verlauten lassen. "Das klingt, als wärt ihr damals ein tolles Team gewesen," sagte Alessio irgendwann. "Ja, das waren wir," sagte Trudy und lächelte still vor sich hin, als sie daran dachte wie es damals gewesen war. "Wir konnten uns immer aufeinander verlassen und Castillo war ein Boss, der uns nie hängen ließ. Sonny Crockett und Rico Tubbs wollten laufend, dass wir ihnen irgendwelche Dinge besorgen, kopieren oder in Erfahrung bringen..." Sie lachte leise. "Immer hieß es: Ich mach´s wieder gut. Wäre Tubbs für jeden Gefallen, um den er mich gebeten hatte, mit mir essen egangen, hätte ich mindestens ein Jahr lang jeden Abend in einem Restaurant verbringen können." Einen Moment lang war es still. Schließlich sagte Abhisit im Brusston der Überzeugung: "Dann holen mein Vater ud Billys Vater uns auch hier raus."Und Billy antwortete: "Worauf du deinen Arsch verwetten kannst!" Irgendwann schliefen sie ein. Die Arbit in der Hitze, das verzweifelte Bearbeiten des harten Bodens und der Mangel an Wasser und vernünftiger Nahrung machten müde. Dazu kamen die Geräusche des Dschungels, die eine fast hypnotische Wirkung hatten. Als die ersten Sonnenstrahlen sich über den Horizont tasteten und ihr Licht durch das dichte Blätterdach sandten, huschte eine Maus heran, angelockt durch den Duft der Kekse in der offenen Tüte. Sie fand das Loch, sauste in die Hütte und verharrte kurz. Dann sprang sie an Alessio vorbei, um dessen, Abhisits und Trudys Füße herum in die Tüte. Ein anderer hungriger Geselle war jedoch bereits der Maus auf der Spur: Eine Kupferkopf schlängelte auf die Hütte zu. Auch sie fand das Loch im Boden und kroch ins Innere. Dort verharrte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Ihre Zunge schoss wieder und wieder aus dem Maul. Zielsicher kroch sie dann weiter, vorbei an Abhisits Kopf zu seiner rechten Schulter. Kurz streifte sie seinen Oberarm, aber Abhisit seufzte nur. Die Schlange hielt sich weiter rechts, denn auf Trudys rechter Seite lag die Kekstüte auf dem Boden, in der sich die Maus den Bauch vollschlug. Die Schlange kroch auf Trudys linkes Bein zu. Sie verharrte. Ihre gespaltene Zunge fuhr aus dem Maul. Ein Mal, zwei Mal... Trudy erwachte. Sie wusste nicht genau warum, aber ihr Herz schlug ziemlich schnell, obwohl sie keinen Albtraum gehabt hatte.Sie spürte etwas an ihrer linken Hand. Etwas streifte sie. Etwas, dass sich bewegte. Trudy öffnete die Augen. Sie hatte das gesicht nach rechts gewandt und das erste, was sie sah, wadie sich heftig bewegende Kekstüte. Käfer waren das nicht! Wieder streifte etwas ihre Hand, dann hörte sie ein leises zischen.Eine Schlange!, schoss es ihr durch den Kopf.Trudy hasste Schlangen und wenn sie eine sah, konnte sie nciht mehr klar denken. Mit einem Schrei schoss sie hoch, aber die plötzliche Hektik, die Bwegung ihrer Beine wirkte offensichtlich bedrohlich auf das Reptil. Kurz unterhalb des linken Knies biss die Kupferkopf zu. Trudy stieß einen weiteren Schrei aus, aber Abhisit war bereits bei ihrem ersten Schrei hochgefahren. Er hatte die Situation zwar sofort richtig erkannt und zugegriffen, aber zu spät, um den Biss zu verhindern.Jetzt kniete er neben Trudy. Seine rechte Hand hatte die Schlange kurz hinter dem Kopf gepackt. Trudy keuchte, den Blick starr auf das Reptil gerichtet. Ihre Hände umklammerten die Bissstelle. "Nimm sie weg! Oh, bitte, Sit, nimm sie weg! Ich hasse Schlangen! Ich habe Angst vor ihnen!" Abhisit erhob sich sofort und entfernte sich ein Stück vom Lager, während Alessio nach einem Blick auf die Schlange sagte: "Gib mir deinen Gürtel, Billy, ich muss das Bein abbinden." Billy zog den Gürtel heraus, den Alessio sofort um Trudys Oberschenkel schnallte."Sie ist giftig, oder?," fragte Trudy mit zittriger Stimme."Sie hat Giftzähne, aber du weißt, dass nicht jedes Gift für Menschen gefährlich ist," entgegnete Alessio, aber er sah Trudy nicht an. Die Bissstelle rötete sich bereits und Trudy konnte zusehen, wie das Bein anschwoll. Der Schmerz breitete sich aus, floss wie zähe Lava bis hinunter zu ihren Zehen und hinauf zur Leiste. Alessio war sehr besorgt, hoffte aber, dass Trudy es nicht merkte. Seit er ein Junge war hatten ihn Schlangen fasziniert. Er besaß etliche Bücher über die Reptilien und er hatte sich mehrmals ein Terrarium gewünscht, aber seine Oma hasste Schlangen ebenso sehr wie Trudy. "Les, ist sie gefährlich für Menschen?," wollte Trudy wissen. Alesio konnte sie nicht täuschen. Dass er sie nicht ansah zeigte, dass er etwas verheimlichte.Sie blickte schuadernd zu Abhisit hinüber, der die Schlange immer noch festhielt. Der Schmerz wurde immer schlimmer und der Gürtel schnitt ins Fleisch. Trudy wurde wütend. "Verdammt, Les, sag´s mir!," schrie sie. "Ich will´s wissen! Krepiere ich an dem Biss, oder nicht?" Alessio holte tief Luft. "Das Gift wirkt hämolytisch...," begann er."Drück dich - gefälligst so aus, dass - ich dich verstehe," ächzte Trudy. Der Schweiß brach ihr aus und das Blut rauschte in ihren Ohren. "Das Gift enthält ein Enzym, dass eine Veränderung der Blutgerinnungsvorstufe Fibrinogen bewirkt," erklärte Alessio. "Das heißt, das Blut gerinnt bei Verletzungen schlechter. Es kann außerdem sein, dass dir übel wird und du dich übergeben musst." Er verschwieg ihr, dass sie auch Durchfall bekommen konnte und eventuell der Blutdruck stark abfiel. Hier draußen konnten all diese Symptome relativ schnell zum Tod führen. "Da kommt ein Fahrzeug!," sagte Billy plötzlich."Dann sollten wir uns etwas einfallen lassen, denn es wäre verdammt gut, wenn Trudy schnell in ein Krankenhaus käme," meinte Alessio."Und ich habe eine Idee," erklärte Abhisit. IM NÄCHSTEN KAPITEL: BESPRECHUNG BEI CASTILLO
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19. BESPRECHUNG BEI CASTILLO Montag, 1.AprilDer Rückweg zu den Wagen war fast beängsitigend. Die Männer am Anfang der staubigen Straße hatten den Explorer gedreht, sodass seine Scheinwerfer die drei Männer blendeten. Ein weiteres Fahrzeug war unbemerkt dazugekommen, während Rico, Sonny und Castillo mit Sanchez redeten. Auch seine Scheinwerfer waren eingeschaltet, sodass sie Licht hatten, aber denoch kaum etwas sehen konnten.Der Vollmond leuchtete und der Wind schob die Wolken so schnell voran, dass der Mond hervorkam und verschwand, als wollte er Lichtzeichen geben. Irgendwo schrie ein Vogel.In den Sträuchern raschelten und fiepten die Ratten, die sich im Schutz der Dunkelheit vermehrt hatten. Wie Zuschauer in einem alten, römischen Theater, die auf die Hinrichtung irgendwelcher armer Schweine durch die hungrigen Löwen warten, schoss es Rico durch den Kopf. Das trockene Laub raschelte unter ihren Füßen, der Wind fuhr ihnen über die Gesichter, aber er war warm und nicht unbedingt angenehm. Sie schielten nur nach rechts und links, aber die Männer in den heruntergekommenen Häusern ahnten sie mehr, als dass sie jemanden sahen. In zwei Fenstern glomm die Glut einer Zigarette auf, in einem anderen klackte ein Sturmfeuerzeug und im Schein der Flamme, mit der der Mann seine Zigarette anzündete, sahen sie die Silhouette eines bärtigen Gesichts. Tabakgeruch wehte herüber. Sonny fragte sich, wo sein Fehler gewesen war, während er mit sehr mulmigem Gefühl auf die Scheinwerfer der beiden Fahrzeuge zu marschierte. War es der Hinweis gewesen, dass sie nicht mit einem Boten verhandeln wollten? Die Masche hatten er und Rico früher oft benutzt, um eventuell näher an einen dicken Fisch heranzukommen. Er konnte nicht leugnen, dass es auch damals oft brenzlig geworden war, weil manche der Boten diesen Hinweis als persönliche Beleidigung betrachtet hatten, aber er glaubte nicht, dass Sanchez beleidigt war.Möglicherweise war es falsch gewesen einen Schritt auf Sanchez zuzugehen. Er könnte dies als versuchten Angriff gewertet haben. Aber vielleicht gefiel es Sanchez auch ihm jetzt Kopfzerbrechen zu bereiten. Er hatte eine vage Drohung ausgesprochen und Sonny machte sich Gedanken. Er hoffte nur, dass es wirklich nur eine leere Drohung gewesen war und die Geiseln jetzt nicht unter seiner Unbedachtheit - oder was auch immer - leiden mussten. "Bei mir," murmelte Castillo, als sie noch etwa fünfzig Meter von den Fahrzeugen entfernt waren."OK," antwortete Rico nur."Ja," sagte Sonny. Die Männer lehnten an dem Explorer und dem anderen Wagen, der sich als schwarzer Van entpuppte. Sie hielten die Knarren lässig Richtung Boden gerichtet, zwei rauchten, keiner sprach. Sie starrten Rico, Sonny und Castillo nur durch die Schlitze ihrer Sturmhauben an, rührten sich aber nicht, als Castillo in den Ford und Rico und Sonny in die Corvette stiegen. Rico tastete die Corvette auf seiner Seite sofort nach einer Wanze ab und fand tatsächlich eine zwischen Beifahrersitz und Mittelkonsole. "Nicht besonders klug," knurrte er, entfernte sie, kratzte mit grimmigem Grinsen mit dem Daumennagel darüber und warf sie dann aus dem Fenster. Er hoffte, dass nun irgendjemandem fürchterlich die Ohren schmerzten. Castillo fuhr vor, Sonny folgte ihm. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte, dass ihnen niemand folgte."Was habe ich falsch gemacht, Rico?," fragte Sonny unterwegs."Gar nichts," erwiderte Rico. "Ich denke, Sanchez ist einfach nur nervös. Ich meine - eine Tonne Kokain!""Und sie haben anscheinend alles bereits genau geplant," grummelte Sonny. Auf den Straßen war noch eine Menge los. Mehrere dahinzockelnde Fahrzeuge bremsten Sonny aus, überholen war unmöglich, weil auf der Gegenfahrbahn auch eine ganze Kolonne kam. "Hast du eigentlich Caroline angerufen?," wollte Rico wissen.Sonny fuhr in Schlangenlinien hinter den Wagen her. Er war genervt, wartete auf eine Lücke zum Überholen."Nein," gestand er, setzte den Blinker, gab Gas und raste an der Kolonne vorbei auf die Scheinwerfer eines Trucks zu, der ihnen entgegen kam.Rico stöhnte auf und schloss die Augen, der Truckfahrer drückte empört auf die Hupe, dann auf die Bremse, die protestierend aufkreischte.Als Rico die Augen wieder öffnete, scherte Sonny haarscharf vor dem Truck auf seine Fahrbahn ein. Rico atmete auf. "Warum nicht?," fragte er dann tief Luft holend. Sonny raste mehrere Minuten lang die Straße entlang, ohne zu antworten. "Was soll ich ihr denn sagen?," fragte er dann. "Billy hat ihr - uns - ziemlich lange große Probleme bereitet. Er kam mit seinem Halbbruder viel schlechter zurecht, als Caroline gedacht hatte. Er wurde bockig, aufsässig und aggressiv.Irgendwann rief sie mich an. Ich kehrte von den Bahamas zurück und suchte mir einen Job in Atlanta." Sonny stöhnte auf und fuhr sich mit der rechten Hand durch die Haare. "Ich darf nicht an die Zeit damals denken. Ich dachte, er kriegt die Kurve nie. Ich dachte wirklich, er landet im Gefängnis. Caroline wurde in dieser Zeit beinahe verückt. Was,denkst du, wird passieren, wenn ich ihr erzähle, dass Billy entführt wurde, ich aber keinen Schimmer habe, ob es ihm gut geht?"Sonny schüttelte den Kopf. Er bog in die Straße ein, in der Castillo wohnte, und bremste den Wagen, als eine Katze von rechts nach links über die Fahrbahn eilte. Castillo hatte die Tür einen Spalt offen gelassen. "Kommen Sie rein!," rief er.Drinnen sah es genauso aus, wie Rico es in Erinnerung hatte. Nur das goße Foto von Mai Ying hatte es damals noch nicht gegeben. Auf dem Tisch standen Gläser und verschiedene Getränke. Castillo bat sie sich zu setzen und bot ihnen Getränke an. Sonny nahm ein Bier, Rico begnügte sich mit Mineralwasser."Die haben ihre Hausaufgaben gut gemacht," sagte Castillo. Auch er trank Mineralwassser. "Sie wissen, dass ein alter Freund von mir, Graham Foster, beim Herald arbeitet. Wir kennen uns bereits seit meiner Zeit in Saigon. Ich habe ihn bereits angerufen. Der Artikel erscheint morgen früh." Rico blickte hinaus auf das Meer, das im Licht des Mondes aussah wie schwarze Tinte. Er drehte das Glas in den Hände, aber er bemerkte es nicht. "Mir missfällt, dass sie uns nicht mit den Geiseln reden lassen..." Er blickte seinen ehemaligen Boss an. "Und ich denke, dass sie, falls sie am Leben sind, in den Everglades gefangen gehalten werden."Castillo nickte. "Das denke ich auch. EL GRANDE MAGO. Weiß jemand etwas über ihn?" Sonny erzählte, was er über den Zauberer wusste. Das war zwar nicht besonders viel, aber der Hauptorientierungspunkt war sowieso Domenico Franco. Über den gab es eine dicke Akte, die Stan besorgen konnte. Außerdem, so erklärte Sonny, würde einer seiner besten Undercover - Agenten, Angelo Crispi, versuchen in die Organisation zu gelangen. Seine Chancen, meinte Sonny, stünden nicht schlecht, weil er zwei Jungs kannte, die Franco bereits angeheuert hatte. Deren Namen waren Sonny aber leider entfallen. Als er sich mit Angelo in JIMMY JOHN´S GOURMET SANDWICH SHOP getroffen hatte, konnte er schließlich nicht ahnen, wie wichtig und persönlich die ganze Sache für ihn sein würde. "Was mich erstaunt ist, dass Franco nur diese beiden Jungs auswählte, obwohl die Gang EL DORADO LA FLECHA* zwanzig oder dreißig Mitglieder hat. Warum?," fragte Sonny. Ehe jemand antworten konnte, wählte er bereits Angelos Handynummer. Er hatte Glück, dass Angelo frei sprechen konnte, um ihm die wichtigsten Neuigkeiten in Stichpunkten mitzuteilen. "Die Jungs heißen Ramon Gracciano und Kevin Bailey," erklärte Sonny, nachdem er das Gespräch beendet hatte. "Und so, wie es aussieht, ist Angelo drin." Wenig später gab Rico die Namen der beiden Männer telefonisch an Stan weiter und bat ihn dann in Castillos Namen um eine kleine, unauffällige Wanze, die Castillo an einem der Särge befestigen wollte. Stan versprach sich sofort um alles zu kümmern. Rico lächelte. Es freute ihn wirklich für Stan, dass er wieder obenauf war.Damals, 1994, hätte er keinen Pfifferling mehr für Stan gegeben. Er war so weit im Glücksspiel - und Schuldensumpf versunken, dass Rico und Trudy, die ihm zur Seite stand, befürchteten, ihn nicht rausziehen zu können. Dass er nicht aus dem Polizeidienst geflogen war, verdankte Stan damals wiederum nur Castillos tatkräftigem Einsatz. Castillo holte Rico aus seinen Gedanken. "Da Sanchez darauf bestand, dass der Artikel morgen früh erscheint, gehe ich davon aus, dass die Särge irgendwann im Laufe des morgigen Tages eintreffen.""Uns werden sie Boote geben," vermutete Sonny. "Vielleicht morgen, vielleicht erst übermorgen.""Je eher, desto besser," stieß Rico hervor."Du sagst es," stimmte Sonny zu, nicht ahnend, dass ihn eine große Überraschung erwartete. * Die goldenen PfeileIM NÄCHSTEN KAPITEL: ERSTE HINWEISE
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20. ERSTE HINWEISE Montagnachmittag -MontagabendMan hatte einen sehr ruhig wirkenden Knight in einen Verhörraum gebracht. Er saß an dem Tisch mit der bleistiftgrauen Resopalplatte, über sich die kalte Neonbeleuchtung, und starrte auf die Kratzer. Jeder einzelne konnte die Geschichte eines Verhörs erzählen. Von kaltschnäuzigen Verbrechern, die aus Habgier oder Wut oder gegen Geld töteten, aber auch von den Junkies, denen es nur um die Finanzierung des nächstesn Schusses ging.Immer hatte er auf der anderen Seite des Tisches gesessen. Mit dem Rücken zu der Wand, durch die man die Verbrecher von der anderen Seite beobachten konnte. Dort nahm jetzt der glatzköpfige, schwergewichtige und kurzatmige Commissioner Henderson Platz. Eine Wolke aus kaltem Rauch und Pfefferminze stob zu Knight herüber. Henderson war Raucher, aber im Gebäude war rauchen verboten. Deshalb aß er Unmengen von Pfefferminzdrops. Auch jetzt zückte er seine Packung Tic - Tac, schüttelte mehrere der Drops heraus und warf sie in den Mund. Stan, in sandfarbenen Hosen und einem Hawaii - Hemd Marke "Magnum", stand mit verschränkten Armen neben der Tür, als befürchtete er, Knight könnte davonrennen.Er hatte erst vor etwa zehn Minuten erfahren, dass Castillos Vorschlag angenommen wurde. Der neue, wenn auch nur kommissarische, Lieutenant von Miami Vice hieß Stan Switek. Deshalb fand das Verhör auch jetzt erst statt. Henderson starrte Knight an, Knight starrte zurück. Er saß so aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt. Die Luft schien vor Spannung zu knistern. Henderson legte die Anrufliste von Trudys Handy auf den Tisch."Sie riefen gestern morgen Detective Joplin an und beorderten sie zu dem alten Lagerhaus Rosario Drive 1045," sagte er und drehte die Liste um, damit Knight einen Blick darauf werfen konnte, was er nicht tat. "Nein, das tat ich nicht," behauptete er stattdessen. "Ich habe mein Handy am Freitag verloren. VIelleicht wurde es auch gestohlen!"Er verschränkte die Arme und blickte in offener Feindseligkeit zu Stan hinüber. Er wusste, er war unbeliebt und er wusste, dass Stan nicht zum Lieutenant ernannt worden wäre, solange er diess Amt inne hatte. Stan spürte Zorn aufkommen. In seinen Eingeweiden brodelte es wie in einem Teekessel, aber er war fest entschlossen sich nicht aus der Reserve locken zu lassen. Knight hätte es gefreut, wenn man dem neuen Lieutenant gleich mangelnde Disziplin vorgeworfen hätte.Er entknotete seine Arme, rammte die Hände in seine Hosentaschen und ballte sie dort zu Fäusten.Allein für den Gedanken, dass er oder irgendein anderes Mitglied des Vice - Teams Trudy irgendwas antun könnte, sollte man Knight wegsperren.Wie schade, dass Alcatraz kein Gefängnis mehr war! Henderson begann ungeduldig mit seinen Wurstfingern auf der Tischplatte herumzutrommeln. Er könnte jetzt schon zu Hause sein, wo seine Frau ihm für heute Steaks, Salat und Folienkartoffel mit saurer Sahne versprochen hatte. Stattdessen saß er hier und schlug sich mit Knight herum."Ihr Handy wurde in Ihrer Tasche gefunden. Wie erklären Sie sich das?"Knight zuckte die Achseln. "Jemand wird es wohl dorthin gesteckt haben, um mich zu belasten." Es klopfte, dann steckte Ramona den Kopf zur Tür herein. "Der Untersuchungsbericht für das Handy liegt vor. Es wurden nur Lieutenant Knights Abdrücke darauf gefunden." Sie schloss die Tür. Es war plötzlich so still, dass das dezente Geräusch der Klimaanlage überlaut klang. Henderson verabreichte sich eine weitere Pfefferminzdröhnung und Stan starrte Knight an, der vor seinen Augen zu schrumpfen schien. "Es ist...total verrückt," stotterte er schließlich. "Ich... ich habe..." Er fing sich, atmete mehrmals tief durch. Er straffte sich wieder und erklärte mit fester Stimme: "Ich habe Detective Joplin nicht angerufen, ganz gleich, was der Computer sagt oder diese Liste oder das Labor. Ich weiß nicht, was passiert ist und ich habe keine Ahnung, worum es geht.""Und woher wussten Sie, dass Castillo gekommen war, weil er um Hilfe in einem Entführungsfall bitten wollte?," fragte Stan.Knight fuchtelte mit seinen Armen herum. Es sah aus, als dirigierte er ein unsichtbares Orchester. "Ich hörte es, als er es Ihnen allen sagte!" Für Henderson war die Sache klar und er erklärte, Knight wäre suspendiert, bis die Beweislage - und der ganze Fall - abgeschlossen waren. Er hatte es eilig. Die Steaks lockten. Allein der Gedanke an das köstliche, medium gebatene Fleisch ließ ihn beinah sabbern. Mit Stan zusammen verließ er den Verhörraum, gratulierte ihm mit einem etwas schwabbelig - feuchten Händedruck zur Beförderung und eilte davon. Noch bevor er um die Ecke verschwand klang er wie eine altersschwache Dampflok kurz vor dem Zusammenbruch. Stan kehrte nachdenklich ins Büro zurück. Sharon wünschte gerade einen schönen Abend, ehe sie, ihn freundlich anlächelnd, an ihm vorbei nach Hause ging. Angela schaltete gerade den Computer aus und Ramona sortierte ein paar Papiere auf ihrem Schreibtisch.Damian war auch wieder da. Er saß an seinem Schreibtisch und umklammerte mit beiden Händen seine SIMPLY THE BEST Tasse, in der frischer Kaffee dampfte. Er starrte Löcher in die Luft, war unrasiert und hatte dicke Ringe unter den Augen. Er sah nicht aus, als hätte er geschlafen."Gibt es was Neues?," fragte er hoffnungsvoll, aber Stan schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Ich bin jetzt kommissarisch der neue Lieutenant.""Herzlichen Glückwunsch," sagt Damian ehrlich und trank einen Schluck von dem höllisch starken Gebräu in der Hoffnung, es hielte ihn wach. Wenn er die Augen schloss, gaukelte seine Fantasie ihm die schrecklichsten Bilder vor. Er hatte zu viele Dinge gesehen in seiner Laufbahn als Polizist und wusste, zu was Menschen fähig waren. Deswegen konnte er jetzt nicht schlafen."Danke," meinte Stan. Er begann seinen Schreibtisch auszuräumen, legte die INhalte der Schubladen in einen Karton. Auf seinem Schreibtisch stand neben dem Foto des King nun auch eins von Gianna, einer hübschen Italienerin mit nachtschwarzen Locken, schokoladenbraunen Augen und einem kleinen Muttermal rechts neben ihrem hübschen Mund. Ein anderes Foto zeigte Samuel Laurence, 6 Jahre alt. Er war ein blonder Junge mit Mamas dunklen Augen und einem ansteckenden Lachen. Das Foto von Fiona war vor wenigen Monaten an ihrem ersten Geburtstag aufgenommen worden. Sie hatte einen dunkelen Lockenkopf und fast schwarze Augen. "Die Sache gefällt mir nicht, Dam," gestand Stan, als er fast fertig war mit packen. Ramona und Angela verließen gerade zusammen das Büro und es wurde recht ruhig."Denkst du, mir?," schnaubte Damian."Ich meine, niemand benutzt sein Handy, um jemanden in eine Falle zu locken und steckt das Beweisstück wieder ein," fuhr Stan fort. Gina kehrte zurück. Sie hatte Kuchen besorgt, den sie nun anbot. "ich möchte, dass ihr zu Rachel Andersons letzter Adresse fahrt," sagte Stan.Sofort sprang Damian auf und verließ mit Gina das Büro. Unterwegs ließ er sich über Knight aus und ersann einige hässliche Dinge, die er mit ihm anstellen wollte, wenn Trudy etwas zustieß. Gina seufzte. "Du bist ein viel zu rechtsbewusster Mann, um so etwas zu tun."Damian lächelte kurz. "Es tut aber verdammt gut sich das vorzustellen," antwortete er. Rachel Andersons Unterkunft war ein schäbiges Motel mit abgeschabten Teppichen, die auf einem stumpfen, fleckigen Boden lagen. Von den Wänden blätterte der Putz, der irgendwann sicher weiß gewesen, jetzt aber gelblich - grau war. In den alten Kronleuchtern funktionierten nicht alle Glühlampen. Das war gut, denn so sah man den Staub und die Spinnweben nicht. In der Luft hing ein Geruch aus Schweiß, billigem Parfüm, Staub, Mottenkugeln und diversen Speisen. Der Empfangstresen war mit Kratzern, Kerben und Flecken übersät. Die Rezeptionstin passte ziemlich genau dazu. Sie wr sehr groß für eine Frau, sicher eins - achtzig und sie mochte zwischen vierzig und fünfzig sein. So genau ließ sich das durch den zentimeterdicken Belag aus Schminke nicht feststellen. Ihr kurzes, wild gestyltes Haar war schwarz gefärbt, aber der helle Ansatz kam bereits wieder durch. Sie trug ein eng anliegendes Kleid in babyrosa mit einem beinah beängstigend wirkenden Dekolleté, aus dem der Inhalt herauszufallen drohte.Damian hoffte, dass sie entweder schön flach atmete, oder die Nähte des Kleides sehr haltbar waren.Er zückte gleich seinen Ausweis, damit die Dame nicht auf dumme Ideen kam. In diesem Motel hätte er nicht mal ein Zimmer haben wollen, wenn es das einzige in ganz Florida gewesen wäre.Ihr berufliches Interesse wich Erstaunen. "Polizei? "Wir suchen Rachel Anderson," sagte Gina. "Im Polizeicomputer steht dieses Motel als ihre Adresse.""Ja, sie hat hier gewohnt," antwortete die Frau gelangweilt. "Heute morgen tauchte sie auf, bezahlte die letzte ausstehende Miete und zog aus.""Sagte sie Ihnen wo sie hin wollte?," fragte Damian.Die Frau beugte sich vor. Sie hievte ihre Oberweite halb auf den Tresen und kam Damian so nah, dass er das süße, schwere Parfüm roch und die Alkoholfahne."Süßer," sagte sie. "Ich frage die Mädels nicht, wohin sie gehen. Wenn sie bezahlt haben, ist es mir nämlich egal.""Danke." Damian trat einen Schritt zurück. Gina telefonierte bereits. Die Spurensicherung sollte sich das Zimmer vornehmen in der Hoffnung, dass Rachel Besuch von einem Mitarbeiter des Zauberers gehabt hatte. Sie reichte der Frau ein Kärtchen mit einer Nummer darauf. "Sollte Rachel auftauchen, dann rufen Sie mich an.""Sicher," meinte die Frau, aber Gina wusste, dass sie es wahrscheinlich nicht tat. Viele der Frauen, die hier wohnten, standen unter dem "Schutz" eines Zuhälters und die waren bekanntlich nicht zimperlich. Gina und Damian fuhren ins Büro zurück. Unterwegs piepste Ginas Handy. Stan hatte ihr eine SMS geschickt. DAS IST RACHEL, stand da und dazu gab es ein Phantombild, das sie Damian zeigte."Na, dann wollen wir mal die Augen offen halten," knurrteDamian, aber sie entdeckten die Frau - natürlich - nirgendwo. Sie erzählten Stan von dem Misserfolg, aber er fragte: "Das war zu erwarten, oder? Nur der Fernseh - Kommissar löst seine Fälle in 45 Minuten."Gina sank auf ihren Schreibtischstuhl, nahm ein Teilchen und meinte: "Vielleicht findet ja das CSI was in dem Motelzimmer." Stan berichtete seinem Team, Ben trudelte auch gerade ein, dass Rico, Sonny und Castillo an diesem Abend eine Verabredung mit EL GRADE MAGO´s Leuten in den Florida Villas gehabt und sich melden wollten. "EL GRANDE MAGO," sagte Gina, biss in ihr Teilchen und blickte hinaus auf die Lichter der Stadt. "Ein- vermutlich - reicher Krimineller. Einflussreich. Er kennt Sanchez, der für die Calderones gearbeitet hat." Gina sah Stan an. "Hat eigentlich irgendwann mal jemand überprüft, wie groß der Calderone - Clan ist?"Stan zuckte die Achseln. "Keine Ahnung. Ich erinnere mich daran, dass Orlando, der Sohn, einen Cousin besaß, der aber tot ist. Wo ein Cousin ist, muss es irgendwo einen Onkel und eine Tante geben."Damian, der auf der Kante seines Schreibtischs hockte wie ein mittelalterlicher Wasserspeier, fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das Haar. Bisher war er stolz darau gewesen, dass nicht ein graues Haar dabei war, aber in den letzten 36 Stunden hatten einige Haare ihre Farbe verloren. "Du denkst, ein Calderone steckt dahinter?"Er sprang auf, rannte zum Fenster, sah hinaus und drehte sich dann um. "Das hieß, dass es eigentlich um Tubbs geht. Dass es persönlich...!" "Stop!," rief Gina. Sie merkte, dass Damian sich wieder in seine Wut redete. Unterstützend hob sie die rechte Hand, Damian sah sie an. Wut und Empörung glommen in seinen fast schwarzen Augen."Du verrennst dich, Dam! Die Sache betrifft nicht nur Rico. Calderone war nur so ein Gedanke wegen Sanchez. Aber seine Verbindung zu ihnen hat mit dieser Sache vielleicht gar nichts zu tun." Einen Moment lang war es still im Raum. Die aufheulende Schubumkehr eines Flugzeuges war zu hören und vermische sich mit dem Jaulen mehrerer davonrasender Einsatzwagen. "Lassen wir die Calderones mal außen vor," sagte Stan und nahm sich ein weiteres Teilchen. In diesem Moment klingelte sein Handy. Es war Rico, der von dem Treffen in den Villas berichtete, um die Wanze für den Sarg und um die Überprüfung von Franco, Gracciano und Bailey bat. Stan legte auf und erklärte: "Sie sollen eine Tonne Kokain nach Florida bringen.""Eine Tonne!," entuhr es Gina und auch Damian und Ben sahen Stan an, als zweifelten sie an dessen Verstand. Stan wiederholte, was Rico ihm erzählt hatte."Wir haben drei weitere Namen," schloss er. "Domenico Franco aus West Palm Beach, der wohl ein guter Freund des Zauberes ist. Die anderen beiden heißen Ramon Gracciano und Kevin Bailey."Nachdem sein Telefon erneut geklingelt und er ein kurzes Gespräch geführt hatte, sagte er grinsend: "Und mein alter Freund Howie Wong hatte kürzlich ein Date mit Rachel Anderson." Stan dachte an den Asiaten, der ein gut gehendes Restaurant geführt hatte, bis er bei Lao Li´s Enkeln 50 kg China weiß bestellte. Es kostete ihn seine Lizenz und brachte ihm 15 Jahre Gefägnis. "Dann haben wir schon eine Menge Namen," freute sich Ben.Damian, der immer noch am Fenster stand, verschränkte die Arme und schlug das rechte Bein locker vor das linke. "Was verbindet diese Männer? Es muss eine Gemeinsamkeit geben."Gina rückte näher an ihren Schreibtisch und strich eine Locke hinter das rechte Ohr. "Dann sollten wir mal anfangen danach zu suchen!" IM NÄCHSTEN KAPITEL: EIN ALTER BEKANNTER
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21. EIN ALTER BEKANNTERRico und Sonny fuhren zurück zum Motel. Eine Menge Nachtschwärmer waren unterwegs, die meisten vermutlich Touristen aus dem In - und Ausland. Sie bevölkerten die Gehsteige und die Tische der Cafés entlang der Promenade. Überall waren die Neon - Ungeheuer erwacht und versuchten die Leut in diese oder jene Show oder ein Geschäft zu locken.Mehrere Nutten, deren Kleidung kaum umfangreicher war als zwei aneinandergenähte Herrentaschentücher, gingen auf Kundenfang. Eine geriet mit einer gut gekleideten Frau aneinander, weil sie deren Ehemann offensichtlich frech ein Angebot unterbreitete.Ein Streifenwagen mit wild rotierendem Blinklicht und jaulendem Martinshorn raste vorbei. Rico betrachtete sich schweigend die Stadt, die fünf Jahre lang sein Zuhause gewesen war. Im Radio sang Mando Diao "Dance with somebody".Rico war angespannt. Seine Muskeln schienen wie erstarrt zu sein und alle Nerven vibrierten. Wo waren die Geiseln nur? Er war es leid untätig zu sein. Er hatte genug davon wie eine Marionette nach dem Willen anderer zu tanzen. Er wollte das Leben der Geiseln nicht gefährden, aber er wollte endlich etwas tun! Sonny war nicht weniger ungeduldig. Im Allgemeinen besaß er ein viel aufbrausenderes Temperament als Rico, aber auch, wenn er es nicht offen aussprechen wollte - er hatte Angst! Viel zu oft hatte er die berechtigten Vorwürfe von Caroline gehört: "Wo warst du, als Billy dich brauchte?"Er war immer beschäftigt gewesen: Mit Drogenhändlern, Waffenschiebern, Menschenhändlern und anderem Gesindel.Wenn Billy etwas zustieß, würde Caroline ihn wieder fragen. Er sah die Verzweiflung in ihren blauen Augen förmlich vor sich und hörte den Vorwurf, der nie mehr verstummen würde, wenn Billy starb. "Sie sind irgendwo in den Everglades," murmelte Rico und holte Sonny aus seinen Gedanken. "Es muss eine Möglichkeit geben...""Vergiss es!," fuhr Sonny ihn an. "Zwölftausend Quadratkilometer Sumpfland und Dschungel, mein Freund. Wo willst du anfangen zu suchen? Da draußen findest du dich nicht mal selbst wieder, wenn du verloren gehst.""Witzig!," brummte Rico. Sonny bremste vor einer roten Ampel. Neben ihm kam ein Porsche zum stehen. Im Schein der Laternen sah Sonny, dass der ältere Asiate am Steuer herübersah und provozierend grinste, wobei er aufs Gas trat, damit der Motor aufheulte. Einen Moment lang dachte Sonny, dass ihm das Gesicht bekannt vorkam, aber dann ignorierte er ihn, sagte stattdessen zu Rico: "Sie werden uns anrufen und wir müssen erreichbar sein. Ich riskiere nicht das Leben meines Sohnes." Wie ein Schulmeister hob er den rechten Zeigefinger. "Und erzähl mir nicht, dass dein Sohn auch da draußen ist. Zwischen Billy und Alessio gibt es einen himmelweiten Unterschied." Die Ampel sprang um, und obwohl Sonny eigentlich kein Rennen gegen den Porsche fahren wollte, legte er einen Kavaliersstart hin. Die Reifen quietschten, als die Corvette davonschoss - und der erstaunte Asiate nur die Rücklichter zu sehen bekam. Rico schnaubte wütend. Die letzten sechsunddreißig Stunden hatten auch seine Geduld und Nervenkraft auf eine harte Probe gestellt. "Ich habe mir das damals nicht ausgesucht, Crockett!," fauchte er. "Mich hat niemand gefragt, ob ich meine Familie in einem Feuerball sterben sehen will!" Mit jedem Wort war seine Stimme lauter geworden. Die Adern an seinem Hals schwollen an wie Drahtseile, die jemand spannte, und seine grünen Augen loderten wie Flammen. Sonny bremste den Wagen auf dem Motel - Parkplatz scharf ab. Auch seine Nerven und seine Geduld waren am Ende. Er hatte kaum geschlafen, wenig gegessen und zu viel Kaffee getrunken. Ricos Worte waren nur der Funke, der das Fass zu explodieren brachte."Das weiß ich, Tubbs, aber bloß, weil du Lust hast die "Stirb - langsam- Nummer" abzuziehen, riskiere ich nicht Billys Leben!,"brüllte Sonny zurück. Rico sprang aus dem Wagen. Er stürmte ins Motel und rannte fast einen Mann im grauen Anzug mit rotem Schlips über den Haufen. Er murmelte "Entschuldigung!", und rannte weiter. Er benutzte das Treppenhaus und während Etage um Etage zurückblieb, begann er sich zu beruhigen. Rico ging langsamer. Er atmete schnell. Das Blut rauschte in seinen Ohren und in den Beinmuskeln spürte er ein ziehen. Die Nerven waren einfach mit ihm durchgegangen. Er hätte Sonny nicht anbrüllen sollen, denn im Grunde genommen hatte Sonny Recht. Sie hatten zu wenig Zeit für die Suche und es gab da draußen zu viele Möglichkeiten. Als er die Etage erreichte, auf der er und Sonny wohnten, stand Sonny dem Aufzug gegenüber. Er lehnte lässig an der Wand, hatte die Hände in den Taschen vergraben und blickte Rico offen entgegen."Man kann´s auch übertreiben," sagte er und meinte Ricos Treppenlauf ebenso wie die unsinnige Anbrüllerei. "Einen Block von hier ist das NIGHTANGEL. Wollen wir da einen trinken?"Rico nickt, grinste und sagte: "Ja, mir tut´s auch leid." Diess Mal nahmen sie den Aufzug, in dem bereits zwei Männer waren, die sich in einer fremden Sprache unterhielten. Rico vermutete, dass es holländisch war, aber sicher war er nicht. In der Lobby warteten mehrere Leute mit Gepäck geduldig an der Rezeption darauf einchecken zu können. Eine Frau hatte ein schlafendes Kind von etwa zwei Jahren auf dem Arm, das im Schlaf am Daumen nuckelte. Die warme Nachtluft schlug ihnen entgegen. Der Wind, der noch vor einer Stunde heftig wehte, hatte sich komplett gelegt."Es hat sich eine Menge verändert, seit ich zuletzt hier war," sagte Rico und blickte an der spiegelnden Glasfassade eines Gebäudes hinauf."Moderner, schöner, größer," kommentierte Sonny und wies auf ein Gebäude vor ihnen. "Da ist es!" Über der Tür des NIGHTANGEL hing ein strahlend - weißer, blinkender Engel. Der Name der Disco schwebte wie Sonnenstrahlen um seinen Kopf.Die Tür des NIGHTANGEL sah aus wie die Himmelspforte. Sie war halbrund, mit einer glänzenden Metallplatte versehen und einem schmiedeeisernen Gitter davor. Das Gitter hatte die Form eines Engels mit einer Trompete und wurde von winzigen bunten Glühlampen beleuchtet. Der Kerl neben der Tür hatte allerdings keine Ähnlichkeit mit dem Petrus, wie man ihn sich landläufig so vorstellte. Er wog um die hundert Kilo, hatte einen kahlen Schädel, einen grimmigen Ausdruck in seinem Bulldoggen - Gesicht, und Arme wie Baumstämme. Die Tatoos darauf reichten vermutlich, um Kinder bei Regenwetter einen ganzen Nachmittag lang zu beschäftigen.Er musterte Rico und Sonny wortlos, befand wohl, dass sie nicht wie Raufbolde aussahen, und öffnete die Tür. "Blame it", dröhnte ihnen entgegen, als sie eine Treppe hinaufstiegen, die rechts vom Eingang lag. Im Erdgeschoss befanden sich, allem Anschein nach nur Privaträume. Rico vermutete allerdings, dass hinter dem "Privat" - Schild Glücksspiele betrieben wurden. Die Stufen dröhntn unter ihren Füßen, oben empfing sie ein absolutes Lichtorgel - Spektakel. Es gab nur Stehtische, die sich recht wahllos im Raum verteilten bis dorthin, wo eine beleuchtete Reling die Tanzfläche eingrenzte. Die Tanzfläche selbst war gerammelt voll und die Tanzenden zuckten, hüpften und drehten sich im flackernden Licht der Lichtorgel - Engel über ihnen. Der Treppe gegenüber lag die Theke, die mindestens zehn Meter lang war, mit beleuchteten Glasschränken dahinter und sechs hübschen Mädels in der Engelsfarbe weiß, die lachend und scherzend im Akkord Drinks verteilten.De Luft war schwer vor Schweiß, Parfüm und anderen Duftnoten, die sich miteinander vermischten. Sie gingen zur Theke und Sonny bestellte zwei Bier. Er vermutete, dass die hübsche, etwa 25 - jährige Blondine ausgebildete Lippenleserin war, denn verstehen konnte sie ihn bei der Lautstärke nicht.Die beiden Bier standen jedenfalls im Handumdrehen auf der Theke und mussten sofort bezahlt werden."Viel junges Gemüse hier!," brüllte Rico in Sonnys Ohr.Sonny prostete ihm grinsend zu. "Vielleicht sind wir nur alt!"Sie tranken einen Schluck, ließen die Blicke interessiert herumschweifen. Plötzlich schrie eine Frau: "Er hat eine Waffe!"Andere fielen kreischend ein. Ein Schuss zerfetzte einen Engel über der Tanzfläche, der wild schaukelte, ehe er zu Boden stürzte. Bunte Glassplitter regneten herab und in der Disco brach Chaos aus. Der nächste Schuss fiel, holte einen weiteren Engel herunter. Alle drängten die Treppe hinunter, sodass es für den Türsteher unmöglich war heraufzukommen. Hinter der Theke explodierte ein Glasschrank. Die Frauen hinter der Theke gingen in Deckung, kauerten sich dicht zusammen. Der vierte Schuss zerfetzte die Musikanlage. Rico und Sonny versuchten einen Weg zu dem Schützen zu finden. Vielleicht konnten sie ihn ja überwältigen. Die Überraschung war auf jeden Fall auf ihrer Seite.Geduckt rannten sie vorwärts, vorbei an einem toten, jungen Schwarzen, dessen Augen ins Leere starrten. Nicht weit entfernt kauerte eine verletzte, dunkelhaarige Frau in einer Ecke. Sie zitterte und schluchzte, nahm nichts wahr. Sie sahen den jungen Weißen, der die Knarre hielt, in dem Moment, in dem eine Tür aufflog, die verborgen hinter einem Vorhang war. Dort gab es einen Hinterausgang. "Wirf die Knarre weg!," brüllte der Türsteher, der Rico und Sonny eingelassen hatte, und nun mit einem Kollegen hereinstürmte.Statt zu gehorchen hob der Weiße die Waffe, doch ehe er schießen konnte, schleuderte ihn eine Salve gegen die Wand. Er rutschte daran herunter und hinterließ hässliche, rote Streifen.In der Disco wurde es für einen Moment gespenstisch still. Die meisten Gäste waren geflohen, die Stehtische lagen umgestürzt in einem Gemisch aus Glasscherben und dem Sud verschiedener Getränke. Ein Engel schaukelte immer noch über der Tanzfläche.Dann schluchzte die verletzte Frau auf, andere, die durch herumfliegende Glassplitter verletzt worden waren, fielen ein. Rico klopfte sein Jackett ab. Er wandte sich um, weil er die verletzte Frau beruhigen wollte, und stand vor einem Mann, den er überall wiedererkannt hätte.Er war alt geworden, die Geheimratsecken größer und die Haare grauer. Sein Gesicht hatte etwas von antikem Pergament, aber er war immer noch drahtig und auf seiner Nase thronte die dunkle Hornbrille mit den Gläsern Marke Glasbausteine. Er trug Jeans und ein blutrotes, bis zum Nabel offen stehendes Hemd.Es gab keinen Zweifel: Vor Rico stand Izzy Moreno! "Spielen mir meine Augen einen Streich oder sehe ich vor mir tatsächlich das Albtraum - Duo aller Krimineller dieser Stadt?," fragte Izzy. Dann aber blickte er sich gehetzt um, denn über die Treppe trampelten Polizisten und Sanitäter herauf."Es war nett euch zu treffen, aber ihr versteht sicher, dass ich nicht länger mit euch plaudern kann." Sonnys Blick war hrumgeschweift. Er sah die Bar - Ladies, die offensichtlich unverletzt geblieben waren und sich nun mit knirschenden Schritten einen Weg hinter der Theke hervorbahnten. Die meisten Glühlampen und Gläser waren zersprungen, der dritte Engel verabschiedete sich gerade und stürzte knallend auf die Tanzfläche.Er zählte drei Tote, wobei nur einer durch eine Kugel gestorben war. Die anderen waren durch herumfliegende Glasteile getroffen worden. Fünf Leute waren verletzt worden. SIe saßen geschockt, blutend und weinend in den Ecken. - Und dann riss ihn Morenos Stimme aus seinen düsteren Betrachtungen. Rico packte Izzy am Arm. Izzy war schon immer ein wandelndes Informationszentrum gewesen. Izzy sagte zwar nicht immer die Wahrheit, aber wenn jemand ihnen etwas über EL GRANDE MAGO erzählen konnte, dann war das sicherlich Izzy Moreno."Weißt du, Izzy, ich denke, wir sollten einen kleinen Spaziergang machen," schlug Rico in freundschaftlichem Ton vor.Sonny reagierte sofort. Er fasste Izzys anderen Arm und fügte grinsend hinzu: "Ich wette, du hast uns eine Menge zu erzählen."Polizei - und Retttungswagen näherten sich bereits mit jaulenen Sirenen. IM NÄCHSTEN KAPITEL: INFORMATIONEN VON IZZY
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22. INFORMATIONEN VON IZZYSie führten Izzy an den erstaunt dreinblickenden jungen Polizisten vorbei. Keiner dieser Beamten kannte Sonny Crockett und Ricardo Tubbs. In den 80ern, als Rico und Sonny für Ordnung auf Miamis Straßen sorgten, waren diese Jungs wahrscheinlich gerade eingeschult worden.Sonny grinste entschuldigend, zückte seinen Dienstausweis und sagte: "Bandendezernat. Wir kümmern uns um ihn. Er verträgt einfach keinen Alkohol." In dem Dämmerlicht hatte der Polizist, dem Sonny den Ausweis hinhielt, vermutlich weder seinen Namen lesen können, noch seine Zugehörigkeit zum Dezernat in West Palm Beach. Außerdem waren sie draußen, ehe der Mann irgendwas begriff. Sie schleppten Izzy die Straße entlang, vorbei an den blinkenden Einsatzfahrzeuge und den gelben Absperrbändern. Einige Verletzte wurden von den Sanitätern behandelt. Geschluchzte Wortfetzen, die das schreckliche Geschehen begreiflich machen sollten, drangen herüber. "...plötzlich..." "...einfach geschossen..."Auf der anderen Straßenseite, nah genug am Ort des Geschehens, aber weit genug entfernt, um nicht in irgendjemandes Schusslinie zu geraten, hatten sich Leute versammelt. Ihre Stimmen schwirrten durcheinander, als sie darüber spekulierten, was denn eigentlich passiert war.Auf der Straßenseite, die Rico, Sonny und Izzy entlang gngen, herrschte dagegen gähnende Leere, nachdem sie die direkte Umgebung des NIGHTANGEL verlassen hatten. "Ich hoffe, Sie beide sind nicht nach Miami zurückgekehrt, um mir meinen Lebensabend zu versalzen," sagte Izzy, wobei er sich bemühte seine Arme aus der Umklammerung zu befreien, aber das war unmöglich. Ricos und Sonnys Hände umfassten seine Oberarme wie Schraubstöcke."Versüßen, Izzy, nicht versalzen," korrigierte Sonny. "Da rein!," fügte er hinzu und sie zerrten Izzy in eine Art Hinterhof. Links ragte eine fensterlose Wand mehrere Stockwerek in den Himmel hinauf, rechts gab es eine dunkle Holztür und mehrere vergitterte Fnster im Erdgeschoss und weitere Fenster in den vier Etagen darüber. Geradeaus grenzte der Küchentrakt eines China - Restaurants an den Hof, in dem vier große Müllcontainer standen. Der Gestank verderbender Essensreste, vermischt mit scharfem tierischen Uringeruch und Exkrementen wehte herüber.Aus dem gekippten Fenster des China - Restaurants war das Klappern von Töpfen zu hören, irgendwo über ihnen begann eine Frau auf spanisch zu keifen. "Versalzen," sagte Izzy. "Wenn Sie beide beschließen auf Miamis Straßen zurückzukehren, wird mein Leben sehr salzig. Sie stellen noch mehr unangenehme Fragen als alle anderen und drohen mit ebenso üblen Sanktionen." Über ihnen schrie nun ein Mann herum. Er klang betrunken und lallte. Die Frau keifte weiter. Es klirrte und irgendein schwerer Gegenstand wurde über einen Linoleumboden geschoben. "EL GRANDE MAGO," kam Sonny gleich zur Sache.Izzy erstarrte. Im gleichen Moment schoss zwei Etagen über ihnen etwas aus dem Fenster. Es zerschellte laut klirrend an der gegenüberliegenden Mauer. Danach breitete sich für einen Moment der Gestank nach billigem Fusel aus, ehe die Alkoholwolke sich verflüchtigte.Mit einem Knall flog über ihnen das Fenster zu. Das Geräusch löste Izzys Erstarrung."Nein! Oh, nein!," wehrte er ab. "Ich sage nichts, was meine Person irgendwie in das Blickfeld dieser Person bringt.""Er hat etwas, dass uns gehört," erklärte Rico eindringlich. Izzy sah sich um. Er blickte nach rechts, nach links und sogar nach oben. "Vergessen Sie es," riet er dann.Rico tat, als schnippte er einen Fussel von Izzys blutrotem Hemd. Mit samtweicher, fast väterlicher Stimme erklärte er: "Wenn du etwas weißt, es uns aber nicht sagst und die Sache geht schief, verbringst du deinen Lebensabend in einem kleinen, ungemütlichen Appartement und atmest gesiebte Luft. Verstehen wir uns?""Und dieses Mal meinen wir es verdammt ernst," fügte Sonny hinzu. Izzy brachte ein versöhnliches Lächeln zustande. Tubbs und Crockett hatten immer gedroht, aber ihre Drohugen nie wahr gemacht. Izzys feine Antennen, denen er sein langes Überleben in dieser Stadt verdankte, sagten ihm jedoch, dass es dieses Mal wirklich ernst war. "He, Jungs, nicht panisch werden, ja? Immer locker durch die Hose atmen!" Er gab ein unsicheres, meckerndes Lachen von sich und erneut blickte er nervös in alle Richtungen. In einem der Müllcontainer rumpelte irgendwas und aus der Küche des Restaurants war eine Stimme zu hören, die etwas laut auf chinesisch rief, woraufhin mehrere Stimmen in Gelächter ausbrachen. Über ihnen war Ruhe eingekehrt. "Dieser... Er ist verrückt, reich, skrupellos. Ich schlage einen großen Bogen um ihn und genau das solltet ihr auch tun.""Izzy!," knurrte Sonny. Er hatte die Nase voll von der ganzen Geschichte und auch von Izzys Ausflüchten.Izzy blickte zwischen Crockett und Tubbs hin und her. DIe Beleuchtung war miserabel, aber Izzy brauchte kein Licht, um zu begreifen, dass er ohne eine brauchbare Information nicht aus dieser Nummer herauskam. Und es musste eine gute Information sein, weil Crockett und Tubbs ihn ansonsten aufspüren und vielleicht versuchen würden, ihn von außen durch die Gitter in die Zelle zu quetschen. Izzy holte tief Luft. "2006 schnappte man in Spanien einen Drogenkönig, der sich EL VIEJO nannte, als er versuchte 500 kg Koks zu importieren..." Izzy legte eine Pause ein, um sich wieder einmal zu vergewissern, dass die Luft rein war. Er wartete, bis eine Horde Japaner vorbei gerannt war, ehe er fortfuhr: "Der Zauberer will beweisen, dass es möglich ist eine größere Menge in dieses Land zu bringen, ohne geschnappt zu werden.""Überspringen wir die bekannten Nachrichten von vorgestern aus aller Welt und kommen wir zu den lokalen Nachrichten von heute," grummelte RIco und packt Izzys rm fester. "Wer - ist - er?" Izzy wand sich wie ein Wurm. Sein Leben war nie besonders leicht gewesen, aber ein wenig unbehelligter verlaufen, nachdem Crockett und Tubbs damals ihren Dienst quittierten. Switek, Parson und Bradford stellten weitaus weniger Fragen."Bringen wir ihn zu Stan. Er findet sicher einen Grund ihn einzusperren," sagte Rico. Er verspürte nicht die geringste Lust seine Zeit mit jemandem zu vertrödeln, der ihnen entweder nicht helfen wollte oder es tatsächlich nicht konnte."He, wartet!," bat Izzy, als Rico und Sonny ihn auf die Straße zurückzerren wollten. "Der Sohn vom Bruder eines Freundes..." Ricos Nerven, die ohnehin bis zum Zerreißen gespannt waren, standen nun kurz vor der Explosion. Er hatte Angst um die Geiseln, er war müde, konnte aber nicht richtig schlafen und seine Geduld war erschöpft."Namen, Moreno!," fauchte er. "Die Geschichte vom Freund eines Freundes feiert bald 25 - jähriges Jubiläum!" Zum x- ten Mal huschte Izzys Blick herum, ehe er flüsterte: "Victor Bonivar. Unter Alkoholeinfluss erzählte er mir, dass er mit dem Zauberer in Bolton gesessen hat. Der Zauberer plant jetzt einen Vernichtungsschlag gegen die Polizisten, die ihn damals verhafteten. Ich schwöre beim Leben meiner 87 - jährigen Mutter Carmencita, dass das alles ist, was ich weiß. Ich kenne seinen Namen nicht!" Wie auf ein geheimes Kommando hin ließen Rico und Sonny ihn los. Rico sagte Izzy, wo er sie erreichen, dass er sich im Notfall aber auch an den neuen Vice - Lieutenant Switek wenden konnte. Dann ließen sie Izzy stehen und kehrten schweigend zum Motel zurück. Ihre Gedanken drehten sich um Izzys Informationen. Sie hatten etliche Verbrecher festgenommen, viele davon waren sich keiner Schuld bewusst. Nicht alle kamen nach Bolton, in das Gefängnis, mit dem Rico eines seiner schrecklichsten Erlebnisse verband. Manche landeten erst in anderen Gefängnissen und wurden auf Grund irgendwelcher Maßnahmen verlegt. Bolton war jedoch der beste Ansatzpunkt. Sie fuhren nach oben, gingen durch den stillen, dämmrigen Flur zu Sonnys Zimmer, um ein Bier aus der Zimmerbar zu trinken und in Ruhe zu reden. Doch kaum flammte Sonnys Licht auf, läutete das Telefon. Sonny meldet sich und Sanchez fragte:"Sind SIe bereit für den größten Deal Ihres Lebens?" IM NÄCHSTEN KAPITEL: CASTILLOS VORBEREITUNGEN
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23. CASTILLOS VORBEREITUNGENNachdem Rico und Sonny fort waren, lief Castillo eine Weile unruhig umher. Er räumte auf, blieb dann vor Mai Yings Foto stehen. Wie mochte sie heute aussehen?Dann fragte er sich, wieso sie Abhisit einfach mit einem unbekannten Mann in ein fremdes Land reisen ließ. Warum hatte sie ihn nicht angerufen? Befürchtete sie, dass er seinen Sohn nicht sehen wollte und ihn enttäuschte? Oder hatte man Abhisit schon in Thailand entführt? Er dachte an das Foto. Nein, Abhisit war freiwillig nach Miami gekommen. Er wandte sich ab, öffnete die Glasschiebetür und ging hinunter zum Strand. Kaum ein Lufthauch rührte sich. Der Mond starrte auf ihn hinab und Castillo blickte auf das schwarze, glatte Wasser des Meeres hinaus. Castillo sammelte seine Gedanken. Er wollte nicht untätig herumsitzen und darauf hoffen, dass alles gut verlief. Das entsprach nicht seiner Art. Außerdem hatte Tubbs Recht. Auch ihm missfiel, dass man ihnen ein Lebenszeichen der Geiseln verwehrte, aber er glaubte durchaus, dass sie lebten. - Noch! Castillo erinnerte sich an einen Fall in seiner Laufbahn, bei dem das Kind vermögender Eltern entführt worden war. Eine Million erpressten der oder die Kidnapper damals. Sie verweigerten ein Lebenszeichen, behaupteten aber, einen Hinweis auf das Versteck zu geben, sobald sie das Geld hatten. Der Hinweis kam aber erst drei Wochen später. Das Kind war tot, aber vermutlich wäre es zu retten gewesen, hätten die Kidnapper das Versteck sofort preisgegeben. Den oder die Verbrecher hatte man nie geschnappt. Sein Sohn und die anderen Gesieln würden überleben. Das nahm er sich fest vor. Castillo kehrte zum Haus zurück. Er dachte an die Punkte, die für ihn absolut klar waren.1.Sie waren in den Everglades, wo man sie leicht verfüttern konnte.2. Sie waren in eiem Haus oder in einer Hütte an einem strathegisch günstigen Platz, den man3. gut mit dem Fahrzeug erreichen konnte, der aber abseits der Touristenrouten und des Seminolen - Sammesgebietes war. Als er das Haus erreichte, rief Sanchez an, um ihm zu sagen, dass die Särge am Dienstag um ein Uhr mittags ankamen. "Das gibt mir einige Stunden Zeit," murmelte Castillo, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Dann kochte er eine ganze Kanne "Magenkiller - Kaffee", holte seine Karten von den Everglades aus dem Schrank und setzte sich an den gläsernen Esstisch. Er breitete sie aus und holte dann die starke Schreibtischlampe aus seinem Arbeitszimmer, weil sie helleres Licht spendete, als die Korbgeflechtlampe über dem Esstisch. Er beugte sich über die Karten. In seiner wenigen Freizeit war er oft dort draußen gewesen. Er liebte den Dschungel, die Schönheiten und Gefahren seiner Fauna und Flora. Er hatte Tiere beobachtet und manchmal auch Menschen, die auf Armeslänge an ihm vorbeigekommen waren, ohne ihn wahrzunehmen. Er kannte sich recht gut aus da draußen. Während seine Finger nun über die Karten fuhren, entstanden vor seinen Augen lebendige Bilder. Er glaube sogar die Stimmen verschiedener Vögel hören zu können. Vor sich sah er enge Pfade oder breite, Wurzeln, die sich dicht unter der Oberfläche oder auch darüber schlängelten, knorrige Bäume, manche verdreht gewachsen, um so viel Licht wie möglich abzubekommen. Es gab Lianen, die von den Bäumen herunterhingen und Tiere verschiedenster Natur. Sie krabbelten, krochen, liefen oder schlängelten sich des Weges und es gab - natürlich - die Sümpfe, die teilweise wegen des Pflanzenwuches nur schwer erkennbar waren. In ihnen lauerten die Alligatoren auf Beute. Irgendwann holte er den Kaffee. Er ließ ihn etwas auskühlen, beugte sich ernut über die Karten und grenzte Gebiete ein. Er war wie ein Spürhund auf einer Fährte. Ein Jäger, der eine bestimmte Beute im Visier hatte. - Und er würde sie finden! Castillo dachte an die Geiseln, die vielleicht seit Sonnag ohne Wasser waren. Ohne Nahrung knnte der Mensch erstaunlich lange überleben, nicht aber ohne Wasser. Die Temperaturen betrugen in den vergangenen Tagen im Schnitt etwa 28° C. In einer schlecht isolierten, wahrscheinlich fensterlosen Hütte waren die Temperaturen vermutlich wesentlich höher. Da benötigte der Körper viel Flüssigkeit. Nach Mitternacht beendete er seine Arbeit. Er räumte die Karten weg, denn alles Wichtige war sowieso in seinem Hirn gespeichert. Er trug die benutzte Tasse und die Kanne in die Küche. Dann ging er nach oben, duschte und legte sich ins Bett.Die Nacht würde nur kurz sein, denn er wollte noch vor Sonnenaufgang aufbrechen. Er würde diesen Mistkerlen zeigen was passierte, wenn man sich mit Martin Castillo anlegte. IM NÄCHSTEN KAPITEL: EINE WEITERE SPUR
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24. EINE WEITERE SPURIm Vice - Büro gluckerte und röchelte die Kaffeemaschine. Ab und zu gab sie ein hustendes Geräusch von sich. Wahrscheinlich, so vermutete Gina, gab sie bald ihren Geist auf. Es würde die zweite für dieses Jahr sein. Die Geräte waren einfach nicht mehr so haltbar wie früher. Gina kopierte gerade die Akten von Franco, Gracciano und Bailey, als Ramona hereinrauschte. Gina sah auf die Uhr, tat erstaunt und meinte: "Ist es etwa schon Morgen?"Ramona lachte. "Nein, aber mein Wohnungsschlüssel muss noch in der Schublade liegen."Sie schaltete das Licht im hinteren Bereich des Büros ein, wo die Schreibtische der Sekretärinnen standen. Kaltes Neonlicht flammte auf."Nach meinem Umzug habe ich den neuen Wohnungsschlüssel noch nicht an meinen Schlüsselbund gehakt," erklärte Ramona, als sie zu ihrem Schreibtisch eilte und die Schublade aufzog, in der sie morgens ihre Tasche verstaute. "Er muss rausgefallen sein...-ach, da ist er ja!"Sie schloss die Schublade und kam herüber. Als sie sah, wie viel Gina kopierte, beschloss sie spontan zu bleiben und Sarah anzurufen. "Nachdem sie bei ihrem Freund ausgezogen ist, fällt ihr sowieso noch etwas die Decke auf den Kopf. Arbeit ist da ein gutes Ablenkungsmittel." Gerade, als Sarah auftauchte, kam Stan aus seinem Büro. Er sagte, dass Rico angerufen hatte und wiederholte, was Izzy Moreno über Victor Bonivar und den Zauberer gesagt hatte."Rico und Sonny fahren übrigens morgen früh ums sechs nach St. Andrews Island, um die Ware entgegenzunehmen," fügte er hinzu. Die Kaffeekanne war inzwischen schon wieder leer. Ben, Damian, Sta und Gina beugten sich über die Papiere. Bisher hatten sie überhaupt keine Ahnung gehabt, wonach sie suchen mussten, aber jetzt wussten sie, dass alles seinen Anfang in Bolton genommen hatte. Diese Spur, auch wenn sie klein war, wirkte motivierend. "Ich koche frischen Kaffee," seufzte Sarah. "Was haltet ihr davon, wenn ich uns Doughnuts besorge?," fragte Ramona. "Nervennahrung mit dickem Zuckerguss oder Schokoladenüberzug."Stan, der an seinem alten Schreibtisch saß, grinste und klopfte sich auf den Bauch. "Aber nur, wenn du mir versprichst, mich nicht bei Gianna zu verpetzen.""Wie käme ich dazu?," lachte Ramona, sammelte Geld ein und machte sich auf den Weg. Sarah kam mit der Kanne voller Wasser zurück und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Ihr Blick wanderte immer wieder zu Trudys Schreibisch, der am zweiten Bürofenster stand. Sie mochte Trudy und war sehr besorgt.Nachdem sie die Kaffeemaschine eingeschaltet hatte, ging sie spontan zu Trudys Schreibtisch. Das flache Fach auf der linken Seite war unverschlossen, denn das Einzige, was Trudy darin aufbewahrte, war das Schild, das sie wegen Knight wegpacken musste. Gina, die beim Lesen der Akte den Kopf in die rechte Hand stützte, sah auf. Damian runzelte die Stirn und sah zu Sarah hinüber, eine Seite von Emanuel Cruz´ Unterlagen aufrecht haltend. Auch Stan und Ben hielten in der Arbeit inne. Sarah holte mit trotzigem Gesicht das Schild "BIG BOOTY TRUDY" heraus und stellte es dorthin, wo es früher immer gestanden hatte: An die hintere Schreibtischkante etwa in die Mitte."Trudy kommt zurück, aber Knight nicht,"behauptete sie, holte ihre Unterlagen und ließ sich seitlich an Ginas Schreibtisch auf einem Besucherstuhl nieder. Es arbeitete sich leichter zusammen, wenn man nicht quer durch den Raum brüllen musste. "Victor Bonivar," sagte Gina. "Saß von 2002 bis 2007. Im C - Block. Er und zwei noch unidentifizierte Täter haben den Banküberfall mit drei Toten vorletzte Woche in der First National Bank verübt. Seitdem ist Bonivar verschwunden."Es raschelte, als Sarah in ihren Unterlagen blätterte. "Da saß Gracciano auch. Im C - Blick, meine ich. Er kam 2006 raus.""Howie Wong," meinte San fast gönnerhaft. "C - Block. Rein 1984, raus 1999. Das heißt, er saß zuerst im Raiford, wurde 1993 verlegt."Damian sah in seine Unterlagen und sagte dann: "Es ist der C - Block! Cruz kam letztes Jahr raus. Was ist mit Franco?"Ben nickte zustimmend. Auch Domenico Fanco, Kevin Bailey und Paolo Sanchez hatten ihre Strafen im C - Block von Bolton abgesessen und sie fanden Notizen der Mordkomission von Miami wie auch der Kollegen von West Palm Beach, dass alle in Morde verstrickt waren. Die Beweisführung lief jedoch noch, die Täter waren flüchtig. Gina hing sich ans Telefon und wählte die Nummer des Bolton - Staatsgefängnisses. Vielleicht hatte sie Glück und einer der diensthabenden Beamten arbeitete schon so lange dort, dass er sich an eine ganz besonders große Nummer erinnern konnte. Das war EL GRANDE MAGO bestimmt gewesen. Stan verschwand in seinem neuen Büro, als dort sein Telefon klingelte. Als er zuückkam sagte er: "Verwahrt mir einen Doughnut."Dann eilte er hinaus. In der Tür stieß er fast mit Ramona zusammen, die mit einem Riesentablett Doughnuts zurückkehrte, während Gina gerade entäuscht den Hörer auflegte.Ramona entfernte das Papier und stellte das Tablett neben Ginas linken Arm auf den Schreibtisch. Dann zerknüllte sie das Papier, um es in den Mülleimer zu werfen."Einmal Nervennahrung," sagte sie. "Und? Habt ihr schon irgendwas herausgefunden?"Inzwischen war Stan unterwegs zu einem Rettungseinsatz. IM NÄCHSTEN KAPITEL: IZZY´S HEISSE SPUR
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25. IZZY´S HEISSE SPURDie Frau lief mit gesenktem Kopf die Straße entlang. Sie war in Eile, blickte nur immer wieder prüfend herum, ohne jedoch den Kopf zu heben. Ihre Schritte hallten auf dem Asphalt, denn in dieser Gegend war nichts los. Hinter ihr zuckten, blinkten und leuchteten die Reklameschilder der Bars und Clubs. Hin und wieder wehten Stimmen, Gelächter und auch Musikfetzen zu ihr herüber, wenn jemand eine Bar betrat oder verließ. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei. Die Scheinwerfer huschten über die Frau in dem schwarzen Mantel, aus dem Fahrzeug wummerten Bässe herüber. Dann war das Auto vorbei und zurück blieben nur die klappernden, gleichmäßigen Schritte der Frau. Irgendwo hinter ihr brüllte eine Nutte erbost Schimpfworte hinter jemandem her, der vermutlich auf ihre Dienste verzichten wollte. Vor der Frau tauchte im Licht der Straßenlaterne ein Betrunkener auf, der mühsam seines Weges torkelte. Er stolperte immer wieder, stützte sich an den Straßenlaternen, den Müllbehältern am Straßenrand oder den Mauern der Gebäude ab. Dabei führte er lautstarke, aber unverständliche Selbstgespräche. Die Frau mit den langen, schwarzen Haaren wechselte die Straßenseite. Das wollte sie sowieso tun, denn ihr Ziel, eine Telefonzelle, stand auf der anderen Seite.Der Betrunkene blieb schwankend stehen und sah ihr nach. "He, Schnuggi!," nuschelte er laut mit verwaschener Aussprache. "Lauf´ma´ nich´ gleich weg! Könntest mir´n Gefall´n tun oder swei oder so..." Die Frau ignorierte ihn und eilte auf die Telefonzelle zu. Sie verhielt für einen Moment den Schritt, als sie feststellte, dass die Straßenlaterne, die neben der Telefonzelle stand, kaputt war.Dann aber setzte sie ihren Weg fort. Was machte es schon, wenn sie nicht bei Festbeleuchtung telefonierte? Sie hatte für Notfälle eine Taschenlampe in Kugelschreiberformat in der Tasche. Das würde genügen, um das Geld einzuwerfen und die Nummer einzutippen, die sie sowieso im Schlaf aufsagen konnte. Izzy Moreno war nach seinem überraschenden Zusammentreffen mit Tubbs und Crockett noch einen Moment in dem Hinterhof stehen geblieben, um nachzudenken. Tubbs und Crockett hatten sehr beunruhigt geklungen, fand er. Was auch immer EL GRANDE MAGO ihnen gestohlen hatte, es musste etwas außerordentlich wichtiges sein.Das brachte Izzy auf die Idee, dass es für die Wiederbeschaffung eine Belohnung geben könnte. Wer wichtige Dinge wiederbeschaffte, erhielt normalerweise eine Belohnung und Geld war etwas, das Izzy immer gebrauchen konnte. Geld war schon der Grund für die Schießerei im NIGHTANGEL gewesen. Der Mann hatte Izzy 1000$ gegeben, weil dieser ihm angeblich eine echte Rolex dafür besorgen konnte, die normalerweise ein Vielfaches dieses Preises kostete.Aber Izzy konnte die Ware nicht beschaffen und hatte das Geld bereits ausgegeben. Deswegen war der Mann durchgedreht und nun war er tot. Das tat Izzy leid, aber jetzt stellte er auch keine Forderungen mehr. Mit dem Gedanken an die Belohnung im Hinterkopf war Izzy losgezogen. Vielleicht fand er Victor, der ihm sicher etwas erzählte, wenn er genug getrunken hatte. Aber er fand Victor nicht. Schließlich fiel ihm das BANANA ein. Ein Sex - Club mit Live - Show. Es hieß, das BANANA wäre der heißeste Schuppen in ganz Miami. - Wenn man auf solche Live - Shows stand.An dem Abend, als Vic ihm von seiner Feundschaft zu EL GRANDE MAGO erzählte, hatte er auch anschließend ins BANANA gewollt. Izzy beschloss die Abkürzung durch die schmale Gasse zu benutzen, um zum BANANA zu gehen. Laternen gab es keine, aber dafür etliche Container für verschiedene Arten von Müll.Izzys Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit, zumal der Vollmond dafür sorgte, dass es nicht vollkommen dunkel war. Izzys leichte, dunkelblaue Stoffschuhe verursachten nicht das kleinste Geräusch, als er die Gasse entlang eilte. Von der anderen Seite drang die schimpfende Stimme eines Betrunkenen herüber, der anscheinend auf dem Heimweg war.Am Ende der Gasse, hinter einem Papiercontainer, trat er sich auf den linken Schnürsenkel. Leise fluchend hockte er sich hin, um ihn neu zu binden, als er die Frau kommen hörte. Ihre Absätze klapperten in einem schnellen Stakkato auf den Asphalt. Als er um den Container herumlickte, stellte er fest, dass sie keine Nutte war. Nutten trugen keine Mäntel und sie hielten die Köpfe nicht gesenkt, weil sie dann glatt einen potenziellen Freier übersehen könnten. Während Izzy den Schuh band, betrat die Frau die Telefonzelle. Er hörte, wie sie die Münze einwarf, mit schnellen Fingern eine Nummer tippte. Irgendein Instinkt riet Izzy unten zu bleiben. Er blickte nur um den Container herum, sah, dass sie vergeblich versuchte die Tür zu schließen und unterdrückt fluchte. Sie drehte ihm den Rücken zu, aber ihre leise gesprochenen Worte hörte er dennoch. "Ich bin´s." - "Ich rufe aus einer Telefonzelle an, du Idiot!," fauchte sie. "Hör zu...- he, pass auf, was du sagst, ja?" - "Meckere nicht, hör lieber zu. Moreno quatscht zuviel und mit den falschen Leuten - und Victor Bonivar redet auch zuviel..." - "Mit Crockett und Tubbs." Sie klang hektisch, ungehalten und Izzy glaubte zu sehen, dass sie öfter den Kopf senkte, als würde sie auf die Uhr sehen. "Du solltest mal jemanden losschicken, der sich um Moreno kümmert." - Woher soll ich denn wissen, wo er steckt? Sehe ich aus wie sein Kindermädchen?"Dann knallte sie den Hörer auf die Gabel und stöckelte davon. Izzys Hände zitterten, sein Herz raste und der Schweiß brach ihm aus. Sein Instinkt hatte ihm das Leben gerettet... - für den Moment. Aber jemand hatte sein Gespräch mit Crockett und Tubbs belauscht und jetzt waren sie hinter ihm her. Jeder kannte Izzy Moreno! Izzy richtete sich auf. "Jetzt gibt´s nur eins," flüsterte er. "Switek muss mich retten."Er zog sein Handy aus der Tasche. Beinah wäre es ihm us den zittrigen Fingern gefallen. Er hob den Blick, als auf der anderen Seite laut grölend der Betrunkene seines Weges zog. Izzy wählte Stans Nummer, die dieser ihm irgendwann mal gegeben hatte. "Hier ist Moreno," sagte Izzy, riskierte einen schnellen Blick in alle Richtungen, um sich zu vergewissern, dass er allein war. "Ich habe eine sehr wichtige Spur für Sie, Switek. Die Fingerabdrücke einer Frau, die in direktem Kontakt zu EL GRANDE MAGO steht, auf einem öffentlichen Telefon. Als Gegenleistung möchte ich, dass Sie mich in Ihr Schutzprogramm für Zeugen und gefährdete Arten aufnehmen. Die wissen, dass ich mit Crockett und Tubbs geredet habe und wollen mich umbringen. Helfen Sie mir?" Switek musste nicht lange nachdenken. Izzys Stimme klang zittrig und panisch und er stockte, als er Stan erklärte, wo er war. Stan sagte ihm, er solle bleiben, wo er war, er käme persönlich, um ihn zu retten.Dann informierte er das CSI, ehe er aus dem Büro stürmte. Izzy verschmolz nach dem Telefonat mit Stan mit der Dunkelheit hinter dem Container. Er fragte sich, wo der Lauscher gewesen war. Er war so sicher gewesen, dass niemand in der Nähe war, als er mit Tubbs und Crockett redete. Als sich maunzend eine magere, schwarze Katze an seinem Bein rieb, stieß Izzy einen kleinen Schrei aus und machte einen Satz zur Seite, wobei er mit dem linken Arm gegen den Container knallte.Er riss die Hand vor den Mund. Sein Puls raste auf mindestens 200, während die Katze fauchend davonrannte. Izzy rieb sich den schmerzenden Arm. Ein Wagen kam die Straße entlang. Das Verdeck war offen und Songfetzen wehten zu Izzy herüber. "...every step you take, I´ll be watching you...""Ja, mach du mir auch noch Angst," murmelte Izzy und trat unruhig von einem Bein auf das andere. "Komm schon, Switek, fahr ein bisschen schneller! Das Gas ist rechts!"Izzy Moreno hatte die allerbeste Spur und die allergrößte Angst! IM NÄCHSTEN KAPITEL: IN DER DSCHUNGELHÜTTE
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